IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Lazzaro Spallanzani (1729–1799)
FRÜHER
um 180 n. Chr. Galen schließt aus Tiersektionen, Futter werde im Magen »assimiliert« und in der Leber in Blut verwandelt.
1543 Andreas Vesalius veröffentlicht Vom Aufbau des menschlichen Körpers mit einer detallierten Anatomie des Verdauungstrakts.
1648 Jan Baptist van Helmont beschreibt chemische Reaktionen im Körper und ihre Rolle bei der Verdauung.
SPÄTER
1823 Der britische Chemiker William Prout stellt fest, dass Magensaft Salzsäure enthält.
1836 Der deutsche Arzt Theodor Schwann isoliert und benennt das Verdauungsenzym Pepsin.
Bei der Verdauung wird Essen in Moleküle zerlegt, die mit dem Blutstrom durch den Körper transportiert und von den Zellen aufgenommen werden können. Der Prozess war bis ins späte 18. Jahrhundert ein Mysterium. Ein Durchbruch kam, als Lazzaro Spallanzani, ein italienischer Biologe, feststellte, dass Magensäfte spezielle Chemikalien enthalten, die Essen zersetzen können.
Vor Spallanzani hatten Ärzte konkurrierende Theorien entwickelt. Einige erwogen, die Körperwärme »koche« das Essen, um Energie zu produzieren. Eine Denkschule verglich die Verdauung mit der Gärung, wieder andere meinten, Nahrungsbrocken würden einfach in einem mechanischen Prozess (»Verreibung«) zermahlen.
Der Vitalismus ist eine noch ältere Theorie. Sie geht zurück auf die Antike, wurde von Aristoteles hochgehalten und lebte fort bis ins 19. Jahrhundert. Man glaubte, Körperprozesse würden von einer spirituellen Lebenskraft angetrieben, und argumentierte, etwas so Wundersames wie die Verdauung könne nicht rein physisch erklärt werden. Im 16. und 17. Jahrhundert machten der Flame Andreas Vesalius und der Brite William Harvey grundlegende Fortschritte in der Anatomie und ab dem frühen 18. Jahrhundert fanden Ärzte mehr über den Magen-Darm-Trakt heraus, indem sie Tiere und menschliche Leichen sezierten. Sie bemerkten, dass es saure Verdauungssäfte gibt, aber die meisten glaubten immer noch, Verdauung sei eher ein mechanischer als ein chemischer Prozess.
Verdauung findet auf drei Ebenen statt: Sie beginnt im Mund mit Kauen und Verdauungsenzymen im Speichel. Enzyme und Magensäure im Magen folgen, dann Enzyme im Darm.
In den späten 1770er-Jahren führte Spallanzani sorgfältige Versuche durch, die bewiesen, dass Verdauung ein chemischer Prozess ist. Er verbesserte das experimentelle Design des französischen Entomologen Antoine Derchault de Réaumur, der versucht hatte zu beweisen, dass Verdauung in vitro stattfinden kann – in künstlicher Umgebung außerhalb des Körpers –, wie man es erwarten würde, wenn sie chemisch wäre. Zu Spallanzanis Methoden gehörte die Fütterung von Krähen mit Futter, das in kleinen, durchlöcherten Zylindern an langen Zwirnfäden befestigt war. Nach einer gewissen Zeit wurden die Zylinder herausgeholt und man fand das Futter darin teilweise verdaut vor.
»Wenn ich etwas beweisen will, bin ich kein richtiger Wissenschaftler. Ich muss den Fakten folgen. Ich muss lernen, meine Vorurteile zu züchtigen.«
Lazzaro Spallanzani
Spallanzani extrahierte auch Magensaft aus den Mägen von Tieren, um Verdauungsexperimente in vitro durchzuführen. Er hielt den Magensaft bei Körpertemperatur und konnte direkt die chemische Zersetzung verschiedener Nahrung beobachten. Er stellte fest, dass Gemüse, Obst und Brot schneller verdaut werden als Fleisch und dass der Prozess in vitro länger dauert als im Magen. Dies deutet darauf hin, dass Magensaft bei Bedarf von der Magenwand nachgeliefert wird. Spallanzani betonte auch die Wichtigkeit des Kauens und des Speichels im Mund: Die Zerlegung in kleinere Teile vergrößert die Oberfläche, die dem Magensaft ausgesetzt ist, zudem enthält Speichel selbst Verdauungschemikalien.
Spallanzanis Funde ebneten den Weg zu weiteren Entdeckungen im 19. Jahrhundert. William Beaumont, Chirurg der US-Armee, sammelte Erkenntnisse an einem Patienten mit einer Schusswunde im Bauch, dessen Magensaft er isolierte. 1897 publizierte der russische Physiologe Iwan Pawlow seine Befunde über den neuronalen Mechanismus, der die Sekretion der Magensäure anstößt. Sie führten zu seinem berühmten Werk über konditionierte Reflexe bei Tieren.
Lazzaro Spallanzani
1729 als Sohn einer angesehenen Familie in Scandiano im Nordosten Italiens geboren, folgte Lazzaro Spallanzani zunächst dem Rat seines Vaters und studierte Jura. Doch bald wechselte er sein Fach aufgrund anderer Interessen, darunter Physik und Naturwissenschaften.
Mit Anfang 30 war Spallanzani ein geweihter katholischer Priester und zugleich Professor an der Universität von Modena. 1769 trat er eine Stelle an der Universität von Pavia an, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1799 blieb. Seine Forschung machte ihn bekannt in ganz Europa, er war Mitglied mehrer wissenschaftlicher Vereinigungen.
Neben seinen Arbeiten zur Verdauung forschte Spallanzani an der Fortpflanzung von Tieren: Er führte als Erster eine In-vitro-Befruchtung, an Fröschen, durch. Seine Experimente mit Fledermäusen nahmen die Entdeckung der Echoortung vorweg.
Hauptwerk
1780 Abhandlungen über die Physiologie von Tieren und Pflanzen