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EINE PFLANZE HAT ORGANE GENAUSO WIE EIN TIER

BESTÄUBUNG

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUR

Christian Konrad Sprengel (1750–1816)

FRÜHER

1694 Rudolf Jakob Camerarius entdeckt Sexualorgane in der Pflanze. Er zeigt, dass Pflanzen mit nur männlichen oder nur weiblichen Organen alleine keine Samen produzieren.

1793 Carl von Linné klassifiziert Pflanzen nach ihren Staubgefäßen und Narben.

SPÄTER

1860er Charles Darwin studiert Orchideen und ihre Beziehung mit Bestäuberinsekten.

1867 Federico Delpino benutzt den Begriff »Bestäubungssyndrom« für die Koevolution von Pflanzen und Bestäubern.

Die Bestäubung ist ein Transfer von Pollen vom Staubbeutel auf die Narbe einer Blume, um sie zu befruchten und Samen zu produzieren. Selbstbestäubung bedeutet, dass der Pollen einer Blüte auf ihrer eigenen Narbe landet. Fremdbestäubung (Auskreuzung) findet statt, wenn Pollen zur Narbe einer anderen Pflanze gelangt.

Zur Befruchtung wandert ein Spermium des Pollenkorns von der Narbe ins Ovar, wo es das Ei befruchtet und einen Embryo erzeugt. Ein weiteres Spermium verschmilzt mit anderen weiblichen Geweben im Ovar und erzeugt das Endosperm – den Stoff im Samen, der den Embryo ernährt.

Um zu verstehen, wie einzelne Blumen bestäubt werden, muss man ihre Sexualorgane identifizieren. Bis zum 17. Jahrhundert wurden Blumen jedoch als nicht sexuelle Ornamente betrachtet. 1694 beschrieb der deutsche Botaniker Jakob Camerarius die reproduktiven Teile – Staubgefäße und Karpell (Stempel) – in der Blüte. Wenn er Pflanzen mit nur männlichen oder nur weiblichen Teilen isolierte, bildeten sich keine Samen.

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Blütenformen variieren, aber die meisten Blüten enthalten die Teile, die zur Bestäbung nötig sind. Dabei wird ein Ei durch ein Spermium befruchtet und ein Embryo entsteht im Samen.

Der deutsche Botaniker Joseph Gottlieb Kölreuter kreuzte 1761 Blumen, um Hybride zu erzeugen. Er zeigte, dass Pollenkörner nötig sind, um Blumen zu befruchten. Pflanzen, die sich nicht selbst befruchten können, nannte er selbstinkompatibel. Wir wissen heute, dass Spermium und Ei in solchen Pflanzen unterschiedliche Proteinsignaturen haben – wie Schlüssel und Schloss, die nicht zusammenpassen.

Mitte des 18. Jahrhunderts sammelte der österreichische Mönch Gregor Mendel Daten fremdbestäubter Erbsen. Sie enthüllten, wie verschiedene Eigenschaften von Elternpflanzen an die Nachkommen vererbt werden. Er zeigte, dass Fremdbestäubung genetische Variation bei Pflanzen fördert, und bahnte künftigen Studien zur Genetik den Weg. Je mehr Variation eine Pflanzenart durch Rekombination ihrer Gene zeigt, desto überlebensfähiger ist sie.

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Sprengels Theorien

Der deutsche Botaniker Christian Konrad Sprengel begriff als Erster, dass spezielle Blütenstrukturen die Bestäubung ermöglichen. Ab 1787 studierte er Hunderte von Pflanzen, jederzeit und bei jedem Wetter.

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Einige Blumen zeigen Dichogamie, damit Bestäuber den Pollen zu einer anderen Pflanze tragen. Die Blüten öffnen sich nacheinander und männliche und weibliche Teile reifen zu unterschiedlichen Zeiten. Der Fingerhut (Digitalis purpurea) wird von Hummeln bestäubt. Die Blüten an der Basis öffnen sich zuerst.

Sprengel erkannte die Bedeutung von Insekten bei der Bestäubung. Bienen sind mit rund 20 000 Arten die häufigsten Bestäuber, Schmetterlinge, Motten, Fliegen, Wespen und Käfer sind ebenfalls wichtig.

Sprengel begriff, dass süßer Nektar nicht dazu da ist, das Karpell zu befeuchten oder den Samen zu nähren, sondern damit Insekten sich von der Blüte nähren und dabei den Pollen zu einer anderen Blüte tragen. Andere Eigenschaften wie Farbe, Form und Duft der Blume sind nur zur Anlockung der Bestäuber da. Die hellen Farben der Krone (Blütenblätter), des Kelchs, der Deckblätter oder auch des Nektariums ziehen Insekten an. So sind zum Beispiel nachts geöffnete Blüten meistens weiß, weil Motten sie dann im Dunkeln leichter finden. Farbige Markierungen auf Blütenblättern nannte Sprengel »Saftmale«; sie leiteten Insekten zum Nektarium, behauptete er.

In einer Reihe von Experimenten bewies der österreichische Zoologe Karl von Frisch 1912, dass Bienen die meisten Farben sehen können, die auch der Mensch sieht, außer Rot, und dass sie anders als der Mensch auch Ultraviolett sehen. Manche Blütenpigmente reflektieren und kombinieren ultraviolettes und gelbes Licht; diese Farben sind bei Saftmalen häufig.

Auch die Blütenform hilft den Bestäubern: Wie Sprengel beobachtete, fungiert ein großer, flacher Blütenkopf als Landeplattform. Manche Blüten passen nur zu einem Typ Insekten: Lange, röhrenförmige Blüten kann nur der lange Rüssel einer Motte sondieren. Der Blütenduft ist ebenfalls wichtig: Einige mottenbestäubte Blumen wie die Nachtkerze (Oenothera biennis) sind bei Tag geschlossen und öffnen sich bei Dämmerung, um starken Duft abzusondern; andere Blumen riechen nach Aas, um Fliegen anzuziehen.

Fremdbestäubungsstrategien

Die meisten Pflanzen sind Hermaphroditen mit männlichen und weiblichen Sexualorganen in jeder Blüte. Einige vielblütige Pflanzen jedoch zeigen eine Strategie, die Sprengel Dichogamie nannte: Weibliche und männliche Teile reifen zu unterschiedlichen Zeiten und zwingen die Bestäuber, von Blüte zu Blüte zu fliegen.

Sprengel bestätigte Kölreuters Theorie, dass Selbstinkompatibilität bei Blumen auch eine Fremdbestäubungsstrategie ist. Er behauptete ferner, dass eingeschlechtliche (zweihäusige) Pflanzen männliche und weibliche Blüten entwickelt haben, um Frembestäubung sicherzustellen. »Scheinsaftblumen« haben keinen Nektar, nutzen aber ein Saftmal, um Insekten zur Bestäubung anzulocken.

Sprengel begriff, dass einige Pflanzen vom Wind bestäubt werden. Sie haben weder Nektar noch Blütenkrone, Duft oder bunte Kelche, sondern große Mengen leichten Pollens. Die ältesten Blütenpflanzen der Erde waren windbestäubt und viele, etwa Gräser, Birken und Eichen, sind es immer noch. Sie müssen keine Bestäuber anziehen, also haben sie unauffällige, geruchlose blassgrüne Blüten, oft zu Quasten gebündelt, die ihren Pollen ausschütten, während sie im Wind flattern.

Gräser sind einhäusig: Staubblätter und Karpell sitzen in verschiedenen Blüten auf derselben Pflanze. So trägt der Wind den Pollen eher zu einer anderen Pflanze.

Evolution

Sprengel folgerte, dass sehr wenige Pflanzen sich selbst befruchten, aber den Zweck der Fremdbefruchtung überprüfte er nicht. Charles Darwin entwickelte Sprengels Ideen weiter, im Kontext der natürlichen Selektion. Er erklärte, dass Blumen und ihre tierischen Bestäuber sich gemeinsam entwickelt haben, meist in Beziehungen zu wechselseitigem Nutzen. 1862 sagte Darwin voraus, dass eine weiße Orchidee (Angraecum sesquipediale) aus Madagaskar mit einem modifiziertem Blütenblatt, das sich 30 cm über das Nektarium erhebt, von einer Motte mit ähnlich langem Rüssel bestäubt werden müsse. Die Motte wurde gefunden und bekam den Namen Xanthopan morganii praedicta.

Die Beziehung zwischen Pflanzen und Bestäubern hat beim evolutionären Erfolg der Blütenpflanzen mehr als 100 Mio. Jahre lang eine große Rolle gespielt. Das »Bestäubungssyndrom«, 1867 formuliert vom italienischen Botaniker Federico Delpino, erklärt, warum nicht verwandte Pflanzen ähnliche Blüteneigenschaften entwickeln, wenn sie denselben Bestäuber haben.

Afrikanische Sonnenvögel und amerikanische Kolibris haben lange, schmale Schnäbel und ernähren sich von trompetenförmigen Blumen, die reichlich Nektar haben. Eine Pflanze wendet sehr viel Energie auf bei der Produktion von Nektar für Vögel, er wäre jedoch verschwendet, wenn Insekten sich daran laben würden. Darum evolvierten diese Pflanzen tiefrote, orange und rostfarben gefärbte Blüten, die Wellenlängen reflektieren, die für die meisten Insekten unsichtbar sind, aber sehr gut sichtbar für Vögel und beliebt bei ihnen.

Die wenigen selbstbestäubenden Pflanzen wachsen, wo Bestäuber rar sind und für die Pflanzen keine Notwendigkeit zur weiteren Evolution besteht. Die Selbstbestäubung findet manchmal schon vor der Blütenöffnung statt. image

»Auf diese Weise begreife ich, wie eine Blüthe und eine Biene nach und nach, seye es gleichzeitig oder eine nach der andern, abgeändert und auf die vollkommenste Weise aneinander angepasst werden können …«

Charles Darwin

Die Entstehung der Arten (1860)

Christian Konrad Sprengel

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Der Theologe, der zum Botaniker wurde, ist 1750 in Brandenburg/Havel geboren. 1780 wurde er Rektor eines Gymnasiums in Spandau und beschäftigte sich privat mit Botanik. Er studierte die Reproduktion von Pflanzen und entwickelte seine Theorie der Bestäubung, die noch immer gültig ist. Sprengels großes Werk zum Thema wurde seinerzeit nicht breit anerkannt, obwohl er gehofft hatte, es würde ein neues Gebiet der Biologie begründen.

Sprengel hatte Streit mit seinem Vorgesetzten über seine Lehrmethoden und weil ihm Religionsunterricht nicht wichtig genug war. Als er 1794 entlassen wurde, zog er nach Berlin. Nach Sprengels Tod 1816 wurde die wahre Bedeutung seines Werks 1841 von Charles Darwin erkannt. Es wurde zur Grundlage von Darwins eigenem Werk über Bestäubung und die Evolution der Blütenpflanzen.

Hauptwerk

1793 Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen

Sexuell betrügerische Blumen

Manche Pflanzen betreiben sexuelle Mimikry, um männliche Insekten in eine Blüte zu locken. Einige Orchideenblüten etwa sehen wie weibliche Wespen aus. Die Blüten geben sogar Pheromone ab, die wie die weiblichen Insekten riechen. Die Blume lockt manchmal schon, bevor die weiblichen Insekten aktiv sind. Eine männliche Wespe landet auf dem vermeintlichen »Weibchen« und versucht, sich mit ihm zu paaren. Seine Bewegungen lösen ein Scharnier in der Blüte, dabei werden Pollensäckchen auf dem Kopf der Wespe deponiert. Diese heften sich dann perfekt an die Narbe der nächsten Blüte, mit der das Wespenmännchen zu kopulieren versucht.

Andere Orchideen locken männliche Insekten mit Duft, der nach Pheromonen riecht, in ihre trichterförmigen Blüten. Anders als Bienen oder Schmetterlinge, die Pollen und Nektar sammeln, bekommt die männliche Wespe absolut keinen Lohn für ihre Bestäubungsleistung.