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ERSTER ENTWURF DES BUCHS DES MENSCHLICHEN LEBENS

DAS HUMANGENOMPROJEKT

IM KONTEXT

SCHLÜSSELFIGUREN

Francis Collins (*1950),

Craig Venter (*1946)

FRÜHER

1977 Frederick Sanger veröffentlicht die Sequenz der DNA-Basen eines Virus namens Enterobakteriophage PhiX174 – das erste öffentliche Genom.

1995 Craig Venter sequenziert das Genom des Bakteriums Haemophilus influenzae. Es ist das erste sequenzierte Genom eines zellulären Organismus.

SPÄTER

2004 Das Internationale Sequenzierungskonsortium schaltet ein Online-Tool frei, das laufende Genomprojekte für viele Arten im Detail beschreibt.

2016 Genome Project-write (GP-write) wird gestartet. Ziel ist die Erforschung der Synthese vieler Pflanzen- und Tiergenome.

Die Menge der genetischen Information in Organismen ist phänomenal. Selbst einfachste Einzeller wie Bakterien können Tausende von Genen haben, jedes davon aus Hunderten oder Tausenden von Basen zusammengesetzt. Die vollständige Sequenz der Basen und Gene eines Organismus wird Genom genannt. Die Dokumentation ganzer Genome bringt Biologen dem Verständnis näher, wie Zellen funktionieren. Nachdem der britische Biochemiker Frederick Sanger 1977 das Genom eines Virus sequenziert hatte, richteten andere Biologen ihre Hoffnungen auf komplexere Ziele.

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Der Wurm Caenorhabditis elegans kann leicht im Labor gehalten werden. Das ist einer der Gründe, warum er für die Genomforschung ideal geeignet ist.

Der amerikanische Genetiker Craig Venter, ausgestattet mit einem Computer, mit dem er kleine DNA-Fragmente analysieren konnte, sequenzierte 1995 das Genom des Bakteriums Haemophilus influenzae – des ersten zellulären Lebewesens.

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Die Wirkung vieler Gene wird sichtbar, wenn sie defekt sind. Dieses Diagramm zeigt einige der Krankheiten, die durch Schlüsselgene auf dem ersten (und größten) Chromosom des Menschen verursacht werden. Viele Krankheiten, auch Krebs, werden von mehreren Genen verursacht.

Größere Ziele

Vielzellige Organismen haben sehr viel größere Genome als einzellige Bakterien. Sie brauchen mehr genetische Information, um die Funktion ihrer Zellen zu kontrollieren und um Gewebe und Organe anzulegen. 1998 war ein millimetergroßer Wurm namens Caenorhabditis elegans das erste Tier, dessen Genom sequenziert wurde. Man fand, dass er fast 20 000 Gene hat.

Genetiker begannen in den 1980er-Jahren, die Kartierung des menschlichen Genoms ernsthaft ins Auge zu fassen. 1989 startete das Projekt als internationale Zusammenarbeit unter der Führung des amerikanischen National Instituts of Health (NIH) und wurde schließlich vom amerikanischen Genetiker Francis Collins geleitet. Zum Wissenschaftlerteam am NIH gehörte auch Craig Venter, der später sein eigenes Genomsequenzierungs-Unternehmen gründete. Schließlich arbeiteten beide Parteien, mit leicht unterschiedlichen Ansätzen, parallel. Im Juni 2000 verkündeten Collins und Venter einen ersten Entwurf bei einer Präsentation im Weißen Haus. Drei Jahre später, aber immer noch dem Zeitplan voraus, wurde eine umfassendere Version des ganzen Humangenoms veröffentlicht.

»Es ist kaum zu überschätzen, wie wichtig es ist, unsere eigene Betriebsanleitung zu lesen – und genau darum geht es beim Humangenomprojekt.«

Francis Collins

Das menschliche Genom

Das komplette menschliche Genom ist 3,2 Mrd. Basen lang. Ausgedruckt würde es, selbst in winziger Schrift, mehr als 100 dicke Bücher füllen. Nach aktuellem Wissen hat der Mensch 20 687 Gene, angeordnet auf 23 Chromosomenpaaren. Das erste Gen auf Chromosom 1 (dem größten menschlichen Chromosom) kontrolliert unseren Geruchssinn. Das letzte Gen auf Chromosom X hilft, das Immunsystem zu kontrollieren. Dazwischen sind Tausende andere auf eine Art und Weise angeordnet, die zufällig erscheint, jedoch in Wirklichkeit lebensnotwendig ist. Das Humangenomprojekt brachte auch einige Überraschungen mit sich: So bestehen 98 Prozent der Basensequenz aus langen, nicht codierenden Abschnitten zwischen den funktionierenden Genen oder aus Stücken von »Unsinn« (auch Junk-DNA genannt) innerhalb von Genen. Wissenschaftler wissen inzwischen, dass ein Teil der nicht codierenden DNA bestimmt, wann codierende Gene an- und ausgeschaltet werden.

Obwohl noch nicht vollkommen verstanden, hilft das Humangenomprojekt Biologen bei wichtigen Forschungen. Eine Landkarte der menschlichen DNA und ihre Basensequenz ist mehr als nur ein Hilfsmittel bei der Lokalisierung von Genen, die bei Krankheiten beteiligt sind. Indem sie genau verstehen, wie Gene von Zellen benutzt werden und was passiert, wenn sie Fehler machen, kommen Biologen einer Behandlung der Symptome näher und können sogar mögliche Heilmittel finden. image

100 000 Genome

Die Veröffentlichung des ersten Humangenoms war erst nach zehn Jahren internationaler Kooperation möglich. Das Projekt war eine große Leistung, aber es hatte seine Grenzen, nicht zuletzt, weil die DNA-Proben von einer sehr kleinen Zahl von Menschen stammten. Über Variationen innerhalb der Bevölkerung sagt es nicht viel aus.

2012 startete ein von der Regierung Großbritanniens finanziertes Unternehmen, das »100 000 Genomes Project«, mit dem Ziel, 100 000 Genome von Patienten, die an Erbkankheiten leiden, zu sequenzieren. Das letzte wurde Ende 2018 sequenziert. Das eindrucksvolle Projekt war nur aufgrund technischer Fortschritte möglich: Die Sequenzierung einer Person dauert heute nur ein paar Tage und kostet etwa 2000 Euro. Forscher benutzen die Fülle an Informationen, um je nach genetischer Ausstattung maßgeschneiderte Behandlungen für die Patienten zu entwickeln.