IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Rosalind Franklin (1920–1958)
FRÜHER
1. Jh. v. Chr. Der römische Gelehrte Marcus Varro meint, manche Infektionen würden durch unsichtbare lebende Erreger verursacht.
1880er Pasteur entwickelt einen Impfstoff gegen Tollwut.
1915 Der britische Bakteriologe Frederick Twort entdeckt »filtrierbare Erreger«, die Bakterien infizieren können.
SPÄTER
1962 Der Amerikaner John Trentin berichtet, dass das menschliche Adenovirus bei Tieren Krebs auslösen kann.
1970 Reverse Transkriptase – ein Enzym, mit dem manche Viren DNA-Kopien ihrer RNA machen – wird beschrieben.
Mitte des 19. Jahrhunderts bemerkten holländische Bauern, dass grüne Tabakblätter fleckig braun und gelb wurden und dann abstarben. 1879 nannte der deutsche Pflanzenpathologe Adolf Mayer die Störung Tabakmosaikkrankheit. Er zeigte, dass der Pflanzensaft eines kranken Tabakblatts die Krankheit an ein gesundes Blatt weitergeben kann. Aber er konnte den Erreger weder in Kultur ziehen noch konnte er ihn unter dem Mikroskop entdecken.
1887 presste der russische Botaniker Dmitri Ivanovski den Pflanzensaft kranker Tabakblätter durch einen Porzellanfilter, dessen Poren für Bakterien zu klein waren. Als er den gefilterten Saft auf ein gesundes Blatt auftrug, wurde es krank. Er schloss daraus, dass die Tabakmosaikkrankheit entweder von einem Gift verursacht wird, das Bakterien ausscheiden, oder dass Bakterien sich durch einen Riss im Porzellan gezwängt haben mussten.
Dieses Tabakblatt ist braun und gelb gefleckt – wegen der Tabakmosaikkrankheit. Der einzige Weg, das Virus zu beseitigen, ist die Zerstörung der infizierten Pflanzen.
Der holländische Mikrobiologe Martinus Beijerink machte ähnliche Experimente mit Filtern, kam aber zu einem anderen Schluss. Er postulierte, der Erreger der Tabakmosaikkrankheit sei kein Bakterium, sondern etwas Kleineres, Nichtzelluläres. Als er seine Befunde 1898 publizierte, führte er den Begriff »Virus« ein, um diese neue Art Pathogen zu bezeichnen. Wie Mayer und Ivanovski konnte er es nicht in Kultur ziehen, war aber überzeugt, dass es in die Zellen lebender Pflanzen eindringen und sich dort vermehren kann.
Wissenschaftler schauten sich andere Krankheiten unbekannter Ursache an. 1901 folgerten amerikanische Forscher, dass Gelbfieber ebenfalls durch einen »filtrierbaren Erreger« ausgelöst wird – also etwas, was klein genug ist, durch einen Porzellanfilter zu dringen. Es wurde vermutet, die Maul- und Klauenseuche werde durch einen ähnlichen Erreger verursacht. Doch die Forscher waren noch nicht überzeugt, dass es sich um ein nicht zelluläres Pathogen handelt, wie Beijerink vorgeschlagen hatte.
1929 berichtete der amerikanische Biologe Francis O. Holmes, dass verdünnter Pflanzensaft von infizierten Tabakpflanzen kleine, getrennte nekrotische (tote) Areale hinterlässt, wenn man ihn auf ein nicht infiziertes, lebendes Tabakblatt sprüht. Je verdünnter der Saft, desto größer die Abstände zwischen den »Todesflecken«. Diese Entdeckung war ein Hinweis darauf, dass das verursachende »Virus« in Form von Partikeln oder großen Molekülen vorliegt. In den frühen 1930er-Jahren wurden die ersten Elektronenmikroskope entwickelt. Sie hatten eine viel größere Auflösung als Lichtmikroskope. Am Ende des Jahrzehnts sah man die ersten klaren Aufnahmen von Viren. Sie belegten, dass Viren Partikel sind. In den meisten Fällen sahen sie ganz anders als Bakterien aus und sie unterschieden sich in Größe und Form von einer Krankheit zur anderen. Ihr typischer Durchmesser war 20 bis 1000 Nanometer (nm). Bakterien sind im Allgemeinen viel größer: 2500 nm im Durchschnitt.
Mitte der 1930er-Jahre machte die Wissenschaft Fortschritte, was die Zusammensetzung von Viren betrifft. Der amerikanische Biochemiker Wendell Stanley kristallisierte das Tabakmosaikvirus (TMV). Er behandelte es mit verschiedenen Chemikalien und analysierte die Abbauprodukte. Er entdeckte, dass Virenpartikel ein Aggregat aus Proteinen und Nukleinsäuren sind.
Ab den 1940er-Jahren benutzten Forscher die neue Technik der Röntgenstrukturanalyse, um die Struktur von Viren zu untersuchen. Viele Details der TMV-Struktur wurden von der britischen Expertin Rosalind Franklin beschrieben, die zuvor zur Entdeckung der DNA-Struktur beigetragen hatte. 1955 fertigte sie die bis heute klarsten Röntgendiffraktionsbilder des TMV an. Später im Jahr publizierte sie einen Artikel, in dem sie klarstellte, dass alle TMV-Partikel dieselbe Länge haben. Franklin kam schnell zu dem Postulat, dass jeder TMV-Partikel zwei Teile hat: außen herum ein langes, dünnes, hohles Stäbchen oder Rohr, bestehend aus Proteinmolekülen, die in Schraubenform (Spiralen) arrangiert sind, innen einen spiraligen Strang aus RNA, der an der Innenwand des Rohrs entlangläuft. Diese Ideen wurden später bewiesen. Zusammen mit Kollegen erforschte Franklin auch die Strukturen weiterer Pflanzenviren – und das Poliovirus.
In den späten 1950er-Jahren war klar, dass Viren aus Nukleinsäure (RNA oder DNA) bestehen, die in eine feste, starre äußere Hülle verpackt sind, die man Kapsid nennt – eine Struktur, die ganz anders ist als bei Bakterien. In den 1960er-Jahren entdeckten Wissenschaftler, dass manche Tierviren eine zusätzliche äußere Lipidschicht haben, Virushülle genannt, oft mit eingebetteten Proteinmolekülen.
Virologen wissen inzwischen, dass die Virushülle zwei Funktionen hat: die RNA oder DNA im Kern vor den Enzymen des Immunsystems des Wirts zu schützen und sich an spezielle Rezeptoren einer möglichen Wirtszelle anzulagern.
In den späten 1950er-Jahren waren sich Biologen weitgehend einig, dass Viren sich in den Zellen der Tiere oder Pflanzen vermehren, die sie infizieren, doch wie sie das genau machen, blieb ein Rätsel. In den 1960er-Jahren trugen Biologen Beweise aus 25 Jahren zusammen und arbeiteten heraus, wie sich Viren replizieren.
Ein Virus braucht eine Wirtszelle, um sich zu replizieren. Sobald ein Virus eine passende Wirtszelle getroffen hat, heftet es sich an und injiziert seine Nukleinsäure durch die Hülle hindurch in die Zelle. Alternativ kann auch der ganze Viruspartikel von der Zelle verschluckt werden und dort seine Nukleinsäure ausschütten. Die virale Nukleinsäure kapert dann das Proteinherstellungssystem der Zelle sowie deren Mechanismen der DNA-Replikation, um viele Kopien von sich selbst herzustellen. Ein Teil der Nukleinsäure dirigiert die Herstellung der Proteinkomponenten für neue Viruspartikel. Die neuen Nukleinsäure- und Proteinkomponenten lagern sich dann selbsttätig zu neuen Viruspartikeln zusammen. Diese brechen am Ende aus der Zelle aus, zerstören sie dabei und verbreiten die Infektion, indem sie schnell weitere Zellen befallen und zerstören. Die Details in Lebenszyklus und Replikation unterscheiden sich ein wenig von Virus zu Virus – spezielle Unterschiede gibt es zum Beispiel zwischen DNA- und RNA-Viren.
Eine Menge Forschung ist aufgewendet worden, um die verschiedenen Gruppen von Viren und ihren jeweiligen Lebenszyklus zu verstehen – und dabei auch Methoden zu finden, sie zu bekämpfen. Beispiele für gängige Virusinfektionen sind verschiedene Grippestämme, Windpocken und Mumps. Die Viruskrankheit Ebola wurde 1976 entdeckt, COVID-19 2019. 2020 entwickelten Forscher Impfstoffe zum Schutz vor COVID-19.
Die Forschung hat gezeigt, dass Viren in der Umwelt allgegenwärtig sind. Etwa 10 Mio. Viruspartikel schwimmen in einem Teelöffel Wasser. Die meisten sind Viren, die Bakterien und Blaualgen infizieren. Die überwältigende Mehrheit von ihnen sind für Menschen und Tiere harmlos, aber wichtig für die Regulation mariner Ökosysteme.
Dieser Querschnitt zeigt die Struktur eines COVID-19-(SARS-CoV-2-)Viruspartikels. Der äußere Teil, die Virushülle, bsteht aus einer sphärischen Lipidschicht, in der drei Typen von Proteinmolekülen eingebettet sind: Spike-, Membran- und Hüllproteine. Innerhalb der Hülle ist ein RNA-Strang in eine Kette aus Kapsidproteinen verpackt.
Rosalind Franklin
Geboren in London 1920, fiel Franklin schon in der Schule wegen ihres herausragenden wissenschaftlichen Talents auf. Sie studierte Naturwissenschaften an der University of Cambridge, machte ihren Abschluss 1941 und promovierte 1945. Zwei Jahre später zog sie nach Paris, wo sie zur Expertin für Röntgenbeugung wurde. Nach ihrer Rückkehr nach London 1951 schloss sich Franklin einem Team am King’s College an, das diese Technik benutzte, um die 3-D-Struktur der DNA zu entschlüsseln. Einer ihrer Studenten machte das Foto 51, den wichtigsten Beweis in dieser Frage. 1953 begann Franklin, die Struktur von RNA und die des Tabakmosaikvirus zu studieren, womit sie die Grundlage der strukturellen Virologie legte. 1956 wurde bei ihr Eierstockkrebs diagnostiziert. Sie arbeitete weiter, bis sie 1958 im Alter von 37 Jahren starb.
Hauptwerke
1953 Evidence for 2-Chain Helix in Crystalline Structure of Sodium Deoxyribonucleate
1955 Structure of Tobacco Mosaic Virus
Das Elektronenmikroskop in der Virusfoschung
Das Poliovirus wurde 1952 zum ersten Mal sichtbar gemacht. Dieses Bild entstand 2008 (EM-Foto, nachträglich eingefärbt).
Ein Elektronenmikroskop (EM) zielt mit einem sich schnell bewegenden Elektronenstrahl auf das Objekt, das sichtbar gemacht werden soll. Das erste EM wurde 1931 von den deutschen Forschern Ernst Ruska und Max Knoll entwickelt, es konnte 400-fach vergrößern. Die stärksten modernen Elektronenmikroskope erreichen eine Auflösung von der halben Breite eines Wasserstoffatoms.
Elektronenmikroskope sind wertvolle Werkzeuge bei der Identifikation von Viren und bei der Entdeckung neuer Viren. 1939 bildeten Ruska und zwei Kollegen als Erste ein Virus (TMV) ab. 1948 wurden Unterschiede zwischen Pocken- und Windpockenviren gezeigt. Virologen benutzen die Elektronenmikroskopie auch, um die Ursache neuer Krankheitsausbrüche zu untersuchen. 1976 wurde das Ebolapathogen damit entdeckt. Das EM ist auch unentbehrlich, um die Interaktion zwischen Viren und den Zellen und Geweben ihrer Wirte zu studieren.