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DIE VEREINIGUNG VON EI- UND SAMENZELLE

BEFRUCHTUNG

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUR

Oscar Hertwig (1849–1922)

FRÜHER

2. Jh. v. Chr. Die vorherrschende Theorie der Empfängnis besagt: Beide, Mann und Frau, produzieren Samen. Bei deren Verbindung entsteht ein neuer Mensch.

1761–1766 Der deutsche Botaniker Joseph Gottlieb Kölreuter zeigt, dass hybride Nachkommen Eigenschaften aus männlichen und weiblichen Sexualorganen der Pflanze erben.

1781 Lazzaro Spallanzani demonstriert: Filtriertes Krötensperma (ohne Samenzellen) kann keine Eier befruchten.

SPÄTER

1902 Der deutsche Biologe Theodor Boveri erforscht das Verhalten der Chromosomen von Ei und Samen nach der Befruchtung.

Über die Fortpflanzung der Tiere wurde im 17. und 18. Jahrhundert intensiv theoretisiert, obwohl das weibliche Ovum (Ei) erst 1827 entdeckt wurde. 1677 hatte Antoni von Leeuwenhoek zum ersten Mal bewegliche Spermienzellen von Tieren unter dem Mikroskop gesehen. Wissenschaftler hatten vorher geglaubt, ein Dampf oder Duft aus dem Sperma befruchte das Ei, nun löste van Leeuwenhoeks Entdeckung eine heftige Debatte über die Funktion der Spermien aus. Manche spekulierten, die Spermien hätten mit der Zeugung zu tun, Leeuwenhoek selbst hielt sie zunächst für Parasiten. Später glaubte er, die Spermienköpfe enthielten präformierte Erwachsene.

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Das Leben des Seeigels beginnt mit der Abgabe von Eiern und Spermien ins Wasser. Aus befruchteten Eiern werden Larven. Sie sinken zum Meeresgrund, wo sie sich an Steine heften.

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Befruchtung ist die Fusion der Gameten: Hertwig fand, dass nur ein Spermium nötig ist, um ein Ei zu befruchten. Sobald es in das Ei eingedrungen ist, bildet das Ei eine »Befruchtungsmembran« und verhindert das Eindringen weiterer Spermien.

Vereinigung der Keimzellen

1768 zeigte Spallanzanis Froschexperiment, dass Kontakt zwischen Ei und Sperma nötig ist, um Eier zu befruchten. Zu dieser Zeit studierten Wissenschaftler auch Tiere, die eine externe Befruchtung praktizieren: Spermien und Eier werden dabei in eine externe Umgebung abgegeben, das Sperma befruchtet das Ei außerhalb des Körpers. Bei interner Befruchtung besamt das Männchen das Weibchen und Spermien vereinigen sich innerhalb des Körpers mit dem Ei.

Im 19. Jahrhundert benutzten viele Wissenschaftler den Seeigel als Versuchstier zur externen Befruchtung. Seeigeleier und -embryonen sind relativ transparent und erwachsene Seeigel lassen sich leicht zur Abgabe männlicher und weiblicher Gameten motivieren. So kann man die Befruchtung unter dem Mikroskop beobachten.

Obwohl man lang vermutet hatte, dass das Spermium das Ei penetriert, war es der deutsche Zoologe Oscar Hertwig, der 1875 beim Studium des Seeigels als Erster den Moment der Befruchtung unter dem Mikroskop beobachtete. Er sah, wie ein einzelnes Spermium in das Seeigelei eindrang, wie die zwei Kerne zu einem verschmolzen und sich eine befruchtete Eizelle (Zygote) bildete.

Die Rolle des Zellkerns

Hertwig war Zeuge, als ein einzelner Kern erschien, wo vorher zwei gewesen waren. Er gleiche »einer Sonne, von ihren Lichtstrahlen umgeben«, schrieb er – ein Bild, das die Schönheit des Moments der Befruchtung wiedergibt. Hertwig erkannte, dass der Embryo sich aus der Teilung des neu geformten Kerns entwickelt. Er war auch der Erste, der postulierte, der Kern sei verantwortlich für die Weitergabe der ererbten Eigenschaften an die Kinder. 1884 schrieb er, seiner Ansicht nach sei eine Substanz im Kern enthalten, die nicht nur befruchtend wirke, sondern auch erbliche Eigenschaften weitergebe. Fast gleichzeitig, aber unabhängig von Hertwig, bestätigte der Schweizer Zoologe Hermann Fol den Prozess der Befruchtung. 1877 beobachtete er beim Seestern, wie ein einzelnes Spermium eine Eimembran durchbrach und der Spermienkern sich dem Eikern näherte – bis zur Fusion.

Weil sie große, transparente Eier benutzten, konnten Hertwig und Fol Entdeckungen machen, die erste Beweise für die Rolle des Zellkerns bei der Vererbung waren. image

»Die Zelle ist selbst ein Organismus, zusammengesetzt aus zahlreichen noch kleineren Lebenseinheiten.«

Oscar Hertwig

Oscar Hertwig

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Geboren 1849 in Friedberg, besuchte Oscar Hertwig die Universität Jena und studierte mit seinem Bruder Richard zusammen bei Ernst Haeckel, einem bekannten vergleichenden Anatomen. Hertwig studierte anfangs die Embryonalentwicklung, wechselte dann aber zur Erforschung des Befruchtungsprozesses. 1875 entdeckte Hertwig während einer Forschungsreise mit Haeckel im Mittelmeerraum die Befruchtung der Seeigel und begann, seine Beobachtungen zu dokumentieren. 1890 forschte er am Seestern und beobachtete als Erster die Parthenogenese bei Tieren (die Entwicklung eines Embryos aus einer unbefruchteten Eizelle). Hertwig war von 1888 bis 1921 Lehrstuhlinhaber für Zytologie und Embryologie in Berlin und Direktor des neuen Anatomisch-Biologischen Instituts. Er starb 1922 in Berlin.

Hauptwerke

1888 Lehrbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen und der Wirbeltiere

1916 Das Werden der Organismen. Zur Widerlegung von Darwins Zufallstheorie durch das Gesetz der Entwicklung