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EIN FENSTER ZUM KÖRPER

EXPERIMENTELLE PHYSIOLOGIE

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUR

Galen von Pergamon (129 bis ca. 216 n. Chr.)

FRÜHER

um 500 v. Chr. Im alten Griechenland entdeckt der Arzt und Vivisektionist Alkmaion von Kroton die Bedeutung des Sehnervs für das Sehen.

um 350 v. Chr. Der Philosoph Aristoteles betreibt anatomische Studien an Tierkadavern.

um 300–260 v. Chr. Die Ärzte Herophilos und Erasistratos schneiden Leichen auf und nehmen Vivisektionen an Verbrechern vor.

SPÄTER

um 1530–1564 Andreas Vesalius’ Sektionen menschlicher Leichen stellen Galens Ideen infrage.

1628 Der englische Arzt William Harvey veröffentlicht seinen Bericht über den Blutkreislauf und entlarvt dabei viele von Galens Irrtümern.

Einige der frühesten Fortschritte in der Biologie wurden auf zwei Gebieten erreicht: Man nennt sie heute Anatomie (die Lehre von den Strukturen eines lebenden Organismus) und Physiologie (die Lehre von den Funktionen eines lebenden Organismus). Im Mittelmeerraum begannen griechische Ärzte und Naturphilosophen um 500 v. Chr. mit ersten Untersuchungen. Ihre Forschungen umfassten Präparationen von Leichen und Tierkadavern, aber auch Vivisektionen (das Aufschneiden lebender Tiere). Zeitweilig wurden sogar an Menschen Vivisektionen vorgenommen. Die experimentelle Sektion von Menschen, lebend oder tot, wurde jedoch um 250 v. Chr. aufgegeben – religiöse Lehren und Tabus verboten es.

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Galens Experimente

Obwohl die Griechen bei ihren Präparationen und Vivisektionen viel über Anatomie und Physiologie lernten, wurden die wichtigsten Fortschritte der klassischen Antike während des 2. Jahrhunderts n. Chr. erzielt, dank der Experimente Galens von Pergamon, Arzt des Kaisers Marcus Aurelius in Rom.

Anders als seine Vorgänger experimentierte Galen ausschließlich mit Tieren – vor allem Affen, aber auch Schweinen, Ziegen, Hunden, Ochsen – und sogar einem Elefanten. Allerdings behandelte er auch Menschen mit tiefen Wunden, was ihn eine Menge über menschliche Anatomie lehrte.

Um herauszufinden, wie der Körper funktioniert, schnitt Galen Körperteile eines Tiers heraus oder machte sie unbrauchbar und beobachtete dann die Wirkung. Bei der Vivisektion eines festgezurrten quiekenden Schweins schnitt er zwei der Kehlkopfnerven durch, die Signale vorm Gehirn zum Kehlkopf übermitteln. Das Schwein kämpfte weiter, aber ohne Lärm. Das Durchtrennen weiterer Nerven, die vom Gehirn kamen, hatte nicht dieselbe Wirkung. Damit war die Funktion der Kehlkopfnerven bewiesen. Offensichtlich benutzte das Gehirn Nerven, um Muskeln zu kontrollieren, die mit Sprache zu tun hatten. Dies unterstützte Galens Meinung, dass das Gehirn der Sitz willkürlicher Aktionen ist – inklusive der Wahl von Wörtern (bei Menschen) und anderer Laute (bei Tieren).

»Wie viele Dinge hat man Galen aufs Wort geglaubt?«

Andreas Vesalius

Flämischer Anatom (1514–1564)

Galen zeigte, dass das Durchtrennen der Kehlkopfnerven auch bei anderen Tieren die Lautproduktion verhindert. Bei weiteren Vivisektionen band er die Harnleiter eines Tiers zu, also die Röhren, die die Niere mit der Blase verbinden. Die Resultate zeigten, dass Urin in den Nieren gebildet wird – nicht in der Blase, wie man zuvor gedacht hatte – und dass er über die Harnleiter zur Blase geleitet wird. Galen war auch der Erste, der entdeckte, dass Blut durch Blutgefäße fließt, obwohl er das Blutkreislaufsystem nicht als Ganzes verstand.

Galens Werk hinterfragen

Galen gilt allgemein als der größte experimentelle Anatom und Physiologe des klassischen Zeitalters. Seine Ideen übten mehr als 1400 Jahre in Europa großen Einfluss aus. Allerdings hat er viele Beobachtungen an Tieren fälschlich auf Menschen übertragen. Seine Beschreibung des Verlaufs von Blutgefäßen im menschlichen Gehirn beispielsweise (die sich nur auf Präparationen von Ochsengehirnen stützte) wurde 1241 vom arabischen Gelehrten Ibn an-Nafis widerlegt. Doch in Europa hielten Generationen von Ärzten bedingungslos an Galens Überzeugungen fest. Das behinderte den medizinischen Fortschritt bis zu den Tagen des flämischen Anatomen Vesalius im 16. Jahrhundert. image

Galen

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Claudius Galenus, besser bekannt als Galen, wurde 129 n. Chr. in Pergamon, im Westen der heutigen Türkei, geboren. Er studierte Philosophie, wechselte aber mit 16 Jahren zur Medizin, die er zunächst in Pergamon und später im ägypischen Alexandria studierte. Mit 28 kehrte er zurück und wurde oberster Chirurg für eine Truppe von Gladiatoren. Dabei gewann er viel Erfahrung in der Behandlung von Wunden. 161 n. Chr. zog er nach Rom, wo er für seine Heilkunst berühmt wurde. Etwa 168 n. Chr. wurde Galen Leibarzt des Kaisers Marcus Aurelius. Während dieser Zeit schrieb er viele Abhandlungen über Philosphie, Physiologie und Anatomie. Weniger als ein Drittel blieb in Übersetzungen und Kommentaren islamischer Gelehrter erhalten.

Nach einigen Quellen starb Galen im Jahr 199 n. Chr. in Rom, nach anderen 216 n. Chr auf Sizilien.

Hauptwerke

Vom Nutzen der menschlichen Körperteile

Von den natürlichen Fähigkeiten

Vom Nutzen des Pulses