IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Jane Goodall (*1934)
FRÜHER
1887 Der britische Meeresvermesser Alfred Carpenter beobachtet, dass Javaneraffen Austern mit Steinen öffnen.
1939 Edna Fisher beschreibt, wie ein Seeotter einen Stein als Amboss benutzt, um Schalentiere zu öffnen.
SPÄTER
1982 Elizabeth McMahan enthüllt, dass Raubwanzen nach Termiten »angeln«, wobei sie die tote Haut von Termiten als Köder benutzen.
1989 Ein Team der Cambridge University stellt fest, dass Schmutzgeier angeborenermaßen Steine benutzen, um Eier zu öffnen.
2020 In Australien beobachtet Sonja Wild Tümmler, die Fische in Muschelschalen fangen und dann den Fisch in ihr Maul schütteln.
Dass Tiere Werkzeug benutzen, ist schon lang bekannt. 1871 erwähnte Charles Darwin in Die Abstammung des Menschen den Werkzeuggebrauch von Primaten. Doch die wissenschaftliche Welt nahm nicht viel Notiz davon – bis zum November 1960, als die junge britische Feldforscherin Jane Goodall einen Schimpansen dabei beobachtete, wie er einen Strohhalm benutzte, um Termiten zu »angeln«. Als sie ihrem Vorgesetzten, dem Paläanthropologen Louis Leakey, von ihrer Entdeckung berichtete, antwortete dieser: »Jetzt müssen wir Werkzeug neu definieren, den Menschen neu definieren oder Schimpansen als Menschen anerkennen.«
Der Schimpanse ist der engste lebende Verwandte des Menschen und man ist versucht, in seinem Verhalten ein Spiegelbild dessen zu sehen, wie unsere Vorfahren einst vor Millionen von Jahren ihren Alltag gestaltet haben. Goodall entdeckte auch, dass ihre Schimpansen Blätter von Stängeln abstreiften, um sie leichter in Termitennester stecken zu können. Das bedeutet: Sie benutzen nicht nur Werkzeug, sie stellen es auch her.
Einige Schimpansengemeinschaften »angeln« nur oberirdisch lebende Termiten, andere nur unterirdische. Dies ist ein Beispiel für die kulturelle Diversität von Schimpansen.
»Weder die nackte Hand noch der Verstand … erreichen viel. Nur mit Instrumenten und Hilfsmitteln gelingt das Werk.«
Francis Bacon
Englischer Philosoph (1561–1626)
Goodall identifizierte neun verschiedene Arten, wie Schimpansen Stängel, Zweige, Blätter und Steine benutzen, um Aufgaben rund um Essen, Trinken und Reinigen zu erledigen – aber auch als Waffen. Im Kongobecken beobachteten Forscher, dass Schimpansen feine Stöckchen kauen, um die Enden abzuflachen. Sie bauen sich so Spatel, um in Wildbienennestern Honig aufzutunken. Im Senegal nagen sie die Enden von Zweigen zu scharfen Spitzen und spießen damit Galagos (Buschbabys) auf, die sich in Baumhöhlen verstecken. Und in der Elfenbeinküste benutzen Schimpansen große Steine, um Pandanüsse zu knacken. Für einen guten Stein stehen sie sogar Schlange.
2004 wurde klar, dass das Knacken von Nüssen keine Besonderheit von Schimpansen ist. In Brasilien benutzen bärtige Kapuzineraffen einen Amboss und verschiedene Steinhämmer, um Cashewkerne zu knacken. Der Kern wird so auf den Amboss gelegt, dass der Effekt maximal ist, die Kraft, die der Affe beim Hämmern aufwendet, variiert je nach Größe, Form und Härte der Cashew.
Bärtige Kapuzineraffen sind bekannt dafür, dass sie zum Öffnen von Palmnüssen große Steine benutzen, weil sie dann weniger Schläge brauchen.
Bei all diesen Primaten werden Herstellung und Gebrauch von Werkzeug von anderen in der Gruppe gelernt – man nennt dies soziales Lernen. Einige Mitglieder der Gruppe werden zu Experten, ihre Fähigkeiten gehen auf jahrelange Erfahrungen zurück. Ihre »Lehrlinge« schauen ihnen eifrig zu, um zu lernen. Weil jede Population ihre eigene Weise hat, Dinge zu tun, glauben Primatologen sogar, dass diese Primaten verschiedene Kulturen haben.
Vogelgehirne
Neukaledonische Krähen sind fähig und geschickt genug, um einen Haken zu bauen, indem sie das Ende eines Zweigs umbiegen.
1905 sah der US-Ornithologe Edward Gifford Galapagos-Spechtfinken zu, wie sie mit Kaktusstacheln Maden aus Löchern pulten. Neukaledonische Krähen haben die Werkzeugherstellung auf ein neues Niveau gehoben, das wurde 2018 entdeckt. Sie formen aus Zweigen zwei Arten von Haken, um Insekten aus Baumrinde zu stochern. Wie Schimpansen stellen diese Vögel präzise Werkzeuge her, wie Menschen sie erst vor 200 000 Jahren, in der frühen Altsteinzeit bauten.
Aber der Gebrauch des Feuers bleibt doch dem Menschen vorbehalten? Vielleicht nicht. 2017 beobachtete der Australier Bob Gosford, dass Schwarzmilane, Habichtfalken und Keilschwanzweihen brennende Zweige oder Äste aufheben und sie zu unverbrannten Stellen tragen, um neue Feuer zu entzünden. So können sie die fliehenden Insekten und Reptilien fangen. Ureinwohner der Nördlichen Territorien Australiens kennen dieses Verhalten schon lang. Sie haben es sogar in ihre heiligen Zeremonien aufgenommen.