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ZWEI VERFLOCHTENE WENDELTREPPEN

DIE DOPPELHELIX

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUREN

James Watson (*1928),

Francis Crick (1916–2004),

Rosalind Franklin (1920–1958)

FRÜHER

1869 Friedrich Miescher isoliert DNA, nennt sie Nuklein und meint, sie könnte bei der Vererbung eine Rolle spielen.

1909–1929 Phoebus Levene klärt die chemischen Komponenten von RNA und DNA auf.

1944 Oswald Avery zeigt, dass Gene DNA-Abschnitte auf Chromosomen sind.

SPÄTER

1973 Herbert Boyer und Stanley N. Cohen zeigen in den USA, dass es möglich ist, Genmaterial zu modifizieren.

2000 Das Humangenomprojekt veröffentlicht die DNA-Sequenz des Menschen.

In den frühen 1950er-Jahren bestand die große Herausforderung der Biologie darin, die Struktur der Desoxyribonukleinsäure (DNA) zu entschlüsseln – der Substanz, von der viele Biologen glaubten, sie müsse die physische Basis der Gene bilden. Man wusste schon viel über DNA. Man wusste, dass sie den Hauptanteil der Chromosomen bildet und dass sie ein sehr großes Molekül ist, das aus Untereinheiten besteht, den Nukleotiden. Jedes Nukleotid besteht aus einer chemischen Gruppe namens Phosphat, die mit einem Zucker namens Desoxyribose verbunden ist, der wiederum mit einer stickstoffhaltigen Base verbunden ist. Es gibt vier verschiedene Basen: Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T).

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Nukleotide sind die Bausteine des DNA-Moleküls. Jedes Nukleotid besteht aus einer Posphatgruppe, die mit einem Zucker (Desoxyribose) verbunden ist, der wiederum an eine von vier stickstoffhaligen Basen gebunden ist: Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) oder Thymin (T). Watson und Crick entdeckten die 3-D-Anordnung der Basen.

Es war auch bekannt, dass die Phosphat- und Zuckeranteile der Nukleotide in einer Kette (oder mehreren Ketten) verbunden sind, die das »Rückgrat« der DNA bilden. Unbekannt war, wie die Basen A, C, G und T innerhalb der Struktur angeordnet sind. Eine Frage, die die Wissenschaftler beantworten wollten, war, wie die DNA einer Zelle sich repliziert, wenn sich die Zelle teilt, sodass alle Tochterzellen eine exakte Kopie der DNA der Ursprungszelle bekommen.

Konkurrierende Teams

Zwischen Mai 1950 und Ende 1951 bildeten sich mehrere Teams mit dem Ziel, die Struktur der DNA zu entschlüsseln. Ein Team, angesiedelt am King’s College London und angeführt vom britischen Biophysiker Maurice Wilkins, konzentrierte sich darauf, die DNA mittels Röntgendiffraktion zu untersuchen. Man richtete einen Röntgenstrahl auf ein Bündel von DNA-Fäden und maß aus, wie die Atome der DNA die Röntgenstrahlen beugen. 1950 erzielte Wilkins ein ordentliches Röntgenbild der DNA-Fäden und konnte zeigen, dass die Technik brauchbare Daten liefern könnte. 1951 schloss sich eine weitere Expertin für Röntgendiffraktion, die britische Chemikerin Rosalind Franklin, dem Team an und erzielte noch bessere Bilder. Später erforschte sie mit dieser Technik Viren.

Der amerikanische Chemiker Linus Pauling führte ab Mitte 1951 eine DNA-Gruppe am California Institute of Technology (Caltech) an. Zu Anfang des Jahres hatte Pauling korrekt vorhergesagt, dass Proteine zum Teil eine Helix- oder Spiralstruktur haben. Im November postulierte Wilkins, die DNA habe ebenfalls eine Helixstruktur. Im Februar des nächsten Jahres schrieb Franklin in einer Veröffentlichung, die DNA habe eine dicht gepackte Helixstruktur, die wahrscheinlich zwei, drei oder vier Nukleotidketten enthalte. In der Zwischenzeit hatten zwei weitere Wissenschaftler sich der Jagd angeschlossen, sie bildeten ein Team an der University of Cambridge in England: Francis Crick, ein britischer Physiker mit Erfahrung in Röntgendiffraktion, und James Watson, ein amerikanischer Biologe mit Spezialgebiet Genetik. Statt weitere Experimente zu machen, beschlossen Crick und Watson, Daten zu sammeln, die bereits verfügbar waren, und ihre Kreativität auf die Lösung des Strukturrätsels zu konzentrieren. Sie folgten dem Beispiel Paulings, der bei seiner Entschlüsselung der Proteinstruktur Modelle eingesetzt hatte, und begannen, ein 3-D-Modell eines DNA-Teilstücks aus Untereinheiten zusammenzubauen. Crick und Watson setzten sich auch mit Wilkins und Franklin in Verbindung.

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James Watson und Francis Crick arbeiteten am Cavendish Laboratory in Cambridge gemeinsam an der Enthüllung der DNA-Struktur.

Die Lösung des Rätsels

Ihr erster Versuch war kein Erfolg. Sie bauten eine dreisträngige Helixstruktur mit den Stickstoffbasen auf der Außenseite des Modells. Als sie es Franklin zeigten, wies sie auf Widersprüche zu ihren Röntgendiffraktionsbefunden hin. Vor allem meinte sie auch, die Basen sollten auf der Innenseite sein.

Früh im Jahr 1953 begannen Crick und Watson, ein zweites Modell zu bauen, diesmal mit den Phosphat-Zucker-Gruppen außen. Sie schauten sich auch noch einmal alle Daten an, die in den vergangenen zehn Jahren über die DNA bekannt geworden waren. Ein Informationsschnipsel, über den sie nachdachten, war, dass DNA schwache Atombindungen, sogenannte Wasserstoffbrücken, enthält. Ein anderer entscheidender Hinweis war eine Eigenschaft der DNA, die als Chargaff-Regel bekannt ist (siehe Kasten). Sie besagt, dass der Gehalt an Adenin (A) dem Gehalt an Thymin (T) gleicht, genauso wie die Anteile an Guanin (G) und Cytosin (C). Dies legt nahe, dass die DNA Paarungen der Stickstoffbasen enthält: A mit T, G mit C.

Watson und Crick kam das Glück zu Hilfe. Wilkins zeigte ihnen ein Röntgendiffraktionsbild, das ein Student Franklins im Mai 1952 aufgenommen hatte. Das Bild legt nahe, dass die DNA zwei helikale Rückgratstränge aus Zucker und Phosphat enthält. Mit dieser Information konnten die beiden wichtige Parameter für die Dimensionen der Helices errechnen. Was nun noch fehlte, war eine Idee, wie die Basen in den Zwischenraum zwischen den Rückgraten passen.

Watson schnitt Basen aus Pappe aus und schob sie umher, um zu testen, wie sie wohl am besten in ein DNA-Molekül passen. Anfangs war der Ansatz fruchtlos, bis ein Kollege Watson darauf hinwies, dass seine Annahmen über die Struktur zweier der Basen veraltet und vermutlich falsch waren.

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Foto 51, eine Röntgenkristallografie der DNA, aufgenommen 1952 von Ray Gosling, einem Studenten Rosalind Franklins. Das gestreifte Kreuz zeigt, dass die DNA eine Helixstruktur hat.

Die Basen paaren

Am 18. Februar 1953 korrigierte Watson die entsprechenden Zuschnitte, schob sie umher und stellte fest: Wenn man Adenin (A) durch Wasserstoffbrücken mit Thymin (T) verbindet, ergibt sich eine sehr ähnliche Form wie bei der Kombination von Guanin (G) und Cytosin (C). Wenn sich A immer mit T verbindet und C mit G, entspricht dies nicht nur der Chargaff-Regel, sondern die Teile passen auch wunderbar in die Lücke zwischen den beiden gewundenen Phosphat-Zucker-Strängen. Die Basenpaare sind dann angeordnet wie Sprossen einer »gewundenen Leiter«.

Nach der Enthüllung der Basenpaarungen vollendeten Watson und Crick ihr Doppelhelix-Modell der DNA-Struktur im März 1953 und publizierten ihre Befunde im April in der britischen Zeitschrift Nature. Ein zentraler Aspekt ihres Modells – einer, der stark impliziert, dass es richtig ist – war die Tatsache, dass die Basenpaarungen klar auf einen Replikationsmechanismus hindeuten. Wenn man die Basensequenz eines Strangs kennt, ist die Sequenz des anderen festgelegt: Wenn sich die beiden Stränge aufwinden, kann jeder als Vorlage für einen komplementären neuen Strang dienen.

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Das Modell von Watson und Crick schlug vor, dass die DNA zwei spiralig gewundene Rückgrate aus Phosphat-Zucker Ketten enthält, die sich umeinander winden. Paare stickstoffhaltiger Basen sind in dem freien Raum zwischen den Rückgraten arrangiert, wie Sprossen einer gewundenen Leiter. Die Base Adenin (A) ist immer mit Thymin (T) gepaart und Guanin (G) mit Cytosin (C). Die Phosphat-Zucker-Ketten laufen in entgegengesetzte Richtungen – eine »aufwärts« und die andere »abwärts«.

1958 zeigten die Caltech-Forscher Matthew Meselson und Franklin Stahl: Wenn sich die DNA repliziert, besteht jede der beiden neuen Doppelhelices aus einem Strang der ursprünglichen Doppelhelix und einem neu synthetisierten Strang. Diese Beobachtung bewies, dass die Interpretation von Crick und Watson in Bezug auf die Replikation der DNA korrekt war.

Unbeantwortete Fragen

Die Entdeckung der DNA-Struktur war sicherlich ein großer Durchbruch in der Biologie. Allerdings beantwortete sie nicht einmal in Ansätzen die Frage, wie DNA die Aktivitäten von Zellen kontrolliert und zur Ausprägung erblicher Eigenschaften führt. Wissenschaftler spekulierten, die Sequenz der Nukleotidbasen (A, C, G, T) müsse dabei eine Rolle spielen, aber die genauen Details, wie das geschieht, kamen erst mit der Entschlüsselung des genetischen Codes heraus. Doch auch so veränderte die Entdeckung der DNA-Struktur das wissenschaftliche Verständnis des Lebens fundamental – und die Ära der modernen Biologie begann. image

»Jim Watson und ich haben wahrscheinlich eine äußerst wichtige Entdeckung gemacht.«

Francis Crick

(1916–2004)

Die Chargaff-Regel

In den späten 1940ern war klar, dass die DNA das Erbmaterial von Tieren und Pflanzen darstellt. Der amerikanische Biochemiker Erwin Chargaff beschloss zu erforschen, ob es Unterschiede in der DNA-Zusammensetzung zwischen verschiedenen Arten gibt. Er fand, dass die Proportionen der verschiedenen Nukleotidbasen – Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T) – sich zwischen den Arten signifikant unterscheiden. Unter der Annahme, dass die Basen in einer Art Stapel oder Reihe im DNA-Molekül vorkommen, bedeutet dies, dass sie sich nicht endlos in derselben Reihenfolge in jeder Art wiederholen, sondern dass sie in Sequenzen vorkommen, die von Art zu Art variieren. Chargaff fiel auch auf, dass die Menge an A in der DNA jeder Art, die er studierte, der Menge an T sehr ähnlich ist, und die Menge an G in etwa der Menge an C gleicht. Dieser Befund wurde als Chargaff-Regel bekannt. Sie erwies sich als zentral für die Arbeit von Watson und Crick.