IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Carl von Linné (1707–1778)
FRÜHER
um 320 v. Chr. Aristoteles gruppiert Organismen nach ihrer Position auf einer »Stufenleiter der Natur«.
1551–1558 Conrad Gesner unterteilt das Reich der Tiere in fünf verschiedene Gruppen.
1753 Carl von Linné erstellt in Pflanzenarten ein binäres Namenssystem für Pflanzen.
SPÄTER
1866 Ernst Haeckel veröffentlicht einen »Lebensbaum« mit der Abstammung von Tieren, Pflanzen und Protisten.
1969 Der Ökologe Robert Whittaker schlägt fünf Reiche des Lebens inklusive Pilze vor.
1990 Carl Woese entwickelt ein System mit drei Domänen, das viele Taxonomen nutzen.
Als der schwedische Naturforscher Carl von Linné 1758 die zehnte Ausgabe von Systema Naturae veröffentlichte, veränderte er die Klassifikation von Organismen grundlegend. Er teilte Tiere systematisch in Klassen, Ordnungen, Gattungen und Arten ein und gab jedem Tier einen binären lateinischen Namen: Dem Namen der Gattung folgte der der Art. Früher waren Namen der Organismen sperrige, beschreibende Begriffe, die sich von Land zu Land unterschieden. Dagegen erlaubt von Linnés Nomenklatur eine universelle Erkennung. Die Einteilung in Gattungen führte dazu, dass diese Klassifikation auf die Verwandtschaft verschiedener Arten hinwies. Die Internationale Kommission der Zoologischen Nomenklatur bestimmte den 1. Januar 1758 als Beginn der Benennung von Tieren. Seitdem genießen diese Namen Priorität gegenüber allen älteren.
Mithilfe der Taxonomie werden Organismen identifiziert, benannt und klassifiziert. Aristoteles setzte sie bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. ein und teilte Lebewesen in Pflanzen und Tiere ein. Er klassifizierte etwa 500 Tierarten nach anatomischen Merkmalen, etwa ob sie vier oder mehr Beine haben, ob sie Eier legen oder ihren Nachwuchs gebären und ob sie Warm- oder Kaltblüter sind. Er erstellte Rangstufen, in denen der Mensch den obersten Platz einnahm, gefolgt von einer abnehmenden Ordnung von lebend gebärenden Tetrapoden (Vierbeinern), Cetacea (Walen und Delfinen), Vögeln, Eier legenden Tetrapoden, Schalentieren, Insekten, Schwämmen, Würmern, Pflanzen und Mineralien. Dieses System, obwohl mit Fehlern behaftet, war allgemein bis ins 16. Jahrhundert anerkannt.
Conrad Gesner, ein Schweizer Arzt, veröffentlichte von 1551 bis 1558 seine Historia Animalium in vier Bänden, den ersten großen Katalog der Tiere seit Aristoteles. Er enthielt auch Beschreibungen von Reisenden, die viele Länder besucht hatten. Die Bände umfassten eierlegende und lebend gebärende Vierbeiner, Vögel, Fische und andere Wassertiere. Ein fünfter Band über Schlangen wurde nach seinem Tod veröffentlicht, er hatte zudem einen weiteren über Insekten vorbereitet. Trotz der seltsamen Einbindung mythischer Einhörner und Hydras galt sein Werk als taxonomischer Maßstab.
Ein weiterer großer Fortschritt folgte 1682, als der englische Botaniker John Ray sein Methodus plantarum novum veröffentlichte. Als erstes Buch betonte es, wie wichtig eine Unterscheidung zwischen Monokotyledonen und Dikotylen (ein- bzw. zweikeimblättrige Pflanzen) ist, und es etablierte die Art als ultimative Einheit der Taxonomie. Ray katalogisierte Arten in Gruppen nach ihrem Aussehen und ihren Merkmalen. Zwischen 1686 und 1704 folgten drei Bände seiner Historia plantarum species, die Beschreibungen von etwa 18 000 Arten aus Europa, Asien, Afrika und Amerika enthielten.
Von Linnés Systema Naturae unterteilte das Reich der Tiere in sechs Klassen: Säugetiere, Amphibien, Fische, Vögel, Insekten und Würmer. Sie unterschieden sich durch anatomische Merkmale – wie den Aufbau von Herz, Lunge, Kiemen, Fühler und Tentakel –, aber auch in ihrem Aussehen. Viele Unterteilungen, wenn auch nicht alle, haben die Zeit überdauert. Jede Klasse unterteilte von Linné in mehrere Untergruppen oder Ordnungen. Bei den Säugetieren führte er acht Ordnungen ein, etwa Primaten, Ferae (Hunde, Katzen, Robben und Bären) und Bestiae (Schweine, Stacheltiere, Maulwürfe und Spitzmäuse). Jede Ordnung unterteilte er in Gattungen. Zu den vier Primatengattungen zählten Homo (Menschen), Simia (Affen), Lemur (Lemuren) und Vespertilio (Fledermäuse). Von Linné beschrieb als Erster den Mensch als Primaten, ordnete aber fälschlicherweise auch Fledermäuse den Primaten zu. Seine Klasse der Amphibien umfasste irrtümlich Reptilien und Haie, Spinnen waren in derselben Klasse wie Insekten und seine Klasse Würmer war eine seltsame Mischung von Weichtieren, die nicht miteinander verwandt sind, wie Würmer, Schnecken und Quallen. Dennoch enthielt seine beeindruckende Ausgabe von 1753 mehr als 4200 Arten.
»In der Natur existieren viele Arten, die Menschen noch nicht entdeckt haben.«
John Ray
Englischer Botaniker, 1691
Im folgenden Jahr veröffentlichte von Linné einen zweiten Band mit allen ihm bekannten Pflanzenarten. Für eine Zeit, in der Naturforscher große Teile der Welt mieden und keine guten Mikroskope besaßen, war diese Klassifikation beachtlich.
Zoologen und Biologen akzeptierten Linnés System schnell. Obwohl seit dem 18. Jahrhundert viel geändert wurde, bildet es immer noch die Basis zur Klassifikation. Jeder Organismus hat seinen besonderen Platz auf verschiedenen Ebenen der Klassifikationshierarchie. Der Eurasische Luchs, Lynx lynx, etwa gehört zum Reich der Tiere, zum Stamm Chordata (sie besitzen während ihrer Entwicklung einen Achsenstab), zur Klasse Säugetiere, zur Ordnung Fleischfresser, zur Familie der Felidae oder Katzen (die häufig nachts jagen) und zur Gattung Lynx (mit kurzem Schwanz). Jede dieser Kategorien ist ein Taxon. Das System gibt viele Informationen über ein Tier, ohne es zu beschreiben. Es zeigt auch, dass der Eurasische Luchs eng verwandt ist mit drei anderen Katzen der Gattung Lynx.
Dieses Aquarell aus Linnés Systema Naturae stellt seine Methode zur Klassifikation von Blütenpflanzen dar, die auf ihren reproduktiven Organen beruhte.
Die Frage, warum sich einige Arten anatomisch sehr gleichen, während andere völlig unterschiedlich sind, beschäftigte Biologen bis zu Charles Darwins Buch Die Entstehung der Arten (1859). Seine Erklärung, dass neue Arten durch natürliche Selektion, Mutation und Variation entstehen, passte sehr gut zu Linnés Hierarchie – Arten mit gemeinsamen Vorfahren gleichen sich. Heute weiß man, dass die vier Lynx-Arten Nachfahren des ausgestorbenen Lynx issiodorensis sind. Natürlich sind Tiere oder Pflanzen, die sich ähneln, nicht unbedingt eng miteinander verwandt. Durch konvergente Evolution können Arten mit unterschiedlichen Vorfahren ähnliche anatomische Merkmale haben, wenn diese einen evolutionären Vorteil bieten.
Der Eurasische Luchs (Lynx lynx) ist das drittgrößte Raubtier in Europa. Er lebt in Laubwäldern in Europa und Asien und jagt Rehe und Gämsen.
Angeregt von Darwin, untersuchte der deutsche Biologe Ernst Haeckel die Verwandtschaft von Organismen. Er zeigte 1866 mit einem Stammbaum, wie lebende Tiere von »unteren« Lebensformen abstammten. Er schlug vor, zu den Reichen der Pflanzen und Tiere ein drittes – Einzeller oder Protista – hinzuzufügen. Der französische Biologe Edouard Chatton unterschied 1925 Prokaryoten von Eukaryoten.
Der deutsche Biologe Willi Hennig schlug 1966 vor, Lebensformen streng nach ihren evolutionären Verwandtschaften zu klassifizieren. In diesem System umfasst jede Gruppe (oder Klade) alle Arten, die von einem Vorfahren abstammen, sowie diesen Vorfahren. Dadurch wurden viele Annahmen Linnés infrage gestellt.
Die Klassifizierung von Lebensformen nach ihrer Verwandtschaft wird durch bessere Mikroskope und DNA-Analysen unterstützt. Enger verwandte Arten weisen weniger Unterschiede in ihrer DNA auf. Viele Taxonomen nutzen das System der drei Reiche des amerikanischen Mikrobiologen Carl Woese. So wird die gewaltige Vielfalt der Mikroorganismen anerkannt.
Woese entdeckte, dass drei Abstammungslinien statt zwei existieren: Bakterien, Archaeen und Eukaryoten. Archaeen zählten früher zu den Bakterien in der Domäne Prokaryoten.
Carl von Linné
Der als »Vater der Taxonomie« angesehene Carl von Linné kam 1707 in Südschweden auf die Welt. Nachdem er an den schwedischen Universitäten in Lund und Uppsala Medizin und Botanik studiert hatte, verbrachte er drei Jahre in den Niederlanden, bevor er nach Uppsala zurückkehrte. Ab 1741 lehrte er als Professor für Medizin und Botanik, organisierte botanische Expeditionen und forschte. Viele seiner Studenten nahmen an Expeditionen zur Pflanzensuche teil, etwa der später berühmte schwedische Naturforscher Daniel Solander. Durch die gewaltige Vielfalt der gesammelten Proben konnte von Linné sein Systema Naturae zu einem mehrbändigen Werk mit mehr als 6000 Pflanzen- und etwa 4000 Tierarten erweitern.
Nach seinem Tod 1778 wurde er im Dom zu Uppsala begraben, in dem seine Überreste als Typusexemplar für Homo sapiens gelten.
Hauptwerke
1753 Pflanzenarten
1758 Systema Naturae (10. Ausgabe)