IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Frederick Sanger (1918–2013)
FRÜHER
1902 Die deutschen Chemiker Emil Fischer und Franz Hofmeister behaupten unabhängig voneinander: Proteine sind Ketten von Aminosäuren, verknüpft durch Peptidbindungen.
1951–1953 Frederick Sanger veröffentlicht die Aminosäuresequenzen beider Ketten des Proteins Insulin.
1953 Der britische Molekularbiologe Francis Crick und sein amerikanischer Kollege James Watson beweisen, dass das DNA-Molekül eine Doppelhelix ist, die aus zwei Ketten verbundener Einheiten besteht.
SPÄTER
2000 Das Humangenomprojekt produziert den ersten Entwurf der menschlichen DNA-Sequenz.
Die größten Moleküle in Lebewesen sind Ketten aus kleineren Untereinheiten, die in einer bestimmten Reihenfolge zusammengesetzt sind. Diese Sequenz bestimmt, was das Molekül tut. Gene (DNA-Abschnitte) sind der Code für die Herstellung der Proteine, welche unser Aussehen, unsere Überlebensfähigkeit und unser Verhalten bestimmen. Biologen, die die Mechanismen des Lebens entziffern wollen, suchen Hinweise in den chemischen Sequenzen von Proteinen oder den Genen, die für sie codieren.
Der britische Biochemiker Frederick Sanger ist der Pionier beim Sequenzieren langkettiger Biomoleküle. Gene und Proteine können Hunderte oder Tausende von Einheiten lang sein. Wenn nur eine Einheit verrutscht ist, stört das die Funktion des Moleküls.
Sanger begann mit einem bekannten Protein, dem Insulin. Er zerlegte dessen zwei Ketten in ihre Bausteine – Aminosäuren – auf eine Art und Weise, dass sie eine nach der anderen vom Ende der Kette abgelöst wurden. Sobald eine Aminosäure isoliert war, wurde sie identifiziert. Um den Prozess effektiver zu machen, wandte Sanger ihn auf kleine Abschnitte des Moleküls an und suchte dann nach Überlappungen, um herauszufinden, wie die Abschnitte zusammenhängen. 1953 kannte er die exakte Aminosäuresequenz beider Insulinketten. 1955 konnte er zeigen, wie die beiden Ketten verbunden sind. Seine Methode revolutionierte die Proteinforschung.
Ab 1962 konzentrierte sich Sanger auf das Sequenzieren von RNA (Ribonukleinsäure), um sich dann der DNA zuzuwenden. Die Nukleinsäuren sind viel größer als das Insulin (das aus 51 Aminosäuren besteht). Sanger suchte nach der kleinsten natürlich vorkommenden DNA. Er fand sie in einem Virus, das Bakterien infiziert – aber sogar diese DNA ist 5386 Einheiten lang.
Frederick Sanger ist eine der nur vier Personen, die mehrmals den Nobelpreis bekamen. Er wurde 1958 und 1980 für seine Arbeiten zu Insulin bzw. DNA mit dem Chemie-Nobelpreis ausgezeichnet.
Sanger brauchte eine schnellere Sequenzierungstechnik. Also schaute er sich in der Natur nach einer Inspiration um. Zellen verdoppeln vor jeder Teilung ihre DNA – in unglaublicher Geschwindigkeit. Jede Sekunde werden 50 Basen angehängt. Sanger fragte sich, ob es möglich wäre, die Basen zu identifizieren, während sie bei der Replikation angehängt werden. Biologen hatten bereits das Enzym isoliert, das die Replikation steuert; es funktionierte auch im Reagenzglas, wenn man es mit allen vier DNA-Basen mischte: Adenin (A), Cytosin (C), Guanin (G) und Thymin (T).
Sanger mischte eine Probe von Virus-DNA mit dem Enzym und manipulierte seine Mischung mit einer modifizierten Version von A, welche den Replikationsprozess an einer bestimmten Stelle der Kette abbricht. Dann wiederholte er dasselbe mit modifizierten Versionen von C, G und T. Auf diese Weise konnte er die Sequenz der ganzen DNA-Kette lesen. 1977 war er der erste Mensch, dem das gelang. Die Sanger-Methode – das Prinzip, die DNA-Replikation zu unterbrechen – wurde die Grundlage für viel ambitioniertere, computerisierte Verfahren der DNA-Sequenzierung – auch für das Humangenomprojekt.
DNA-Proben vergleichen
Das Ziel der DNA-Sequenzierung ist die Ermittlung eines vollständigen, einzigartigen Datensatzes. Andere DNA-Analysen dienen der Identifikation. Dabei ist es nicht nötig, die komplette Sequenz zu bestimmen. Stattdessen werden DNA-Proben verglichen, um ihre Ähnlichkeit abzuschätzen. »DNA-Barcoding« beispielsweise wird benutzt, um Arten zu bestimmen. Andere Methoden werden zur Vaterschaftsbestimmung genutzt oder in Strafverfahren. 1984 entwickelte der britische Genetiker Alec Jeffreys eine Methode, die als genetischer Fingerabdruck bekannt ist. Sie dient der Identifikation von Individuen. Sie beruht auf der Tatsache, dass DNA Wiederholungen enthält. Manche Menschen haben davon mehr als andere und durch den Vergleich der Anzahl der Wiederholungen in zwei Proben ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit zu ermitteln, dass es sich um Verwandte handelt – oder um die dieselbe Person.