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DIE PFLANZE SETZT IHRE SÄFTE IN BEWEGUNG

TRANSLOKATION IN PFLANZEN

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUR

Ernst Münch (1876–1946)

FRÜHER

1837 Der deutsche Botaniker Theodor Hartig beobachtet Phloemzellen, die er »Siebröhren« nennt.

1858 Der Schweizer Botaniker Carl von Nägeli prägt den Begriff »Phloem«. Er vermutet, lange Phloemröhren könnten unlösbare Substanzen transportieren.

1928 Thomas Mason und Ernest Maskell stellen die Quelle/Senke-Theorie auf: Danach bewegt sich Zucker nur durch Diffusion in der Pflanze auf oder ab.

SPÄTER

1953 Die Entomologen John Kennedy aus Großbritannien und Thomas Mittler aus Österreich benutzen Blattläuse, um zu beweisen, dass Pflanzensaft mittels Fließdruck durch die Siebröhren des Phloems fließt.

Alle Organismen brauchen Energie aus Zucker. Bei der Translokation in Pflanzen werden der bei der Fotosynthese hergestellte Zucker sowie Nährstoffe, die von den Wurzeln aufgenommen werden, mit dem Saftstrom durch die Pflanze bewegt. Im 19. Jahrhundert beobachteten Botaniker Phloemzellen und sahen, dass Pflanzensaft in Gefäßen aus Phloem befördert wird. Doch welche Kraft – äußerer Druck, Diffusion oder Osmose – treibt den Pflanzensaft die Gefäße entlang?

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Münchs Theorie, die Massenstromhypothese, erklärt, wie Zucker sich in der Pflanze von der Quelle zur Senke verlagert. Dabei wirkt Osmose entlang einem Gradienten hydrostatischen Drucks.

Quelle und Senke

Der irische Botaniker Thomas Mason und sein englischer Kollege Ernest Maskell zeigten 1928, dass das Phloem Zucker in der Pflanze transportiert, und formulierten ihre Quelle/Senke-Theorie. Zucker entsteht an einer Stelle der Pflanze und wird zu einer anderen Stelle befördert, wo er gebraucht wird. Die Region, wo der Zucker entsteht, ist die »Quelle«, und die Region, wo er abgeladen wird, die »Senke«.

»Blätter stellen Zucker her. Sämtlicher Zucker, den Sie je gegessen haben, wurde zunächst in einem Blatt hergestellt.«

Hope Jahren

Amerikanische Geobiologin

Quelle und Senke können wechseln, abhängig von der Jahreszeit. Ein Beispiel: Wenn Karotten nach der Ernte in der Erde verbleiben, stirbt das grüne Blattwerk im Winter ab. Im Frühling ist die Karotte, also die Wurzel, die Quelle, weil sie Zucker gespeichert hat. Wenn Zucker zur Spitze der Karotte gesendet wird, um neues Blattwerk zu bilden, werden die neuen Blätter und Stängel zur Senke. Später fangen die reifen Blätter an, Fotosynthese zu treiben, und sind nun die Quelle, in der Zucker produziert wird. Wurzeln, Blüten, junge Stängel und Blätter brauchen Zucker und werden zu Senken.

Die Translokation

Mason und Maskell hatten nahegelegt, Pflanzensaft fließe allein durch Diffusion das Phloem entlang. Dann aber, 1930, publizierte der deutsche Pflanzenphysiologe Ernst Münch seine Theorie, die man heute Massenstrom-(oder Druckstrom-)hypothese nennt. Sie gilt als die beste Erklärung dafür, wie Pflanzensäfte von der Quelle zur Senke fließen.

In biologischen Systemen diffundiert Wasser durch Osmose passiv von Regionen hoher Wasser- und niedriger Zuckerkonzentration zu Regionen hoher Zucker- und niedriger Wasserkonzentration. Wenn Blätter fotosynthetisierten Zucker in Phloemzellen entladen, so beschrieb es Münch, zieht der hohe Zuckergehalt im Saft Wasser durch Osmose vom Xylem (Wassertransportgefäße) ins Phloem. Wie beim Anschalten eines Gartenschlauchs bewirkt der plötzliche Wasserstrom einen hohen Druck – eine Kraft, die man als hydrostatischen Druck kennt.

Laut Münch bewegt sich der Saft dem Druckgradienten entlang – von Regionen größeren hydrostatischen Drucks an der Quelle zu Regionen des geringsten hydrostatischen Drucks an den Senken.

Senken brauchen ständig Energie, sie entziehen dem Phloem aktiv Zucker. Sobald der Zucker weg ist, hat das Wasser im Phloem weniger Energie (weniger Wasserpotenzial, wie man sagt) als das Wasser im Xylem, das höheres Wasserpotenzial hat. Also fließt Wasser ins Xylem und bewegt sich im Transpirationsstrom aufwärts.

Blattläuse leben vom Pflanzensaft. Sie bohren mit ihren nadelförmigen Mundwerkzeugen (Stiletten) Phloemgefäße an. Die Fließgeschwindigkeit von Pflanzensaft wurde zum ersten Mal 1953 gemessen – indem man die Stilette von Blattläusen anschnitt. image

Phloemgewebe

»Lieferung« und »Empfang« von Zucker während der Translokation erforderm spezialisierte Transportzellen, Phloem genannt. Sie ähneln den Xylemzellen, die den Transpirationsstrom leiten.

1969 beschrieb die deutschamerikanische Pflanzenanatomin Katherine Esau die Struktur des Phloems mithilfe der Transmissionselektronenmikrosokpie (TEM). Phloemgewebe besteht aus zylindrischen Zellen mit perforierten Enden, die aneinandergelagert Gefäße (Siebröhren) bilden.

In krautigen Pflanzen, etwa Sonnenblumen, bilden das Wassertransportsystem (Xylem) und das Zuckertransportsystem (Phloem) ein gemeinsames Bündel. Es verläuft von den Wurzeln in die Stängel, Blätter, Blüten und Früchte. In holzigen Pflanzen, etwa Eichen, besteht das Holz aus Xylem, die Rinde aus Phloem.

Im Winter fressen manche Tiere Rinde, etwa Hirsche. Wird die Rinde ringsum abgefressen, kann der Baum sterben, weil ihm der Zuckernachschub aus dem Phloem abgeschnitten wird.