IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Theodor Schwann (1810–1882)
FRÜHER
1665 Robert Hooke prägt den Begriff »Zelle« für kleine Strukturen, die er in Korkrinde unter dem Mikroskop sieht.
1832 Der belgische Botaniker Barthélemy Dumortier beobachtet Algenzellen bei der Teilung.
SPÄTER
1852 Der polnisch-deutsche Physiologe Robert Remak beweist, dass Zellen aus anderen Zellen durch Zellteilung entstehen.
1876 Der polnisch-deutsche Botaniker Eduard Strasburger postuliert nach Studien an Blütenpflanzen, dass Zellkerne nur durch die Teilung existierender Zellkerne entstehen.
Der Engländer Robert Hooke war Wissenschaftler, Architekt und ein Pionier der Mikroskopie. Als er 1655 den Begriff »Zelle« prägte, schaute er auf stark vergrößerte, aber tote schachtelartige Hohlräume in einer Probe von Korkrinde. Unter den Linsen seines Instruments sahen sie wie eine Bienenwabe aus. Hooke erinnerten die regelmäßigen Strukturen an Reihen von Mönchszellen in einem Kloster.
Andere Mikroskopierer entdeckten schachtelförmige Einheiten in allen möglichen organischen Proben: Pflanzenblättern und -stängeln, Teichwasser und Tierblut. In den 1670er- und 1680er-Jahren beschrieb Antoni van Leeuwenhoek sie in Speichel, menschlichem Blut und Sperma. Er beobachtete, dass es in Teichwasser nur so wimmelte von lebenden, beweglichen, winzigen Lebensformen, die er »animalcules« (Tierchen) nannte. Leeuwenhoek hatte als erster Mensch Einzeller unter dem Mikroskop gesehen. Allerdings konnten er, Hooke und ihre Zeitgenossen aus dem 17. Jahrhundert die Bedeutung dieser kleinen Lebewesen noch nicht verstehen.
In den späten 1790er-Jahren begeisterte sich der deutsche Botaniker Heinrich Friedrich Link für Kräuter, die auf trockenem Boden in Portugal wuchsen. Er stellte fest, dass jede Zelle eine eigene Wand besaß, die sich bei Trockenheit von den Wänden der Nachbarzellen zurückzog. Bis dahin hatte man geglaubt, dass Zellen sich ihre Wände teilen. In den 1820er- und 1830er-Jahren studierte der französische Physiologe Henri Dutrochet unter dem Mikroskop zahlreiche Proben, die er in seinem Garten gesammelt hatte. Er fand heraus, dass sowohl für Pflanzen als auch für Tiere die Zelle die letzte anatomische und physiologische Einheit ist, und formulierte: »Alles leitet sich letztlich von der Zelle ab.«
Hookes Zeichnung von Korkzellen (in seinem herausragenden Werk Micrographia, 1665). Das Buch enthielt Illustrationen mikroskopischen Lebens in nie zuvor gesehenem Detail.
Leeuwenhoeks Beobachtungen von »animalcules« stießen auf Skepsis, als er der Royal Society in London 1673 von seinen Entdeckungen berichtete.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erfasste die Begeisterung über die Allgegenwart von Zellen in lebenden Organismen den deutschen Biologen und Arzt Theodor Schwann, der als Professor und Experte für die Konstruktion von Versuchsgeräten bekannt war. Bei der Untersuchung menschlicher und tierischer Zellen fielen ihm immer wieder ähnliche Strukturen auf. Zur selben Zeit untersuchte Matthias Schleiden, ein Botanikprofessor und Kollege Schwanns an der Berliner Universität, Pflanzenzellen. Die beiden kooperierten und Schleiden berichtete Schwann von einem runden, dunklen Körperchen oder Kern, den er in den meisten seiner Pflanzenzellproben gesehen hatte.
Schwann hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine klaren Hinweise auf Kerne oder andere Strukturen in seinen Tierzellen gefunden. Das ist verständlich. Der Kern einer Pflanzenzelle ist auffällig und die ganze Außenseite der Zelle ist von einer relativ dicken, halbsteifen Wand umgeben, die ihr oft eine unter dem Mikroskop gut erkennbare geometrische Form verleiht. Wegen dieses Aussehens hatte Robert Hooke den Namen »Zellen« gewählt. Tierische Zellen haben weniger deutliche Kerne und keine dicken Wände. Ihre Zellmembranen sind dünn und flexibel, deshalb können die Zellen amorph sein und ihre Form ändern.
Tierische und pflanzliche Zellen haben Zellmembranen. Aber Pflanzenzellen haben eine harte Zellwand um die Membran herum, was ihnen ihre gleichmäßige Form verleiht.
Der Kern ist üblicherweise das Auffälligste bei den Organellen – den vielen inneren Strukturen, die in den Zellen spezifische Aufgaben haben. 1833 lieferte der schottische Botaniker Robert Brown als Erster eine komplette Beschreibung des Zellkerns und gab ihm seinen Namen. Schleiden aber war einer der Ersten, die erkannten, dass der Kern eine wichtige Funktion in der Zelle hat. Schleiden vermutete, dass neue Zellen aus den Kernen bestehender Zellen entstehen. Dabei hatte er die kleinen – und, wie man später entdeckte, sich rasch teilenden – Zellen im Endosperm vor Augen, dem stärkehaltigen Nahrungsspeicher von Pflanzensamen. Er stellte sich vor, dass ein Kern weitere Kerne generiert, so wie eine Pflanze Knospen treibt, und dann würde sich um den Kern herum durch Kristallisation oder auch spontan eine Zelle formen.
1838 publizierte Schleiden seine Ideen in einem Artikel mit dem Titel Beiträge zur Phytogenese. Unter Phytogenese versteht man die Lehre von der Herkunft und der Entwicklung der Pflanzen. Er schrieb, dass eine Pflanze aus Zellen besteht, und postulierte, dass die ersten Stadien im Leben einer Pflanze, aber auch ihre weitere Entwicklung, auf Zellen basieren.
1838 diskutierten Schleiden und Schwann bei einem Essen die Rolle des Zellkerns bei der Entstehung neuer Zellen. Dabei fiel Schwann die Ähnlichkeit von Tieren und Pflanzen auf. Bei seinen Experimenten an Kaulquappen und Schweineembryonen hatte er Objekte, die wie Zellkerne aussehen, im Notochord beobachtet, einer Struktur, die sich früh in der Entwicklung eines Wirbeltierembryos bildet und die später zur Wirbelsäule wird.
Schwann entwickelte Methoden, um tierische Zellmembranen und -kerne unter dem Mikroskop sichtbar zu machen. Er untersuchte tierische Gewebe, etwa Leber, Nieren und Pankreas, in frühen Entwicklungsphasen. Dabei kam er zu dem Schluss, dass Zellen die Grundeinheiten des Lebens sind – bei Tieren wie bei Pflanzen. Wenn ein Tier wächst, so erkannte er, entwickeln sich die Zellen zu spezialisierten Formen mit unterschiedlichen Funktionen, ein Prozess, den man Differenzierung nennt.
»Der Grund der Ernährung und des Wachstums liegt nicht in dem Organismus als Ganzem, sondern in den einzelnen Elementarteilen, den Zellen.«
Theodor Schwann
1839 formulierte Schwann seine Theorien zu Tier- und Pflanzenzellen in seinem Buch Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen. Mit Verweisen auf Schleiden postulierte er, dass alle Lebewesen aus Zellen bestehen und dass die Zelle der Grundbaustein des Lebens ist. Beide Prinzipien bildeten die Basis der Zelltheorie. Auf Schwann geht auch die Klassifikation erwachsener tierischer Gewebe in fünf Gruppen zurück, deren zelluläre Strukturen er genau beschrieb. Dabei unterschied er separate unabhängige Zellen (etwa im Blut), kompakte unabhängige Zellen (etwa in Fingernägeln, Haut und Federn), Zellen, deren Wände verschmolzen sind (in Knochen, Zähnen und Knorpel), lang gestreckte Zellen, die Fasern bilden (in Fasergewebe und Bändern) sowie Zellen, bei denen Wände und Hohlräume verschmolzen sind (in Muskeln, Sehnen und Nerven).
Die Idee, dass Zellen die grundlegenden strukturellen und funktionalen Einheiten aller Lebewesen sind, wurde rasch akzeptiert. 1858 fügte der berühmte deutsche Arzt und Politiker Rudolf Virchow ein drittes Prinzip hinzu: »Alle lebenden Zellen entstehen aus lebenden Zellen.« Virchow widersprach damit der vorherrschenden Ansicht, neue Zellen und lebende Materie könnten spontan entstehen, etwa durch Knospung oder Kristallisierung. Virchow hatte unter dem Mikroskop beobachtet, wie lebende Zellen sich teilen und dabei neue Zellen bilden, ein Prozess, den man heute Zellteilung nennt.
Das Mikroskop verbessern
James Smith konstruierte dieses Mikroskop 1826. Er benutzte Listers achromatische Linsen, um optische Abweichungen zu vermeiden.
Im frühen 17. Jahrhundert entwickelten holländische Optiker das erste zusammengesetzte Mikroskop. Etwas später baute Robert Hooke sein eigenes Mikroskop. 1665 veröffentlichte er seine Beobachtungen in illustrierter Form in seinem Buch Micrographia.
Unzufrieden mit der Qualität mikroskopischer Abbildungen, nahm der britische Optiker und Naturfoscher Joseph Jackson Lister (Vater von Joseph Lister, Pionier der antiseptischen Chirurgie) Ende der 1820er-Jahre die Hilfe von James Smith in Anspruch, einem Mitarbeiter des Instrumentenbauers William Tulley. Lister und Smith kombinierten Linsen aus verschiedenen Glastypen (Flint- und Kronglas) und konnten so optische Abweichungen (Verzerrung und Unschärfe) stark reduzieren. Ab 1830 schliff Lister seine eigenen Linsen und gab sein Wissen weiter. Seine neuen, verbesserten Mikroskope führten zu großen Fortschritten bei der Erforschung mikroskopischen Lebens.
Theodor Schwann
Theodor Schwann wurde 1810 in Neuss geboren. Er war der vierte Sohn des Goldschmieds und Druckers Leonard Schwann. Er studierte Medizin und promovierte 1834. Danach wurde er Assistent seines Professors, des renommmierten deutschen Physiologen Johannes Müller.
Mit neuesten mikroskopischen Methoden beobachtete Schwann die Rolle von Hefe bei der Gärung – sein Beitrag zur Keimtheorie von Louis Pasteur. Schwann studierte auch die Rolle von Enzymen bei der Verdauung, die Funktion von Muskeln und Nerven und er schaffte die Grundlagen der Embryologie. Mit 30 Jahren hatte er seine wichtigsten Entdeckungen gemacht. Als experimentell arbeitender Erfinder und als begabter Dozent bekam er in späteren Jahren viel Anerkennung für seine wissenschaftlichen Methoden. Schwann starb 1882 in Köln.
Hauptwerk
1839 Mikroskopische Untersuchungen über die Übereinstimmung in der Struktur und dem Wachstum der Tiere und Pflanzen