Der totale Absturz
Am frühen Morgen sitze ich auf der Fähre, die gemächlich über die leichten Wellen tuckert. Die Rettungsringe fehlen, aber wen interessiert das schon Die rechte Bordwand ist von einigen fehlgeschlagenen Anlegemanövern stark eingedrückt. Normalerweise dürfte der schrottreife Pott auf der See überhaupt nicht mehr unterwegs sein. Hoffentlich geht er unter! Jetzt! Zeitgleich mit der aufgehenden Sonne! Ein filmreifes Ende für den (Anti) Held der Geschichte!
Desillusioniert, kaufe ich mir ein Bier zum Frühstück, und beobachte ein turtelndes Rucksack Pärchen. Ach ja, die Wa(h)re Liebe. Muss schön sein, glaube ich.
Versunken in trübsinnige Gedanken, klettere ich mit schweren Gliedern die Treppe hinab, die ein junger Thai von der Schiffsbesatzung gerade an die Bordwand gestellt hat. Bin angekommen! Zum dritten Mal in Samui. Lustlos stelle ich mich an die Straße. Als ein Pick Up vorbeikommt, hebe ich in Zeitlupe meinen Arm. Dann lasse ich mich nach Hause fahren. Blessing Village, ein Lichtblick, mein schöner Bungalow. Mein Hals fängt an zu kratzen, schmerzt. Es ist 11 Uhr am Morgen. Kein Antrieb! So viel Zeit bis zum Treffen mit Joy! Ich will nur noch schlafen.... lange schlafen......sehr lange......am besten für immer! Als ich wieder zu mir komme, steht der Zeiger meiner Rolex Kopie auf 21 Uhr. Mit einem Schlag bin ich hellwach. Verdammter Mist! Das Treffen! Verzweifelt suche ich mein Handy, finde es schließlich unter der Bettdecke und rufe Joy an. Ich lasse es lange klingeln, doch sie meldet sich nicht. Hektisch springe ich in meine Klamotten und rase in waghalsigem Tempo zum ausgemachten Treffpunkt. Doch vor dem Green Mango steht keine Joy! Mit schwindender Hoffnung, wähle ich abermals ihre Nummer, nur um es endlos klingeln zu hören, was mir das letzte bisschen Zuversicht raubt.
Niedergeschlagen setze ich mich in ein billiges Restaurant, um eine dünne Suppe und ein alkoholisches Getränk zu konsumieren. Dann spaziere ich am Strand entlang, lausche den Bässen, die von der Ark Bar herüberwabern, versuche noch mal sie zu erreichen, aber dummerweise ist jetzt mein Akku jetzt leer. Deshalb beschließe ich mich abzulenken und fahre bei Herbie vorbei, dem arbeitslosen Koch. Wir sitzen auf seiner Terrasse, und während uns die Moskitos auffressen, unterhalten wir uns über die Frauen. Herbie raucht lässig einen Joint, ist eigentlich nie aus der Ruhe zu bringen. Es wird sehr spät, und als ich mich endlich auf den Nachhauseweg mache, hat sich ein gutes Dutzend leere Singha Dosen auf dem Tisch angesammelt. Nach zweimaligem Anlauf, gelingt es mir das Türschloss zu finden, ohne den Schlüssel abzubrechen. Abgefüllt stolpere ich in mein Schlafzimmer und falle mitsamt meinen Klamotten ins Bett. Eine bleierne schwere Müdigkeit lässt mich augenblicklich in totale Finsternis hinübergleiten, in einen ohnmachtähnlichen, nicht sehr erholsamen Schlaf. Ich sehe ihn vor mir, meinen zarten Engel, angebliches Kunstprodukt geschickter Chirurgenhände. Sie sieht so schön aus, so weiblich, so perfekt. Ich strecke meine Hand nach ihr aus, will sie berühren. Da schwebt sie, das thailändische Schneewittchen, das Haar so schwarz wie Ebenholz, mitten im Raum, nur verhüllt durch leichten Nebel, aber trotzdem unberührbar. Dann entfernt sie sich, die Erscheinung, ist plötzlich außerhalb des Raumes, vor dem Schlafzimmerfenster. Nein, nein, du darfst mich nicht verlassen du holde Schönheit mit kunstvoll modellierter Vagina. Die gleißend leuchtende Halluzination wird langsam kleiner, löst sich zusehends auf. Meine Augen schmerzen, ein schnelles, kurzes Flattern der Augenlider, die ersten Sonnenstrahlen treffen auf mein fahles Gesicht und holen mich in die Realität zurück. Dumpfe Schmerzen im Brustkorb, ein tauber linker Arm, ich sollte die Valium Dosis reduzieren!
Im Laufe des Vormittags meldet sich Joy, und ich muss ihr gestehen, dass ich gestern leider verschlafen habe. Sie meint, sie wäre dann zu meinem Bungalow gefahren, hätte mich aber nicht angetroffen. Natürlich nicht! Ich war ja in der Stadt, ich Idiot! Jetzt hat sie keine Zeit mehr, ist schon auf der Fähre und will sich nur verabschieden. There my love goes! Shit happens! Ich schlucke eine Prozac! Irgendwie hatte ich sie gerne, meine langbeinige, immer gut gelaunte Prinzessin. Und wenn sie tatsächlich ein Katoey ist? Ach was soll es!
Ich glaube mich hat es tatsächlich erwischt, obwohl ich doch nur ein gewöhnlicher Sextourist bin, und wegen der Wa(h)re Liebe nach Thailand gekommen bin.
Ich fühl mich irgendwie manisch depressiv. Meine Gefühle pendeln zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Liegt wohl an der Prozac Tablette.
Dann bereite ich mir mein Frühstück. Es gibt was ganz besonderes. Ausschließlich flüssige Nahrung! Hoffentlich geht mein Biervorrat nicht zur Neige. Ich fange an zu frösteln.
Drei Tage später! Ich huste permanent, mein Hals ist entzündet. Aus der Pharmacie habe ich mir starke Antibiotika besorgt, die ich literweise mit Bier einnehme. Oliver hat angerufen, ob wir uns heute Abend treffen können. Ich weiß nicht warum, aber ich habe zugesagt. Was ist das für eine beschissene Erkältung. Wann habe ich mich angesteckt? Sie wird immer schlimmer! Ich habe kein Bier mehr und muss Nachschub holen. Vor dem Supermarkt setze ich mich an einen buntlackierten hölzernen Tisch, um meine Medizin mit zitternden Händen gierig hinunterzustürzen. Früher habe ich mich immer lustig gemacht über hängen gebliebene, abgerissene Gestalten. Jetzt bin ich wohl selbst soweit!
Ich fange an zu schwitzen, friere aber gleichzeitig wie ein Schneider. Zeit für den Heimweg. Leicht zugedröhnt, fahre ich in Schlangenlinien zurück zu meinem Bungalow. Dort angekommen, fährt gerade ein neuer Pick Up aus unserer Einfahrt, der anfängt zu hupen, als er mich sieht. Da drinnen sitzt Anni, das Mädchen mit dem Rosen Tatoo. Mittlerweile hat sie einen Farang Freund, aber es läuft nicht so gut, sie haben Streit. Ob wir uns heute Abend treffen können? Sie will Sanuk, Spaß haben. Ja klar! Warum eigentlich nicht! Wir verabreden uns, und sie schlägt vor, mich mit dem Pick Up direkt vor meinem Bungalow abzuholen.
Am Nachmittag fahre ich wieder zum Supermarkt, um mir die nächste Ration des köstlichen Gerstensaftes einzuverleiben. Mit schleierhaftem, wässrigen Blick beobachte ich ein paar junge Bauarbeiter, die eine Zufahrt zu einem Hotel betonieren. Am Abend sitze ich noch immer da, auf dem Tisch eine eindrucksvolle Sammlung leerer Bierdosen. Die Bauarbeiter haben gerade Feierabend gemacht und laden mich zum gemeinsamen Weitertrinken ein. Ich spendiere eine große Flasche Whiskey, und langsam verschwimmen Raum und Zeit. Irgendwann höre ich meilenweit entfernt mein Handy klingeln. Oliver ist dran und will wissen wann ich komme. Mit rotgeränderten Augen schaue ich auf die Uhr. Oh verdammt, ich habe Anni verpasst! Egal! Weiber gibt’s wie Sand am Meer! Hoch und heilig verspreche ich meinem Kumpel, dass ich mich sofort auf den Weg machen werde. Mein letzter Abend, bevor ich zurückfliegen muss in den deutschen Regensommer. Eine Stunde später fahre ich los, nachdem Oliver noch zweimal angerufen und gefragt hat wo ich bleibe. Wir treffen uns am Fischmarkt, denn Olli will Red Snapper, Muscheln und Garnelen verspeisen.
Allein der Gedanke etwas essen zu müssen, löst bei mir einen Würgereflex aus. Bei schätzungsweise 5 Liter Bier, die in meinem Magen schwappen kein Wunder. Ich mache gute Miene zum bösen Spiel und verdrücke lächelnd ein halbes Dutzend Muscheln, bevor wir ein letztes Mal zu einem Streifzug durch die Bars und Discotheken aufbrechen. Selbstverständlich trinke ich weiter. So lange bis ich kein Geld mehr habe. Dann schnorre ich von Landsleuten, und von Farang anderer Nationalitäten, ungeniert Zigaretten, bevor ich mich gierig über die Getränkereste hermache, die andere Gäste einfach verschmäht haben. Im flackernden Stroboskoplicht, kann ich schemenhaft ein langbeiniges, hübsches Mädchen sehen, die sich wie im Rausch, zum basslastigen Hip Hop Beat, die Seele aus dem Leib tanzt. Sie trägt extrem knappe Hot Pants, ist ungefähr Anfang Zwanzig, und sieht Joy zum Verwechseln ähnlich. Meine Beine fühlen sich wie Gummi an und wie in Trance, gehe ich zu ihr rüber. Sie heißt Pha und wird meine attraktive Begleitung für meine letzte Nacht.
An die Rückfahrt zum Bungalow, kann ich mich nicht mehr erinnern, aber irgendwie sind wir angekommen. Es gab keinen berauschenden Sex, vielmehr war ich zu nichts mehr fähig und bin wie ein nasser Sack ins Bett gefallen. Drei Stunden später, erwachte ich mit bösartigem Reizhusten und quälenden Halsschmerzen. Das ging den ganzen Morgen so, und dann wollte ich mit dem armen Mädchen doch noch schlafen. Sie hatte wirklich Angst und fragte mich mit großen Augen, ob ich vielleicht auf Heroin bin. Das nicht unbedingt aber vielleicht anderweitig verseucht, habe ich mir gedacht. Letztendlich brachte ich doch noch einen müden Fick zustande und habe verantwortungsvoll ein Kondom benutzt. Der Husten wurde immer unerträglicher, und dann bekam ich hohes Fieber. Nachdem ich Pha nach Hause gefahren hatte, habe ich meine Sachen gepackt und bin am Abend mit fiebrigem Glanz in den Augen und mit quälendem Hustenreiz in die Turboprop Maschine gestiegen, die mich nach Bangkok geflogen hat. Von dort habe ich mich in den Airbus von Emirates geschleppt. Der Heimflug war die reine Hölle. Die trockene verbrauchte Luft der Klimaanlage hat meine Schleimhäute zusätzlich gereizt, und ich konnte mit dem trockenen Husten die gesamten 17 Stunden, die ich unterwegs war nicht aufhören. Kleine Kinder und Erwachsene haben mich verständnislos angeblickt. Sogar den faden Flugzeugfraß konnte ich nicht schlucken und habe ihn bröckchenweise an der Rückenlehne und am Hinterkopf eines Mitreisenden verteilt. So krank hatte ich mich noch nie gefühlt.
Wer weiß? Vielleicht ist es ja nur eine harmlose Grippe! Aber eventuell habe ich mich ja auch angesteckt! Mit was? Ja genau mit dem, was sie jetzt denken! Dem ominösen, berüchtigten Virus. Na ja, wird schon schief gehen! In drei Monaten weiß ich mehr!