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ANTIKÖRPER SIND DER PRÜFSTEIN DER IMMUNOLOGISCHEN THEORIE

IMMUNANTWORT

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUR

Frank Macfarlane Burnet (1899–1985)

FRÜHER

1897 Paul Ehrlich stellt die Seitenkettentheorie auf, um zu erklären, wie das Immunsystem funktioniert.

1955 Niels Jerne beschreibt, was Frank Burnet später klonale Selektion nennen wird.

SPÄTER

1958 Gustav Nossal und Joshua Lederberg zeigen, dass B-Zellen immer nur einen Antikörper produzieren – ein Beweis für klonale Selektion.

1975 Die Immunologin Eva Klein entdeckt die natürlichen Killerzellen.

1990 Eine Gentherapie für den schweren kombinierten Immundefekt (SCID) wird in den USA entwickelt.

Der Körper ist gegen feindliche Pathogene (Pilze, Bakterien und Viren), Parasiten und Krebs durch sein Immunsystem geschützt. Es besteht aus mehreren Verteidigungslinien und kann grob unterteilt werden in das angeborene und das adaptive System. Das angeborene Immunsystem ist eine Kombination aus allgemeinen Abwehrmaßnahmen, darunter die Haut und eine Vielfalt von Zellen, die eindringende Pathogene angreifen. Zu diesen Zellen gehören Phagozyten, die Pathogene auffressen, und natürliche Killerzellen, die infizierte Zellen töten. Wird das angeborene Immunsystem mit einer Attacke durch Pathogene nicht fertig, wird zusätzlich das adaptive aktiviert. Es nutzt einen Typ weißer Blutkörperchen namens Lymphozyten, um eine gezieltere Antwort zu geben. Die wichtigsten Lymphozyten heißen B- und T-Zellen.

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Klonale Selektion

1955 stellte der dänische Immunologe Niels Jerne die These auf, es gebe bereits vor jeglicher Infektion eine Vielfalt von Lymphozyten im Körper – und wenn ein Pathogen den Körper befällt, werde ein Typ ausgewählt, der zu diesem passt und einen Antikörper produziert, der das Pathogen zerstört. Der australische Immunologe Frank Macfarlane Burnet unterstützte Jernes Idee, indem er 1957 sagte, der ausgewählte Lymphozyt werde in großem Umfang reproduziert (geklont). Burnet nannte diesen Prozess klonale Selektion. Er erklärte, das Immunsystem könne sich an die individuelle Molekülstruktur (das Antigen) auf der Oberfläche des Pathogens erinnern. Während einige Lymphozyten sofort handeln und das Pathogen attackieren, so postulierte er, behalten andere das Antigen für den Fall zukünftiger Attacken im Gedächtnis. Letztere bleiben lang erhalten und verleihen dem Körper Immunität.

Jerne und Burnet verdankten der Forschung des deutschen Bakteriologen Paul Ehrlich viel. 1897 hatte er die Seitenkettentheorie der Antikörperproduktion vorgestellt, in der jede Zelle im Immunsystem viele »Seitenketten« (Rezeptoren) exprimiert (aufbaut), die sich an Moleküle außerhalb der Zelle anheften können. Er glaubte, dass diese Zellen als Antikörper wirken und den Körper gegen Infektionen schützen.

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Ein T-Zell-Lymphozyt (gelb) hat sich an eine Prostatakrebszelle angeheftet (EM-Foto). Manche T-Zellen erkennen Tumor-Antigene auf der Oberfläche einer Krebszelle und binden sich daran.

Ehrlich lag nicht ganz richtig. Er glaubte, jede Immunzelle exprimiere all die vielen Rezeptortypen, die für Antikörper typisch sind. Aber er konnte nicht erklären, wie eine einzige Zelle die erforderlichen Rezeptoren für die vielen verschiedenen Arten von Antigenen exprimieren kann. Auf ein weiteres Problem stieß später der österreichische Immunologe Karl Landsteiner. Er zeigte nämlich, dass man Antikörper erzeugen kann, die auf chemisch synthetisierte Antigene zielen. Damit stellte sich die Frage, warum Zellen vorgeformte Rezeptoren für anorganische Substanzen besitzen sollten. Burnet begriff, dass jede Zelle nur einen Rezeptor hat.

Die Hauptakteure des adaptiven Immunsystems, B- und T-Zellen, haben jeweils Rezeptoren (BCR und TCR), die an andere Zellen andocken können, aber sie machen auch einen bemerkenswerten Prozess durch, wenn sie sich teilen. Eine absichtliche Umstrukturierung ihres Genmaterials verleiht jeder neuen Zelle einen einzigartigen Rezeptor – eine Diversität, die den Körper befähigt, jedes potenzielle Antigen zu erkennen und darauf zu antworten.

B- und T-Zellen operieren sehr unterschiedlich. B-Zellen produzieren Antikörper und bekämpfen Pathogene außerhalb von Zellen, etwa Bakterien. T-Zellen bekämpfen Pathogene, die in Zellen eindringen, etwa Viren, sowie Krebs.

Wenn ein Pathogen in den Körper eindringt, wird es von spezialisierten Phagozyten untersucht und zerstört. Die Phagozyten präsentieren dann das spezifische Antigen des Pathogens auf ihrer Membran. Nun kann eine B- oder T-Zelle mit einem Rezeptor, der das Antigen erkennt, sich daran anheften. Die B- oder T-Zelle klont sich dann rasch und bildet eine Armee zur Abwehr des Eindringlings.

Sowohl B- als auch T-Zellen werden im Knochenmark gebildet, aber T-Zellen entwickeln sich im Thymus weiter. Sie zirkulieren dann im Körper, bis sie ein Antigen erkennen. Nun vermehren sie sich und reifen zu verschiedenen Typen. Ein Typ heißt T-Helfer-Zelle (TH-Zelle), er aktiviert andere Immunzellen und hilft den B-Zellen, Antikörper zu produzieren. Zytotoxische T-Zellen (»Killerzellen«) zerstören befallene Zellen direkt. TH-Zellen setzen Signalproteine frei (Zytokine), die zytotoxische Zellen aktivieren.

»Das Immunsystem verkörpert einen Grad von Komplexität, der … verblüffende Analogien zur menschlichen Sprache aufweist.«

Niels Jerne

Nobelpreisrede (1984)

Im Gefolge einer Infektion werden antigenspezifische, langlebige Gedächtniszellen (T und B) gebildet. Diese können sich sehr schnell vermehren, wenn das Antigen wieder auftaucht.

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T-Zellen spielen eine wichtige Rolle bei der adaptiven Immunantwort. Sie zerstören Zellen, die mit Viren infiziert sind oder Krebs entwickelt haben. Sie aktivieren auch andere Immunzellen – indem sie zum Beispiel B-Zellen dazu bringen, Antikörper zu produzieren.

Impfung anwenden

Impfstoffe verleihen dem Körper eine erworbene Immunität. Abgetötete oder inaktivierte Mikroben lösen eine Immunantwort aus, aber keine Krankheit. Die Effektivität von Impfstoffen hängt von der Fähigkeit des adaptiven Immunsystems ab, Antigene von Pathogenen im Gedächtnis zu behalten. Wenn das lebende Pathogen später den Körper infiziert, erkennt das Immunsystem seine Antigene und antwortet schnell, sodass die Infektion sich nicht ausbreiten kann.

Impfstoffe wirken auf viele verschiedene Arten, je nach ihrer Zusammensetzung. Grob gesprochen gibt es zwei Arten: die aktive und die passive Immunisierung. Eine aktive Immunisierung stimuliert den Körper dazu, seine eigene Immunantwort mittels seiner B- und T-Zellen zu generieren. Dies braucht Zeit, aber der Effekt ist langlebig, wie man am Varicella-(Windpocken-)Impfstoff sieht. Passive Immunisierung bedeutet, den Körper mit fertigen Antikörpern auszustatten. Dies verleiht einen sofortigen, aber kurzlebigen Schutz. Beispiele sind die vorübergehende Immunisierung gegen Diphtherie, Tetanus und Tollwut.

»Die Aids-Krise hat uns bewusst gemacht, dass das Immunsystem das wichtigste Element zur Erhaltung der Gesundheit ist …«

Gloria Steinem

Amerikanische Feministin und politische Aktivistin

(1992)

Transplantatabstoßung

Eine grundlegende Eigenschaft eines Immunsystems ist, dass es unterscheiden kann zwischen Pathogenen und dem eigenen gesunden Gewebe. Bei Transplantationen kann das zum Problem werden. Seit der ersten erfolgreichen Nierentransplantation im Jahr 1954 haben Tausende Menschen mit geschädigten oder erkrankten Organen oder Geweben gesunden Ersatz von Spendern erhalten. Es bleibt aber die Gefahr, dass die Spenderorgane oder -gewebe vom Immunsystem des Empfängers abgestoßen werden.

Der humane Leukozytenantigen-(HLA-)Komplex ist eine Gruppe von Genen, die für die Proteine auf der Oberfläche aller Zellen codieren. Jeder Mensch hat seinen eigenen Satz von HLA-Antigenen, diese dienen als »Selbst-Ausweis«. Das Immunsystem ignoriert diese Ausweise, aber das Immunsystem eines Transplantatempfängers kann Spenderzellen, die es als fremd ansieht, angreifen. In der Folge wird das Organ abgestoßen. Spender und Empfänger bei der Nierentransplantation von 1954 waren eineiige Zwillinge. Ihr Risiko war also minimal, aber diese Option ist selten.

Kliniker mildern das Risiko einer Organabstoßung, indem sie sicherstellen, dass Blutgruppe und Gewebe von Spender und Empfänger kompatibel sind. Sie können den Empfänger auch mit immunsuppressiven Medikamenten behandeln. image

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Der erste Herztransplantationspatient war Louis Washkansky, 53, hier bei seiner Genesung von der Operation in Südafrika 1967. Allerdings starb er 18 Tage später an Lungenentzündung.

Die Impfstoffsuche

1981 wurde ein neues Virus in den USA entdeckt. 1984 wurde es humanes Immundefizienz-Virus (HIV) genannt, es verursacht Aids (englisch: acquired immunodeficiency syndrome). Das Virus befällt T-Helferzellen und reduziert deren Anzahl massiv, sodass der Körper immer anfälliger wird für Infektionen und Krebs. Mitte der 1980er-Jahre war Aids zur globalen Epidemie geworden, am schlimmsten betroffen war das südliche Afrika. Bis 2019 starben schätzungsweise 32 Mio. Menschen an Aids. Zwar gibt es Medikamente, um die Krankheit zu kontrollieren, ein erfolgreicher Impfstoff wurde jedoch bisher noch nicht gefunden.

Das Coronavirus SARS-CoV-2, im November 2019 in China identifiziert, verursachte eine weltweite Pandemie. Bis Ende 2020 infizierten sich mehr als 83 Mio. Menschen, 1,8 Mio. starben. Beim Rennen um einen Impfstoff wurden viele Optionen ausprobiert. Anfang 2021 hatten mehrere klinische Studien bestanden und die Impfstoffe wurden verabreicht.