IM KONTEXT
SCHLÜSSELFIGUR
Raymond Lindeman (1915–1942)
FRÜHER
1839 Charles Darwin beschreibt eine Nahrungskette auf der kleinen Atlantikinsel St. Paul’s Rocks, die zwischen Brasilien und Westafrika liegt.
1913 Der amerikanische Zoologe Victor Shelford stellt eines der ersten Nahrungsnetze in Bildern dar.
1926 Wladimir Wernadski sagt vorher, dass chemische Stoffe zwischen belebter und unbelebter Natur wiederaufbereitet werden.
1935 Arthur Tansley entwirft das Konzept des Ökosystems.
SPÄTER
1953 Die Ökologen Eugene und Howard Odum erklären in ihrem Buch Grundlagen der Ökologie, wie verschiedene Ebenen eines Ökosystems miteinander interagieren.
Die chemischen Prozesse in lebenden Organismen, die etwa Nahrung in Energie umwandeln, nennt man Metabolismus. Organismen brauchen eine Energiequelle, um metabolische Prozesse anzutreiben. Für die meisten Ökosysteme stammt diese Energie von der Sonne. Erzeuger wie Pflanzen und Algen fangen mittels Fotosynthese Energie aus dem Sonnenlicht ein. Diese Energie wird an Konsumenten wie Tiere und Pilze weitergeleitet, die die Erzeuger verdauen. Ausnahmen von dieser Regel sind Organismen, die Eisen, Wasserstoff, Kohlenmonoxid, Nitrit, Ammonium und Magnesium oxidieren. Materie, etwa Luft, Wasser und Bodenmineralien, wird recycelt. Dagegen fließt die Energie durch Organismen entlang der Nahrungskette in Ernährungsebenen, den trophischen Ebenen. Diesen Prozess beschrieb zuerst 1942 der amerikanische Ökologe Raymond Lindeman.
Ein Schlauchboot benutzte Raymond Lindeman mit seinen Kollegen, um Organismen im Cedar Bog Lake (Minnesota) zu sammeln. Diese Daten waren die Grundlage seiner Doktorarbeit.
Lindeman forschte viel für seine Doktorarbeit am Cedar Bog Lake, heute die Cedar Creek Ecosystem Science Reserve der University of Minnesota. Er untersuchte Leben im und um den alternden See, der eine klassische Sukzession durchlief und sich nach und nach von einem See über einen Sumpf bis zum Wald veränderte. Er zeigte, dass die Seegesellschaft nicht als isoliert zu betrachten war, sondern vielmehr alles – Organismen verschiedener Nahrungsketten und ihre unbelebte Umwelt – durch Nährstoffzyklen und Energieströme miteinander verbunden war.
Lindemans Schrift wurde zunächst als zu theoretisch abgelehnt. Aber sein Berater G. Evelyn Hutchinson von der Yale University war überzeugt, sie verdiene ein breiteres Publikum. Er warb dafür, dass Lindemans Arbeit veröffentlicht wurde. Seine Schrift »Der trophisch-dynamische Aspekt der Ökologie« erschien 1942 in The Ecologist – wenige Monaten nach Lindemans Tod durch Leberzirrhose im Alter von 27 Jahren.
In dieser Schrift stellte Lindeman ein Mittel vor, um die angesammelte Energiemenge auf jeder trophischen Ebene in einem Ökosystem, heute als Produktivität bezeichnet, zu bewerten. Mit dem Sumpfökosystem des Cedar Creek als Beispiel zeigte er auch, dass Energie von einer trophischen Ebene zur nächsten fließt und jeder Organismus eine geringere Menge erhält. Auf jeder trophischen Ebene geht Energie verloren oder wird als Wärme abgegeben. Wenn ein Organismus einen anderen frisst, werden etwa zehn Prozent der Energie von jeder trophischen Ebene zur nächsten in der Nahrungskette transportiert. Das führte zur »Zehn-Prozent-Regel« als Richtlinie zum Verständnis des Energieflusses und Ökologen weltweit betrachten Lindemans Schrift als von zentraler Bedeutung für die Ökologie.
Ökologische Pyramide
Ökologische Pyramiden, die von Lindeman und dem Zoologen G. Evelyn Hutchinson entwickelt wurden, zeigen die Beziehung zwischen Lebewesen auf verschiedenen trophischen Ebenen. Die breite Basis bilden die Erzeuger, die folgende Ebene die Primärkonsumenten und so weiter.
Die drei Pyramidenarten beruhen auf Anzahl, Energie oder Biomasse (Gesamtheit eines Organismus in einem Habitat, ausgedrückt als Gewicht oder Volumen). Einige Pyramiden sind umgedreht, etwa die Biomassenpyramide der Ozeane, bei der Zooplankton mehr Biomasse hat als Phytoplankton.
Pyramiden gelten nur für einfache Nahrungsketten, nicht für komplexe Nahrungsnetze. Sie beachten keine Schwankungen des Klimas und der Jahreszeiten sowie keine Destruenten. Aber sie zeigen das Nahrungsverhalten von Organismen in verschiedenen Ökosystemen und der Effizienz des Energietransfers. Sie helfen auch, den Zustand der Ökosysteme zu überwachen.