IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Thomas Young (1773–1829)
FRÜHER
1704 Isaac Newton veröffentlicht Opticks mit vielen Experimenten über die physische Natur des Lichts.
1794 Der britische Chemiker John Dalton erforscht die Farbenblindheit. Er glaubt, sie resultiere aus einer Entfärbung der wässrigen Flüssigkeit im Auge.
SPÄTER
1876 Der deutsche Physiologe Franz Boll entdeckt Rhodopsin, das lichtempfindliche Protein aus den Stäbchen der Netzhaut.
1967 Der Amerikaner George Wald erhält den Medizin-Nobelpreis für seine Arbeiten über Fotopsine, die Fotorezeptorproteine in den Zapfen der Netzhaut.
Farbe ist eine der wichtigsten Qualitäten, in denen sehtüchtige Menschen und Tiere die Welt erleben. Jahrhundertelang glaubte man, Licht und Farbe seien zwei verschiedene Phänomene: Licht sei eher Träger der Farbe als ihre Quelle. Farbe galt als Eigenschaft von Objekten, von denen sie durch Licht zum Betrachter transportiert wird. Der englische Physiker Isaac Newton machte eine Reihe von genialen Experimenten, die er in seinem Buch Opticks veröffentlichte. Unter anderem zeigte er, dass die Brechung eines weißen Lichtstrahls an einem Prisma diesen in ein Spektrum von Farben zerlegt. Damit bewies er, dass Farbe in der Tat eine Eigenschaft von Licht ist. Doch die Frage blieb offen: Wie sehen wir Farbe?
René Descartes, Newton und andere behaupteten fälschlich, dies geschehe über Vibrationen: Licht unterschiedlicher Farben bewirke Vibrationen verschiedener Frequenzen, die das Gehirn als Farbe interpretiere. Der britische Erfinder George Palmer publizierte 1777 eine Streitschrift, in der es hieß, Licht bestehe aus nur drei Strahlen – roten, gelben und blauen – und es gebe drei Typen von Detektoren in der Netzhaut, von denen jeder von einem Typ dieser Farbstrahlen bewegt werde. Gemischtes Licht stimuliere mehr als einen Detektortyp, wenn alle gleich stark stimuliert würden, entstehe der Eindruck weißen Lichts. Farbenblindheit entstehe dagegen, wenn Detektoren fehlen. Palmer skizzierte damit als Erster ein Dreifarbenkonzept.
1850 entwickelte Helmholtz Youngs Ideen weiter. Er erklärte, dass drei Zapfentypen empfindlich für verschiedene Wellenlängen des Lichts sind – kurze (blau), mittlere (grün) und lange (rot). Mit Rücksicht auf Helmholtz’s Beitrag wurde die Dreifarbentheorie Young-Helmholtz-Theorie genannt.
Der britische Physiker Thomas Young war ein Mann von so beeindruckendem Intellekt, dass seine Mitstudenten an der Universität von Cambridge ihn »Phänomen Young« nannten. 1801 legte er in einer Vorlesungsreihe an der Royal Society in London seine Theorie des Dreikanal-Farbensehens dar. Youngs Vorstellungen stützten sich auf seine Überzeugung, dass Licht eine Welle ist und dass alles, was nötig ist, um ein volles Farbspektrum zu sehen, drei Farbrezeptoren sind, die den drei Hauptfarben entsprechen. Es sei, sagte er, »nahezu unmöglich, sich vorzustellen, dass jeder sensitive Punkt der Netzhaut eine unendliche Zahl von Partikeln enthält, jeder davon in der Lage, mit jeder möglichen Welle in perfekter Übereinstimmung zu vibrieren. Darum muss man sich die Zahl als begrenzt vorstellen … auf die drei Hauptfarben Rot, Gelb und Blau.«
Young hatte keinen anatomischen Beweis für seine Idee und seine Wellentheorie stand im Widerspruch zur allgemein akzeptierten Vorstellung Newtons, Licht bestehe aus einem Strom winziger Partikel. Darum fand Youngs Dreifarbentheorie wenig Unterstützung.
Im Lauf der nächsten Dekaden wurde jedoch die Wellennatur des Lichts unangreifbar, dank Forschern wie Augustin-Jean Fresnel, Young und anderen. Der Deutsche Hermann von Helmholtz von der Universität Königsberg erforschte die Mischung von Farben in einer Reihe von Experimenten mit Prismen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Anfangs konnte er weißes Licht nur erzeugen, wenn er Blau und Gelb mischte. Weil dies der bekannten Tatsache widersprach, dass das Mischen von gelben und blauen Pigmenten Grün ergibt, erforschte Helmholtz den Unterschied zwischen dem Mischen von Licht verschiedener Wellenlängen (additives Mischen) und Pigmenten verschiedener Farben (subtraktives Mischen). Wenn Pigmente gemischt werden, bleiben nur die Frequenzen übrig, die beide reflektieren. 1853 konnte der deutsche Mathematiker Hermann Grassmann zeigen, dass jeder Punkt auf einem Farbkreis eine Komplementärfarbe hat. Davon inspiriert, kehrte Helmholtz zu seinen Experimenten zurück – mit neuer Ausrüstung – und fand tatsächlich weitere komplementäre Paare.
»Die Natur des Lichts ist … nicht von materieller Bedeutung für die Sorgen des Lebens.«
Thomas Young
Über die Theorie von Licht und Farben, 1801
Um dieselbe Zeit machte der schottische Physiker James Clerk Maxwell ähnliche Farbmessungen. Einer seiner Professoren an der University of Edinburgh hatte sein Interesse am Farbensehen geweckt. Maxwell forschte speziell zu der Frage, wie Menschen Farbmischungen wahrnehmen. Er benutzte zwei oder drei farbige Scheiben, montiert auf rotierenden Spitzen – so arrangiert, dass verschiedene Prozentsätze jeder Farbe sichtbar waren. Wenn die Scheiben sehr schnell rotierten, verschwammen die Farben. Maxwell notierte sorgfältig die Farben und Proportionen, die nötig waren, um den inneren und den äußeren Ring in Übereinstimmung zu bringen. Seine Demonstration der Mischung dreier Farben war der beste Beweis dafür, dass Youngs Dreifarbentheorie richtig ist. Jetzt fehlten nur noch die biologischen Details.
Der spanische Neuroanatom Santiago Ramón y Cajal gilt als Vater der modernen Neurowissenschaft. Er setzte seine künstlerischen Talente ein, um detaillierte Zeichnungen von Nervenzellen zu produzieren. In den 1890er-Jahren beschrieb er so die Struktur der Netzhaut.
»Sinnliche Wahrnehmung liefert ja am Ende unmittelbar oder mittelbar den Stoff zu allem menschlichen Wissen.«
Hermann von Helmholtz
Die neueren Fortschritte in der Theorie des Sehens, 1868
Die Netzhaut ist in der Tat ein Teil des zentralen Nervensystems. Etwa 0,5 Millimeter dick, kleidet sie die Rückseite des Auges aus und bedeckt etwa 65 Prozent von dessen innerer Oberfläche. Die Schicht der Netzhaut, die der Linse vorn im Auge am nächsten ist, besteht aus Ganglionzellen: Nervenzellen, die Information über den Sehnerv vom Auge ins Gehirn tragen. Die Fotosensoren (Stäbchen und Zapfen) liegen in der innersten Schicht der Netzhaut unter Pigmentepithel (einer Zellschicht) und Aderhaut (Gewebe aus Blutgefäßen). Dies bedeutet, dass das Licht, das ins Auge dringt, erst fast die gesamte Dicke der Netzhaut durchdringen muss, bevor es auf die Stäbchen und Zapfen trifft und diese aktiviert.
Die zahlreichsten Fotorezeptoren sind die Stäbchen: Es gibt etwa 120 Mio. davon in einer menschlichen Netzhaut. Die Stäbchen sind rund 1000-mal so empfindlich für Licht wie die Zapfen, aber nicht für Farbe. Wir können damit bei schwachem Licht sehen. Sie sind auch sehr empfindliche Bewegungsdetektoren, speziell am Rand des Sehfelds, wo weit mehr Stäbchen als Zapfen liegen.
Wie Thomas Young vermutet und wie Maxwell und Helmholtz bestätigt hatten, werden die Farben, die wir sehen, bestimmt von den Lichtwellenlängen, die in unser Auge dringen. Die meisten Menschen sind Trichromaten, sie haben drei Typen farbempfindlicher Zapfen in ihren Augen. Es gibt etwa 6 bis 7 Mio. Zapfen im Auge, die meisten konzentriert auf die 0,3 Millimeter breite Fovea centralis, die eine kleine Delle in der Netzhaut bildet. Fast zwei Drittel der Zapfen in der Netzhaut reagieren am stärksten auf rotes Licht, nur zwei Prozent reagieren am besten auf blaues Licht. Wenn man einen Apfel betrachtet, werden verschiedene Zapfen verschieden stark stimuliert und senden eine Kaskade von Signalen über den Sehnerv zur Sehrinde. Hier wird die Information verarbeitet und das Gehirn entscheidet, ob der Apfel rot oder grün ist.
Diese Zeichnung von Ramón y Cajal zeigt die Komplexität der Netzhautstruktur. Ramón y Cajal definiert die Schichten der Netzhaut. Die Stäbchen und Zapfen sind oben im Bild zu sehen.
Man weiß inzwischen, dass nicht alle Wirbeltiere dieselbe Zahl an Zapfentypen in der Netzhaut haben. Menschen und andere Primaten sind Trichromaten, Wale, Delfine und Robben sind Monochromaten mit nur einem Zapfentyp, die meisten anderen Säugetiere sind Dichromaten (mit zwei Zapfentypen). Einige Vogelarten – aber auch einige wenige Menschen – sind Tetrachromaten: Sie haben vier Zapfentypen.
Tetrachromasie
Ein Test auf Tetrachromasie oder Vierkanal-Farbensehen: Die Versuchsperson (links oben) wird mit Lichtstrahlen verschiedener Farben getestet.
Jeder Zapfenzelltyp im Auge kann rund 100 Schattierungen unterscheiden. Damit können die drei Typen gemeinsam rund 1 Mio. veschiedene Farben unterscheiden.
Tetrachromasie bei Menschen geht auf Variationen von Genen auf dem X-Chromosom zurück, die für den roten und den grünen Zapfentyp codieren. Sie ist bei Frauen häufiger, kann aber auch bei Männern vorkommen. Sechs Prozent aller Männer tragen ein Gen, das einen abweichenden roten oder grünen Zapfentyp produziert. Ihr Farbensehen ist ein wenig anders als normal. Mit ihren zwei X-Chromosomen können Frauen die normalen Rot- und Grüngene auf einem und eine Genvariante auf dem anderen X-Chromosom tragen. So kann es zu vier Typen kommen.
Am anderen Ende der Skala stehen Farbenblinde, die meist Dichromaten sind. Mit ihren zwei Zapfentypen können sie nur rund 10 000 Farbtöne unterscheiden.
Sinnesrezeptoren
Sinnesrezeptoren von Tieren sind die Dendriten sensorischer Neurone. Sie sind auf spezifische Reize spezialisiert. Die Neurone leiten Informationen an das Gehirn weiter, das sie dann rasch organisiert, priorisiert, analysiert und darauf reagiert. Fotorezeptoren im Auge detektieren Licht, Thermorezeptoren und Mechanorezeptoren in der Haut messen Temperatur und Druckänderungen. Nozizeptoren im ganzen Körper registrieren Schmerz und Chemorezeptoren in Nase und Zunge erspüren gelöste Stoffe. Sensoren kann man auch klassifizieren als Exterozeptoren (die externe Reize empfangen), Interozeptoren (die Reize von inneren Organen und Blutgefäßen empfangen) und Propriozeptoren (die Reize von Skelettmuskeln empfangen und die Körperposition melden).