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DIE ERSCHAFFUNG HÖCHSTEN GLÜCKS

IN-VITRO-FERTILISATION

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUREN

Robert Edwards (1925–2013),

Patrick Steptoe (1913–1988)

FRÜHER

1678 Die Niederländer Antoni van Leeuwenhoek und Nicolas Hartsoeker beobachten als Erste Spermienzellen unter dem Mikroskop.

1838 Der französische Arzt Louis Girault berichtet als Erster über eine künstliche Insemination am Menschen.

SPÄTER

1986 Robert Edwards und Patrick Steptoe feiern die 1000. Geburt nach IVF an ihrer Klinik, Bourn Hall.

1992 Das erste Baby, das durch ICSI (intrazytoplasmatische Spermieninjektion) gezeugt wurde, wird geboren. Bei ICSI wird ein Spermium direkt in die Eizelle injiziert.

Die Fähigkeit einer Frau, Kinder zu gebären, bestimmte über weite Teile der Menschheitsgeschichte ihren Wert, bis ins 20. Jahrhundert. Invitro-Fertilisation (IVF, auch Reagenzglasbefruchtung) ist eine Methode der assistierten Reproduktion, mit der all jene die Chance auf ein Kind bekommen, die nicht auf natürliche Weise empfangen können.

Der britische Physiologe Robert Edwards bekam den Beinamen »Schöpfer höchsten Glücks«, als ihm 1978 zusammen mit dem Gynäkologen Patrick Steptoe und der Krankenschwester und Embryologin Jean Purdy die Lösung des IVF-Rätsels gelang.

Die Befruchtung in vitro (lateinisch für »im Glas«) wurde zunächst an Tieren mit äußerer Befruchtung wie Fröschen studiert. Aber für Tiere mit innerer Befruchtung einschließlich des Menschen mussten viele praktische Probleme überwunden werden. Die ersten Versuche bei Säugetieren unternahm der Wiener Embryologe Samuel Leopold Schenk 1878: Er benutzte Spermien und Eier von Kaninchen und Meerschweinchen unter dem Mikroskop, aber seine Experimente waren nicht von Erfolg gekrönt. Schenk und seine Zeitgenossen kannten sich mit der Rolle von Temperatur, pH-Wert und Sexualhormonen nicht aus. Erst das Verständnis dieser »Bausteine« der Befruchtung waren der Schlüssel zu der Möglichkeit, menschliche Befruchtung außerhalb des Körpers zu bewerkstelligen. 1934 injizierte Gregory Pincus, ein amerikanischer Biologe, außerhalb des Körpers seiner Versuchskaninchen Sperma in Eier und implantierte die Eier zurück in den Uterus. Das Kaninchen wurde schwanger, aber die Eier waren implantiert worden, bevor die Befruchtung wirklich passiert war – sie geschah im Körper des Kaninchens, also eher in vivo (im lebenden Tier) als in vitro.

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Die Funktion der Hormone

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts beobachteten Biologen, dass die Hypophyse im Gehirn bei einer Schwangerschaft vergrößert ist, und 1926 entdeckten zwei Wissenschaftler, der in Deutschland geborene israelische Gynäkologe Bernhard Zondek und der amerikanische Endokrinologe Philip Edward, fast gleichzeitig, dass Hormone aus der Hypophyse die Funktion der Fortpflanzungsorgane steuern.

Zehn Jahre später beschrieb Pincus die physiologischen Veränderungen, die menschliche Eier durchmachen müssen, um für die Befruchtung bereit zu sein (die Reifung). Erst 1951 entdeckten Min Chueh Chang, ein chinesisch-amerikanischer Wissenschaftler, und der britische Professor Colin „Bunny“ Austin gemeinschaftlich, dass Sperma im weiblichen Genitaltrakt ebenfalls erst reifen muss, bevor es in der Lage ist, Eier zu penetrieren und zu befruchten (bekannt als Spermienkapazitation). Nachdem die Vorbereitungsprozesse bei Spermien und Eizellen verstanden waren, wurde IVF machbar.

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Embryonen werden in der Regel zwei bis fünf Tage nach der Befruchtung transferiert – als letzte Prozedur im IVF-Prozess. Der Arzt führt einen Katheter durch den Muttermund ein und injiziert das befruchtete Ei in den Uterus.

Chang stellte dann den Beweis auf, dass Eier eines schwarzen weiblichen Kaninchens mit Spermien eines schwarzen männlichen Kanninchens befruchtet werden können. Diese Eier transferierte er in ein weißes Kaninchen, das daraufhin einen ganzen Wurf schwarzer Kaninchen bekam. Auf diese Weise vermied Chang die Probleme, die Pincus 1934 hatte, als er nicht beweisen konnte, ob die Befruchtung in vitro oder in vivo stattgefunden hatte.

Eizellengewinnung

In den 1950er-Jahren betrat Edwards das spannende Feld der Reproduktionsbiologie als Doktorand in Edinburgh, Schottland, wo er die Entwicklung von Mäuseembryonen untersuchte. Während seiner sechs Jahre in Edinburgh publizierte er 38 wissenschaftliche Arbeiten und galt als aufgehender Stern auf diesem Gebiet. Edwards’ wahre Leidenschaft galt dem Verständnis menschlicher Reproduktion und er war frustriert, weil sein Zugang zu menschlichen Eizellen beschränkt war, bis er einen Artikel von Steptoe las, der ein Pionier bei der Nutzung des Laparoskops bei gynäkologischen Untersuchungen war. Edwards arbeitete ab 1968 mit Steptoe zusammen, im selben Jahr rekrutierte er Jean Purdy als Laborassistentin.

Nachdem Edwards und sein Forschungsteam sich so eine verlässliche Quelle menschlicher Eizellen gesichert hatten, waren sie in der Lage, unter idealen Bedingungen die Forschung an der Befruchtung voranzutreiben. Der Doktorand Barry Bavister zeigte, dass man durch Anheben des alkalischen Niveaus im Kulturmedium der IVF-Petrischale – einer Lösung, die das Zellwachstum unterstützt – höhere Befruchtungsraten erzielen kann. Edwards, Bavister und Steptoe publizierten 1969 einen Artikel, in dem sie die Befruchtung menschlicher Eizellen in vitro beschrieben. Ihre nächste Herausforderung bestand darin, das befruchtete Ei in eine Frau zurückzuverpflanzen, sodass der Embryo zu einer gesunden Schwangerschaft führt.

Die ersten Verfahren

Das Trio Edwards, Purdy und Step-toe began 1972 damit, Frauen Embryonen einzusetzen. Aber Edwards war sich nicht im Klaren gewesen, dass die Erfolgsrate so gering sein würde. Das Team war begeistert, als 1976 eine Patientin nach einem Embryotransfer tatsächlich schwanger wurde, aber ihre Freude währte nicht lang, denn der Embryo hatte sich im Eileiter eingenistet. Diese sogenannte ektopische Schwangerschaft musste abgebrochen werden.

1976 wurde Lesley Brown an Steptoe überwiesen. Sie hatte neun Jahre lang vergeblich versucht, schwanger zu werden, bei ihr waren blockierte Eileiter diagnostiziert worden. Edwards und Steptoe analysierten Lesleys Hormonspiegel und bestimmten ihren Ovulationszyklus. Im November 1977 entnahm Steptoe Lesley eine Eizelle. Edwards befruchtete sie in einer Petrischale mit Sperma von Lesleys Ehemann, dann wartete Purdy, bis sich das befruchtete Ei teilte. Sobald es sich zu einem achtzelligen Embryo entwickelt hatte, wurde es implantiert. Als Edwards und Steptoe bekannt gaben, dass sie eine erfolgreiche Schwangerschaft erzielt hatten, war das eine Mediensensation. Weil Pressevertreter herausgefunden hatten, wann die Geburt per Kaiserschnitt stattfinden sollte, verschob Steptoe sie einen Tag nach vorn, um sie geheim zu halten. Lesley gebar eine gesunde Tochter namens Louise am 25. Juli 1978. Zeitungen in der ganzen Welt feierten ihre Ankunft als Triumph des Durchhaltevermögens.

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Vierlinge entstehen auf natürliche Weise bei einer von 700 000 Schwangerschaften. Bei IVF werden mehrere Embryonen in den Uterus eingesetzt und der Anteil der Mehrlingsschwangerschaften liegt bei fast 30 Prozent.

»Ich bin kein Zauberer und kein Frankenstein. Alles, was ich will, ist Frauen zu helfen, deren Mechanismen zur Kinderproduktion ein wenig fehlerhaft sind.«

Patrick Steptoe

(1978)

Heute ist und bleibt IVF die beliebteste Reproduktionstechnik, die unfruchtbaren Paaren zu einer erfolgreichen Schwangerschaft verhelfen kann. Zum Zeitpunkt von Louise Browns 40. Geburtstag im Jahr 2018 waren bereits mehr als 8 Mio. Kinder weltweit mit IVF und ähnlichen Methoden assistierter Empfängnis geboren worden. image

Robert Edwards

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Robert Edwards wurde 1925 im englischen Yorkshire geboren. Er studierte Agrarwissenschaften am University College of North Wales in Bangor. Sein Studium wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, in dem er Armeedienst leistete. Nach dem Krieg kam er nach Bangor zurück, wechselte zur Zoologie und promovierte in Reproduktionsgenetik.

In den 1960er-Jahren kooperierte Edwards mit den führenden Forschern der Reproduktionsphysiologie von Tieren, Alan Parkes und Colin »Bunny« Austin. Er wurde aufmerksam auf die Arbeit von Patrick Steptoe. 1968 begann ihre Zusammenarbeit, die in der Geburt des ersten IVF-Babys 1978 kulminierte. Edwards setzte seine Forschung als Direktor der weltweit ersten IVF-Klinik fort. 2010 bekam er den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Hauptwerke

1970 Fertilization and cleavage in vitro of human oocytes matured in vivo

2005 Ethics and moral philosophy in the initiation of IVF, preimplantation diagnosis and stem cells

Geburt von Louise Brown

Die Geburt des ersten IVF-Babys, Louise Brown, am Oldham General Hospital nahe Manchester im Jahr 1978 war ein Meilenstein der Reproduktionsbiologie und eine weltweite Mediensensation. Vor ihrer Geburt wurden Robert Edwards und Patrick Steptoe von ihren Kollegen, aber auch von weiten Teilen der Gesellschaft heftig kritisiert für ihre Forschung, die als unethisch und gefährlich galt. Kirchenvertreter beschuldigten die beiden, »Gott zu spielen«, andere Kritiker fanden die Technik »entmenschlichend«. Bedenken wurden laut gegenüber neuen Techniken wie Klonen, Gentechnik und »Designerbabys«. Auch die Entsorgung übrig gebliebener Embryonen war moralisch problematisch. Beide Männer hielten es für ihre Pflicht, mit der Presse zu sprechen, statt wilden Spekulationen Raum zu geben. Nachdem jedoch die gesunde kleine Louise nach normaler Schwangerschaft geboren worden war, verstummten viele Kritiker, und eine neue Generation Kinder kam zur Welt.