IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Antoni van Leeuwenhoek (1632–1723)
FRÜHER
Um 65 v. Chr. Lukrez schreibt, Männer und Frauen produzierten Flüssigkeiten, die Samen für die Fortpflanzung enthalten.
Um 1200 Islamische Ärzte behaupten: Samen für die Reproduktion werden in mehreren Organen gebildet und sammeln sich in den Geschlechtsorganen.
1651 William Harveys On the Generation of Animals besagt: »Alles stammt aus dem Ei.«
SPÄTER
1916 Der Gynäkologe William Cary entwickelt die ersten Spermientests für Männer, die keine Kinder zeugen können.
1978 Louise Brown, das erste »Retortenbaby«, wird geboren.
Seit alten Zeiten weiß man, dass einer Schwangerschaft der Geschlechtsverkehr von Frau und Mann vorausgeht. Wie es zur Empfängnis kommt, dazu gab es verschiedene Aussagen: die Mischung männlicher und weiblicher Körperflüssigkeiten, die Weitergabe von Samen und ein mythischer »Zeugungsgeist«, der zu den Genitalien wandert.
Nach der Erfindung der Mikroskope um 1590 war ein Lieblingsobjekt der ersten Nutzer das Sperma männlicher Tiere. 1677 berichtete der holländische Textilkaufmann und Mikroskoperfinder Antoni van Leeuwenhoek, Sperma enthalte winzige, zappelnde Organismen. Er war nicht der Erste, der sie sah; er schrieb dies Johan Ham, einem Medizinstudenten in Leiden, zu. Van Leeuwenhoek zeichnete und beschrieb in seiner Muttersprache Niederländisch »sehr kleine lebende Tiere« und zeigte, dass jedes einen Kopf und einen peitschenden Schwanz hat. In Sachen Genauigkeit war Leeuwenhoek seiner Zeit voraus. Seine selbst gebauten Mikroskope vergrößerten stärker als die seiner Zeitgenossen.
Eine frühe Theorie van Leeuwenhoeks wurde populär: Die Spermienzellen, wie wir sie heute nennen, seien Parasiten, die im männlichen Körper leben, vor allem in den Hoden. Eine andere Ansicht lautete: Das Spermium sei der alleinige Vorläufer des Babys. Der weibliche Körper stelle die Bedingungen für sein Wachstum zur Verfügung, aber nicht viel mehr. Das war die Vorstellung der »Spermisten«. 1685 stellte van Leeuwenhoek die These auf, im Kopf des Spermiums befinde sich ein winziger menschlicher Körper, ein Homonculus, bereit zu wachsen und geboren zu werden.
Menschliches Sperma: Antoni van Leeuwenhoeks Zeichnung ist Teil seines Briefs an die Royal Society in London (1677). Die beschriebenen Köpfe und Schwänze sind klar erkennbar.
In den späten 1670er-Jahren nahm der holländische Naturforscher Nicolaas Harsoeker ebenfalls die spermistische Sicht ein. Sein Essai de Dioptrique (Versuch über die Lichtbrechung) enthielt eine Zeichnung, die einen winzigen Menschen zusammengerollt im Kopf einer Samenzelle zeigt. Er gab aber zu, nie einen gesehen zu haben.
Die »Ovisten« dachten ähnlich: Es gibt einen vorgefertigten winzigen Menschen, aber im Ei, nicht im Spermium. In dem Wesen befinde sich ein weiteres Ei mit einem noch kleineren Körper und so weiter. Zu der Zeit war jedoch die eigentliche menschliche Eizelle (Ovum) noch gar nicht identifiziert. Was die meisten Biologen für das Ei hielten, war der reife Follikel im weiblichen Eierstock – ein mit Flüssigkeit gefüllter Behälter, etwa 10–20 mm groß. Die eigentliche Eizelle im Follikel, entdeckt 1827 vom estnischen Biologen Karl Ernst von Baer, ist 100-mal kleiner: 0,1–0,2 mm. Ovisten argumentierten, in ihrem »Ei« (dem Follikel) sei bedeutend mehr Platz für eine endlose Abfolge präformierter Wesen. Dagegen sei das männliche Spermium winzig, mit einem Kopf nicht größer als 0,005 mm. 1878 nannte der polnische Botaniker Eduard Strasburger die reproduktiven Zellen – Ei und Spermium – Gameten.
»Der männnliche Samen jeglichen Mitglieds des Tierreichs enthält … all die Glieder und Organe, die ein Tier bei der Geburt hat.«
Antoni van Leeuwenhoek
In den 1780er-Jahren experimentierte der italienische Biologe und Priester Lazzaro Spallanzani mit sich paarenden Fröschen. Er bedeckte die Genitalöffnung des Männchens mit Tafthöschen. So konnte das Sperma die Eier der Weibchen nicht erreichen, folglich wurden diese nicht befruchtet. Spallanzani filterte das Sperma und gewann eine dünnere und eine dickere Portion. Und obwohl er mit der dickeren Portion Eier befruchten konnte, blieb er bei seinen ovistischen Anschauungen.
Der französische Chemiker Jean-Baptiste Dumas und der Schweizer Arzt Jean-Louis Prévost kamen nach Tierexperimenten zu der Überzeugung, dass Spermien keine Parasiten sind, sondern an der Befruchtung beteiligt. Allerdings verstanden Biologen erst 1870, dass sowohl Sperma als auch Ei nötig sind, um Nachkommen zu zeugen.
Frühe Mikroskope
In vielerlei Hinsicht konnte man Antoni van Leeuwenhoeks Mikroskope fast 200 Jahre lang nicht verbessern. Zu seiner Zeit war ein Design mit zwei konvexen Linsen populär, das 30- bis 40-fach vergrößerte, aber zu Unschärfe und verschwommenen Farben führte. Van Leeuwenhoek nahm nur eine Linse, manchmal fast rund und kaum erbsengroß, wie ein starkes Vergrößerungsglas. Er fertigte die Linsen selbst an und hütete seine Techniken gut. Die Proben wurden auf eine Metallspitze gelegt, ganz dicht an der Linse, und von der anderen Seite aus der Nähe betrachtet. Seine Vergrößerung stieg auf das 200- bis 250-Fache und mehr bei späteren Modellen.
Enorm produktiv, fertigte van Leeuwenhoek rund 500 Linsen und mindestens 25 Mikroskopstative. Er schrieb fast 200 illustrierte Berichte an die Royal Society in London. Nur wenige andere konnten damals seine Befunde bestätigen, erst rund 200 Jahre später wurden seine Leistungen akzeptiert.