25
Lyall
»Haben Sie noch zusätzliches Gepäck, Mister Henderson?« Die Angestellte von British Airways am Schalter des Flughafens Pablo Ruiz Picasso in Málaga lächelte mich fragend an.
Ich erwiderte es. »Nein, nichts.« Ich reiste nur mit Handgepäck, denn die Golfausrüstung für das Turnier war nicht meine gewesen, sondern das Ersatzset von Eric. Nicht, dass es etwas gebracht hatte, mit den Schlägern eines guten Golfers zu spielen.
»Dann ist es Gate 12. Guten Flug, Sir.«
»Vielen Dank.« Ich nahm meine Tasche und machte mich auf den Weg zu den Sicherheitskontrollen.
Die Woche war schneller vergangen als erwartet – und glimpflicher verlaufen als befürchtet. Eric bestritt die meisten der Konversationen, mit denen wir konfrontiert wurden, und ich beschränkte mich auf mein charmantestes Lächeln und ein paar Small-Talk-Sätze aus dem Henderson-Repertoire. Freundlich beantwortete ich die Fragen nach Mum und Edina und nickte fleißig, wenn man mir zu den Erfolgen der Hotelgruppe gratulierte, obwohl ich damit rein gar nichts zu tun hatte. Zum Glück waren bei dem Turnier vor allem ältere Herren anwesend und kaum jüngere Leute, denn es hätte mir überhaupt nicht in den Kram gepasst, irgendein Mädchen zu treffen, mit dem ich früher einmal etwas gehabt hatte.
Abseits des Turniers, das ich wie erwartet als schlechtester Teilnehmer beendet und damit Onkel Eric echt glücklich gemacht hatte, war genug Zeit gewesen, Jamie erneut zu besuchen und ihm Kenzies Vorschlag zu unterbreiten. Erst war er skeptisch gewesen, hatte sich dann aber meiner Meinung angeschlossen, dass es die beste Zwischenlösung war, bis ich das mit dem Familienrat geregelt hatte. Nächste Woche schon würde er nach England fliegen und dort bei Diane unterkommen. Damit war er erst einmal versorgt, auch wenn es mir immer noch das Herz zerriss, wie kaputt ihn die letzten Jahre gemacht hatten.
Es machte mich nach wie vor sprachlos, wie Kenzie mir dabei geholfen und ohne Zögern eine Lösung gesucht hatte, wo mir die Hände gebunden gewesen waren. Wir hatten in der Woche noch öfter telefoniert und geredet, wobei die Gespräche meist doch irgendwann in gefährliche Gefilde abgedriftet waren. Ich drängte die Erinnerung an unser gestriges Telefonat beiseite, als sie mir in dieser verlockenden Stimmlage gesagt hatte, sie freue sich darauf, wenn ich wieder da wäre. Nicht hilfreich.
Ich passierte die Kontrolle und machte mich auf den Weg zu meinem Gate. Unterwegs kaufte ich mir einen überteuerten Kaffee und setzte mich dann in eine der vielen Sesselreihen mit Blick auf die Startbahn. Kaum hatte ich jedoch den E-Reader rausgeholt, um etwas zu lesen, da klingelte mein Telefon. Ich grinste, als ich den Anrufer sah.
»Ich hoffe, du hast ein richtig schlechtes Gewissen, Mann«, begrüßte ich Finlay.
»Kein bisschen, Alter«, sagte er vergnügt. »Wenn du wüsstest, wie viele Bälle, Empfänge und Charity-Events ich schon von dir ferngehalten habe, wärst du mir dankbar, dass du nur dieses eine übernehmen musstest.«
»Du stehst ja auch auf dieses ganze Zeug.« Was das anging, war Finlay der perfekte Henderson-Kerl – immer gut drauf, höflich, charmant und von allen geliebt. Eigentlich brauchte er nur noch eine kluge, hübsche Frau, die gut ins Unternehmen passte, und unsere Großmutter würde wohlwollend die Augenbraue heben – was bei ihr so etwas wie Ausrasten vor Freude war. Nur dass mein Cousin keine Anstalten machte, sich so jemanden zu suchen. Das konnte er gar nicht.
»Das ist wahr«, sagte er. »Aber es ist nie gut, Grandmas Ansagen in die Quere zu kommen.«
»Tja, genau das haben wir diese Woche so was von getan.« Und es hatte sich verdammt gut angefühlt.
»Ja, aber niemand wird uns dabei erwischen.« Finlays Grinsen konnte ich förmlich sehen. »Bist du noch im Hotel?«
»Nein, am Flughafen. Ich sitze am Gate und genieße meinen echt lausigen Caffè Americano für 4 Euro.«
»Wieso gehst du nicht in die Priority-Lounge?«, fragte Finlay. »Die haben meist richtig guten Kaffee.«
»Ich weiß. Aber ich habe keinen Bock auf die Leute dort.«
Mein Cousin lachte. »Lye, du bist echt der einzige Mensch auf der Welt, der es nicht mag, Geld und Privilegien zu haben. Wie kann man es nur so scheiße finden, Teil dieser Familie zu sein?«
»Das müsstest du doch am besten wissen«, rutschte es mir heraus, weil es mich immer sauer machte, wenn er so was sagte. Aber sofort wurde mir klar, dass ich einen Fehler gemacht hatte. »Fin, sorry«, schob ich schnell nach. »Ich wollte nicht …«
»Was wolltest du nicht?« Er klang bitter. »Mich daran erinnern, dass die Frau, die ich liebe, unerreichbar ist? Ich habe Neuigkeiten für dich, Mann: Das musst du nicht. Es gibt vielleicht fünf Minuten am Tag, in denen ich nicht darüber nachdenke.«
Ich umfasste den Kaffeebecher so fest, bis mir die Hitze fast ein Loch in die Hand brannte. »Also hat sich nichts geändert zwischen euch?«, fragte ich kleinlaut.
Finlay schnaubte. »Die Frage ist rhetorisch, oder? Du weißt, dass ich wirklich alles versuche, um sie zu vergessen. Und manchmal denke ich, es geht langsam bergauf, aber dann ruft sie an oder ich sehe irgendein Bild auf Instagram … und alles ist zum Teufel.«
»Ich habe dir angeboten, mit ihr zu reden«, erinnerte ich ihn.
»Ja, und ich habe abgelehnt. Weil es nichts bringt. Wenn du ihr nicht aus dem Kopf löschen kannst, dass sie sich in mich verliebt hat, dann gibt es nichts, was du tun kannst.«
Ich atmete ein und die Ausweglosigkeit in seiner Stimme schnürte mir die Kehle zu. »Das ist echt scheiße, Mann. Das alles.«
»Ich weiß.« Finlay stieß die Luft aus und versuchte sich dann an einem lockereren Tonfall. »Aber reden wir lieber über dich. Zum Beispiel, dass du jetzt in dein Exil zurückkehrst, das dir so gefehlt hat. Oder doch eher Kenzie?«
Ich lächelte, auch wenn es mir am Ende ja kaum anders ging als meinem Cousin. »Wir haben diese Woche öfter telefoniert.«
»Oho, telefoniert? Oder telefoniert ?« Finlay ließ das Wort so unanständig klingen wie möglich.
Ich grinste. »Es war die meiste Zeit harmlos«, versicherte ich ihm.
Finlay pfiff durch die Zähne. »Und jetzt fliegst du hin und sorgst dafür, dass es weniger harmlos wird? Finde ich gut, das Mädchen ist klasse. Aber denk dran, sie kann mit Kreissägen und Bohrern und so Zeug umgehen. Und ich will dich nicht im Knabenchor singen hören, also sei lieber nett zu ihr. Am besten geht ihr aus, bevor ihr übereinander herfallt.«
»Ich habe nicht vor –«, begann ich, wurde aber von einem ungläubigen Lachen gestoppt.
»Himmel, Lye, hör auf, dir in die Tasche zu lügen. Natürlich hast du das vor.«
»Das stimmt nicht!«, widersprach ich. »Oder hast du vergessen, dass Fiona und Moira ständig um mich herumschleichen?«
»Dann geh mit Kenzie woanders hin. In Edinburgh gibt es doch dieses fantastische Restaurant am Eyre Place. Da spürt Moira euch garantiert nicht auf. Und in der Nähe sind mehrere Hotels, die nicht unser Logo über dem Eingang haben.«
Mein Flug wurde aufgerufen und ich stand auf. »Als du mir das letzte Mal gute Ratschläge gegeben hast, lag am nächsten Morgen ein kolumbianisches Model neben mir im Bett. Ich glaube, ich verzichte.«
»Dein Pech, Mann. Meine Ratschläge sind legendär.«
»Ich muss zum Flieger, Fin. Wir hören uns, wenn ich wieder in der Heimat bin.«
»Alles klar. Flieg vorsichtig.« Dann legte er auf, und ich ging zum Ausgang, nahm jedoch nicht die Schlange, die mit Priority beschildert war, sondern die reguläre. Man hatte zwar Business Class für mich gebucht, aber so hielt ich das Risiko, mit jemandem reden zu müssen, der meine Familie kannte, relativ gering.
Während ich in der Schlange hinter einem Paar mit zwei kleinen Jungs stand, drehte ich unschlüssig mein Telefon in der Hand. Sollte ich Kenzie wirklich zum Essen einladen, irgendwohin, wo uns niemand erkannte? Oder war das eine blöde Idee? Fakt war, ich wollte sie sehen, unbedingt. Ich konnte es kaum erwarten. Und in Kilmore ging das nur extrem schwer. Vielleicht war der Vorschlag also gar nicht schlecht, obwohl er von Finlay kam.
Hey, ich komme heute am späten Nachmittag zurück nach Kilmore. Hast du Lust, mit mir außerhalb etwas essen zu gehen?, schrieb ich.
Es dauerte keine halbe Minute, bis ihre Antwort kam.
Oh, eigentlich total gerne! Aber ich wollte übers Wochenende mit Loki in die Highlands. Ich wusste ja nicht, dass du heute schon wieder da bist.
Ich hatte vorgehabt, erst am Sonntagnachmittag zurückzufliegen, weil es noch einen Brunch für unsere Stiftung geben sollte. Eric hatte mir jedoch versichert, dass er das allein hinkriegen würde.
Okay, dann sehen wir uns, wenn du wieder da bist. Genieß deinen Trip.
Ich wusste, wie sehr sie sich darauf freute, in den Highlands zu campen, da würde ich sie nicht darum bitten, meinetwegen dazubleiben. Die nächsten Wochenenden waren mit Veranstaltungen verplant – erst das Stadtfest und danach die Highland Games. Wenn Kenzie ihren Plan umsetzen wollte, ging das nur jetzt.
Ich sah auf das Display.
Miss Bennet schreibt …
Miss Bennet schreibt …
Miss Bennet schreibt …
Meine Güte, was schrieb sie denn da für einen Roman? Ein Geht klar oder Danke, werde ich konnte ja kaum so lange dauern. Oder schrieb sie etwas ganz anderes? Ich wartete angespannt eine weitere Minute, dann erschienen drei Worte.
Komm doch mit.
Ich atmete ein und ließ die Luft wieder entweichen, während ich auf mein Telefon starrte. Komm doch mit. Zu einem Camping-Trip in die Highlands. Zwei Tage allein mit ihr, zwei Nächte mit ihr … das war etwas völlig anderes als ein Essen im Restaurant. Etwas viel Gefährlicheres. Denn mir waren in den letzten Tagen unzählige Dinge eingefallen, die ich mit Kenzie tun wollte – mit ihr reden war der harmloseste Punkt auf der Liste.
Wie hatte ich mich nur dazu hinreißen lassen können, sie um ein Date zu bitten? Das war echt dumm gewesen. Denn es bedeutete, dass ich darüber nachdachte, sie nicht länger von mir fernzuhalten. Dass ich daran glaubte, die Sache zwischen uns könnte doch etwas werden, obwohl es unmöglich war.
Ich kann nicht, tut mir leid, tippte ich, schickte es jedoch nicht ab. Mein Daumen verharrte Ewigkeiten über dem weißen Pfeil auf grünem Grund, aber ich brachte es nicht fertig, ihn zu berühren. Stattdessen löschte ich, was ich geschrieben hatte. Denn es ließ sich nicht leugnen: Kenzie Stayton war längst in meinem Leben. Ich würde durchdrehen, wenn ich nicht herausfand, was da zwischen uns war. Und solange niemand davon erfuhr, war ich sicher.
Entschlossen nahm ich mein Telefon wieder hoch und gab einen neuen Text ein.
Bin dabei. Ich melde mich, sobald ich in Glasgow gelandet bin.
Dann schickte ich die Nachricht ab und schaltete den Flugmodus ein. Es gab kein Zurück, ich hatte mich entschieden. Das fühlte sich ziemlich krass an.
Krass gut.
Kenzies Campervan stand ganz am Rand des Parkplatzes von Killiecrankie, und sie stieg aus, als ich den Mietwagen abschloss und meine Tasche vom Rücksitz nahm. Moira hatte ich von unterwegs angerufen und ihr gesagt, ich würde das Wochenende in Edinburgh verbringen, sodass ich erst gar nicht ins Grand musste. Noch vorher hatten Kenzie und ich uns vor diesem Baumarkt ein paar Orte entfernt von Kilmore verabredet. Auch wenn ich ihr nie genau erklärt hatte, warum, schien sie genau zu wissen, dass wir beide nicht zusammen in der Stadt gesehen werden sollten.
Als ich näher kam, sah ich, dass sie mich mit einer Mischung aus Freude und Unsicherheit anschaute. Ich musste lächeln, weil ich zwar nicht vergessen hatte, wie wahnsinnig hübsch sie war, aber die Realität so viel besser war als die Erinnerungen daran.
»Hey«, machte sie, als ich schließlich vor ihr stand.
»Hey«, antwortete ich und umarmte sie zur Begrüßung – ganz harmlos. Zumindest redete ich mir das ein, während mir ihr Geruch in die Nase stieg und sich Bilder in meinem Kopf breitmachten, die definitiv nicht auf einen Parkplatz gehörten. Ich ließ Kenzie los, aber sie anzusehen, machte es nicht besser, im Gegenteil. Ihr tiefer Blick in meine Augen sagte mir, dass sie das Gleiche dachte wie ich. Gott, ich wollte sie unbedingt küssen. Jetzt, sofort. Völlig egal, wie viele Leute hier waren.
Kenzie schien zu merken, wie gefährlich das gerade wurde, denn sie unterbrach den Blick, holte Luft und strich sich dann eine Strähne hinter das Ohr.
»Hattest du einen guten Flug?«, fragte sie mich.
»Japp«, grinste ich. »Hattest du einen Kurs in Small Talk?«
Sie lachte und die Spannung zwischen uns löste sich für einen Moment auf. »Entschuldige mal, ich wollte höflich sein, okay? Es kann ja nicht jeder so ein ungehobelter Mister Darcy sein wie du.«
Ich lachte mit. »Sorry. Alte Gewohnheiten.«
Kenzie sah mich an. »Du kannst übrigens bei mir so reden, wie du willst«, sagte sie dann. »Du musst dich nicht verstellen. Ich stehe im Gegensatz zu anderen gar nicht so sehr auf schottischen Akzent.«
Ich stockte. Woher wusste sie das? Aber dann fiel mir ein, dass sie Drew und mich gehört hatte.
»Sicher?«, scherzte ich und wechselte zu meiner gewohnten Sprechweise der letzten Jahre. »Ich will mir meine Chancen nicht versauen.«
Sie grinste nur. »Wer sagt, dass du welche hast?« Dann zeigte sie zu ihrem Wagen. »Wir sollten los, sonst sehe ich die Highlands nur noch im Dunkeln. Deine Tasche kannst du hinten reinwerfen.«
Ich tat, wie mir geheißen, aber dann kam mir eine Idee.
»Soll ich vielleicht fahren?«, fragte ich Kenzie.
»Du? Warum?«
»Erstens, weil du nicht viel von der Landschaft siehst, wenn du dich über die engen Straßen kämpfst und aufpassen musst, dass du kein Schaf umfährst. Und zweitens, weil ich den besten Platz in den Highlands kenne und du nicht.«
Sie blieb skeptisch und zeigte auf ihr Auto. »Kannst du so was denn fahren?«
»Ich habe letztes Jahr in Chicago auf dem Bau gearbeitet, seitdem fahre ich dir alles, was Räder hat.«
Die Skepsis wich Überraschung. »Auf dem Bau? Dein Ernst?«
»Du weißt vieles über mich nicht, Miss Bennet.« Erst als ich den Satz ausgesprochen hatte, fiel mir auf, dass er auch auf das dunkelste Kapitel in meinem Leben zutraf. Schnell streckte ich die Hand nach dem Schlüssel aus. »Komm schon, gib mir eine Chance. Ich mache deinen Liebling schon nicht kaputt.«