Ein Mitarbeiter von Herbert will mich früh am Morgen um 4 Uhr 30 in Bang Baan Rak, vor dem 7/11 Supermarkt auflesen. Dann soll um 5 Uhr 30 die Fähre zum Festland schippern und um 7 Uhr sollen wir bereits in Minibussen sitzen, die nach Malaysia rasen. Das sind ungefähr 450 Kilometer. Wir wollen aber schon wieder um 15 Uhr zurück bei der Fähre sein. Meiner Meinung nach ein Wahnsinn!! Vor dem Supermarkt, unterhalte ich mich mit einem angetrunkenen Thai. Er meint, er wäre schon des öfteren nach Malaysia gereist und in diesem Zeitrahmen wäre das absolut unmöglich. Ich muss mich verhört haben, versichert er mir grinsend. Pünktlich um halb fünf, werde ich von einem Mitarbeiter eingesammelt und zur Fähre gekarrt. Dort ist schon ein bunter Haufen verschiedenster Nationalitäten versammelt. Ein strenger Koordinator spricht laut und zackig im Befehlston. Wer nicht sofort kapiert was Sache ist, wird barsch zurechtgestutzt. Es ist Herbert. Ich habe schon Freundschaft mit einem verrückten Australier geschlossen. Er heißt Keith. Da Herbert aus Österreich ist und sich aufführt wie ein Diktator, kann sich mein Mitreisender einen bösartigen Scherz nicht verkneifen und flüstert mir zwinkernd zu: „He is Herbert Hitler!!“
Aber ich habe das System verstanden. Er will besonders effektiv sein. Wir haben keine Zeit. Dies ist ein straffes und toughes Programm. Er sammelt unsere Pässe ein, und wir müssen noch diverse Zettel auf der Fähre ausfüllen. Mit Keith gehe ich in den hinteren Teil des Schiffes. Dieser ist zwar überdacht, aber die Seiten sind offen, und nun beginnt es sintflutartig zu regnen. Aufkommender Wind, peitscht den Regen auf unsere Sitze. Das Ausfüllen der Dokumente gestaltet sich bei Nässe etwas schwierig, und gleich kommt Herbert, um sie wieder einzusammeln. Herbert hat blondgelockte lange Haare, aber mit ihm ist nicht zu spaßen. Punkt 7 sitzen wir in den Minibussen. Das sind Toyota Commuter, aufgeladene Diesel. Mit 3.0 Liter Hubraum. Mir schwant schon Böses. Es kommt wie es kommen muss. Wir rasen wie die Geisteskranken. Ich sitze vorne in der Mitte. Natürlich ohne Gurt, weil es keine gibt. Wir brettern mit 150 Sachen durch die Landschaft. Das ist früh am Morgen noch problemlos möglich, da die Straße im Vergleich zu den Inselpisten sehr gut ausgebaut ist. Aber um 8 Uhr wird der Verkehr immer dichter. Jede Menge überladener Trucks sind nun unterwegs. An Kreuzungen und Straßeneinmündungen gibt es keine Ampeln.
Wir rasen immer noch mit 130 auf dem Tacho durch die Landschaft. Das weiß ich so genau, weil ich wie gebannt abwechselnd auf den Tacho und dann wieder auf die vorbeifliegenden Streckenpfosten starren muss. Vor gefährlichen Kreuzungen hupt unser Fahrer einmal, und hofft auf Buddhas Segen, dass auch niemand auf die Idee kommt einfach loszufahren. Wenn einer der Wartepflichtigen sein Auto nur einen Meter vorfährt, oder von der Kupplung rutscht, sind wir geliefert. Wir fahren übrigens im Konvoi. Vorne weg im 1. Bus sitzt Herbert als Beifahrer, wir sind die Nachhut. Unser Führer gibt uns ständig mit diversen Blinkzeichen zu verstehen, wo Gefahren lauern. Wir sind permanent bemüht, Bus Numero Eins wieder einzuholen. Das Material wird wahrlich nicht geschont. Mir kommt ein Zeitungsartikel wieder in den Sinn, den ich gelesen hatte. Ein Thai ist mit seinem Pick Up mit 120 Sachen in eine Bauarbeiterkolonne gedonnert, und hat drei Arbeiter getötet. Anschließend hat er dann Fahrerflucht begangen. In Thailand kommt man damit erstaunlicherweise sehr oft durch. Mir ist ein bisschen mulmig zumute, aber nicht zu sehr, denn gestern Abend, habe ich etwas Verdorbenes gegessen und leide nun unter heftigen Magenkrämpfen. Diese beschäftigen mich so sehr, dass ich die wirkliche Gefahr, die darin besteht, dass ich in einem Minibuswrack qualvoll sterben könnte, einfach verdränge. Wir müssen stark abbremsen. Ein Sattelschlepper fährt mit 80 vor uns. Wir kleben ihm wie eine Scheißhausfliege am Arsch. Geschätzter Abstand sichere 10cm. Bus Numero 1, konnte noch mit Höchstgeschwindigkeit rechts an ihm vorbeiziehen. Das versuchen wir nun auch. Rechts oder links zu überholen spielt dabei keine Rolle. Der thailändische Straßenverkehr ist chaotisch. Genutzt wird jeder Zentimeter. Unser Fahrer, der eine verspiegelte coole Sonnenbrille trägt, entscheidet sich für rechts. Wir haben gerade zum Überholvorgangangesetzt, als sich der Fahrer des Sattelschleppers dafür entscheidet auf die rechte Seite zu ziehen. Wo sollen wir nun hin? Mittlerweile haben wir die 120er Marke erreicht und rechts von uns ist ein sehr hoher Randstein. Unser Fahrer steigt voll in die Eisen. Der Lastzug drängt uns immer weiter ab, der Auflieger wächst zu bedrohlicher Größe an. Gleich schlitzt er uns auf wie eine Sardinenbüchse!! Ende eines Traumurlaubes!! Zu allem Unglück endet auch noch unsere Spur, das heißt es ist ein Beschleunigungsstreifen, aber der Randstein macht einen Bogen nach links. Wir können nirgendwo hin. Ein junges amerikanisches Pärchen schreit gellend auf, die Reifen kreischen, es riecht nach verbranntem Gummi. Kurz bevor wir auf den Randstein prallen und uns garantiert überschlagen werden, zieht der Sattelzug an uns vorbei, und wir scheren haarscharf hinter ihm ein. Komisch! Während der heiklen und gefährlichen Situation, habe ich nur an meine Magenkrämpfe gedacht.
Unser Chauffeur, der sich durch nichts aus der Ruhe bringen lässt, überholt nun den Truck, blickt in die Fahrerkabine und schiebt sich mit seinem Zeigefinger die coole Brille wieder zurecht. Ich werde das Gefühl nicht los, dass der Lastwagenfahrer das mit voller Absicht gemacht hatte. Bus Numero Eins musste er noch vorbeilassen, der war einfach zu schnell, aber uns wollte er es mal so richtig zeigen, einen gehörigen Schrecken einjagen. Wild West auf Thailands Strassen. Sie zählen nicht umsonst zu den gefährlichsten der Welt. Aber es ist ja alles gut gegangen. Bis zur nächsten haarsträubenden Situation. Unser Fahrer bemerkt ein Stauende viel zu spät. Wieder kreischen die Bremsen, wir geraten ins Schleudern, aber unser Mann muss mal Rennfahrer gewesen sein, denn auch diese Situation meistert er mit Bravour und bringt unseren Bus rechtzeitig zum Stehen. Ich blicke über meine Schulter. Das amerikanische Pärchen ist kreidebleich. Direkt vor uns steht Bus Numero Uno. Da hat Herbert aber Glück gehabt. Die Tour sollte nicht Visa Run heißen, sondern eher „Crazy Suicide Run“, powered by Herbert oder so ähnlich.
Nach diesen Schockerlebnissen, gönnt uns unser Tourguide eine fünfminütige Pause. Wir fahren an der nächsten Tankstelle raus, da unsere Busse sehr durstig sind. Wir übrigens auch. Ich könnte mir jetzt schon am Morgen zwei Singha hinter die Binde kippen. Aber dazu bleibt leider keine Zeit. Die reicht gerade, um auf die Toilette zu rennen, und sich seinen Schwanz im Reißverschluss einzuklemmen, bevor unser Führer kommandomäßig „Boarding Time“ brüllt.
Und weiter geht es. Diesmal biegen wir von der gut ausgebauten Straße nach rechts auf eine Schotterpiste ab. Wir sind jetzt ganz in der Nähe von Hat Yai. Dort, wo sich die Moslem Minderheit ständig mit den Thailändern in den Haaren liegt. Erst kürzlich wurde ein Polizei Pick Up in die Luft gesprengt. Genau so schlimm ist es, wenn es die Zivilbevölkerung trifft.
Wir rasen mit 120 über die Schotterpiste. Steine prasseln in den Radkästen und schleudern gegen die Karosserie, der relativ neuen Minibusse. Es würde mich wirklich interessieren, wie lange die Fahrzeuge das mitmachen. Eigentlich, habe ich eher Angst, dass bei diesem Wahnsinnstempo ein Reifen platzt. Das will ich nicht noch mal erleben. Wir donnern unaufhaltsam über Stock und Stein. Eine Kuh steht am Wegesrand und glotzt uns dümmlich an. Wahrscheinlich wirken wir, für sie, wie Wesen vom anderen Stern. Nun haben wir wieder 150 drauf und jagen unbekümmert durch ein Dorf. Ein kleiner Junge steht mit seiner Ziege an der Piste und schaut uns hinterher. Er kann von Glück sagen, dass er nicht von einem umherfliegenden Stein getroffen wurde. Ein Holzschild saust am Fenster vorbei, für einen kurzen Augenblick konnte ich „Border“ lesen. Buddha sei Dank. Hoffentlich hat die Tortur bald ein Ende. Zehn Minuten später sind wir da. Den Leuten steht der Angstschweiß auf der Stirn, aber die Anspannung fällt ab.
Herbert gibt schon wieder zackige Kommandos. Er erklärt uns stakkatoartig den kommenden Ablauf und wie sich jeder verhalten muss. Leute, die Overstay haben, sollen ihm folgen. Ich habe einen Tag Overstay und Keith der Australier ebenso. Wir folgen Herbert, und alle anderen Passagiere trotten ebenfalls hinterher. Der Lemming Effekt. Aber Herbert macht ihnen den Garaus. „You all have overstay??” “No??” „You have to listen carefully!!” “Don’t move your ass!!”
Der Mann versteht sein Handwerk. Wir treffen einen Deutschen, der in Bangkok lebt und fast einen Monat Overstay hat. Keith und ich fragen ihn, wie er das angestellt hat. Kai erzählt uns lässig, dass er mit einer Thailänderin verheiratet ist, und mit ihr zusammen eine kleine Tochter hat. Er wäre immer nett zu den beiden gewesen, aber jetzt ist seine Gattin in die Schweiz verschwunden. Wahrscheinlich arbeitet sie dort im horizontalen Gewerbe, um richtig Asche zu verdienen. Dann hat sie sogar noch die 9 jährige Tochter, die nach wie vor bei Kai gelebt hatte, angestachelt, sein letztes Geld und seine Dokumente zu stehlen.
Danach hat er seine Tochter nicht mehr wiedergesehen. Wahrscheinlich ist sie bei einer Tante oder entfernten Verwandten untergetaucht. Er musste erst zur Botschaft nach Bangkok, um sich neue Dokumente ausstellen zu lassen. Das alles erzählt er uns fröhlich grinsend. Eine gehörige Portion Humor, ist in diesem Land überlebenswichtig!! Sonst geht man irgendwann vor die Hunde. Jetzt hat er jede Menge Overstay. Aber das wird schon gut gehen. Wir sind mit Master Herbert hier. Alle Zöllner kennen ihn schon. Er scheint hier einen Sonderstatus zu genießen.
Ein Tag Overstay kostet mich zusätzlich 500 Baht, also ungefähr 10 Euro. Keith ist zwar schon 50 Jahre alt, aber ein Hardcore Dauerkiffer. Er plappert davon, dass er an der Grenze zu Malaysia mal seine Wasserpfeife im Rucksack hatte, und sie ihn daraufhin festgehalten und weiter durchsucht hätten. Er erzählt uns das ganze, als würde es sich dabei um eine Flasche Whiskey handeln. Hallo?? Wir sind gerade an der malaysischen Grenze, und die Zöllner können alles mithören. Ich bekomme schon Muffensausen. Einige von den Typen, die hier länger in Thailand verweilen sind schon ganz schön durchgeknallt. Aber alles läuft perfekt wie am Schnürchen, und 45 Minuten später sitzen wir mit frischen Stempeln im Bus. Juhu, jetzt kann ich noch einen Monat im Königreich bleiben.
Die Rückfahrt verläuft genauso turbulent, jedoch ohne weitere Zwischenfälle. Allerdings setzt auf den letzten Kilometern ein starker Monsunregen ein. Man kann keine 5 Meter weit sehen. Trotzdem drosseln wir unser Tempo auf unglaubliche 110 Stundenkilometer. Der pure Wahnsinn. Vom ersten Bus ist überhaupt nichts mehr zu sehen. Wir müssen den strikten Zeitplan einhalten. Punkt drei Uhr nachmittags, sollen wir wieder an der Fähre sein. Wir verlieren mehrmals den Bodenkontakt. So was nennt man Aquaplaning glaube ich. Aber das beeindruckt unseren Fahrer nicht! Er hat sein Soll zu erfüllen. Koste es was es wolle.
Erstaunlich! Punkt 15 Uhr sitzen wir auf der Fähre. Ich verziehe mich mit dem durchgeknallten Australier auf das Dach. Dort dreht sich der Freak einen dünnen Joint. Auch ich nehme einen starken Zug, um meine Nerven zu beruhigen. Voll auf Lunge!! Ich fühle mich frei und entspannt. Ein wohliger Schauer durchläuft meinen Körper. Keith zeigt mir einen fetten schwarzen Pickel auf seiner Nase. Dort hatte er Krebs, denn auch in Australien gibt es sehr viel Sonne. Irgendwie wurde das Geschwür wohl weggeeist.
Ich kenne mich damit nicht so gut aus, hoffe, dass es mich nicht auch mal erwischt. Ich nehme noch einen kräftigen Zug von seiner Spezialzigarette, und verschwommen kann ich schon Koh Samui erkennen. Keith, der Freak gibt mir seine Nummer. Falls ich mal guten Stoff benötige.
Herbert kommt auf uns zu und will uns mit seinem Pkw nach Baan Bang Rak zurückfahren. Wir sitzen in der Karre des wahnsinnigen Organisators. Keith und Herbert mache Witze über ein paar Thaimädchen, die gerade mit der Fähre in Koh Samui angekommen sind. Frischfleisch für die Bars. Herbert drückt andauernd auf die Hupe und bedeutet ihnen in Gebärdensprache, dass sie in unsere Karre einsteigen sollen. Aber sie trauen sich nicht. Ich würde an ihrer Stelle auch nicht bei uns einsteigen, so wie wir aussehen!! Dann fahren wir zurück. Herbert rast genauso verrückt wie seine Fahrer, überholt vor Kurven, kann beim Überholvorgang sogar ein Handygespräch annehmen. Meldet sich mit „Herberts Visa Run“ und nimmt die Daten beim Fahren auf. Zwischendurch findet er noch die Zeit sich mit Keith über Frauen zu unterhalten. So langsam habe ich den Verdacht, dass jeder wahnsinnig wird, der sich längere Zeit in Thailand aufhält. Auch bei mir fängt es schon allmählich an.