Biologie ist die Wissenschaft vom Leben und den Lebewesen. Mit der Physik, der Chemie, den Geowissenschaften und der Astronomie gehört sie zu den Naturwissenschaften. Diese sind Produkte der menschlichen Neugier, dem Interesse an der Zusammensetzung und dem Funktionieren der Welt um uns herum, und einer tiefen Sehnsucht nach rationalen Erklärungen.
Wie die anderen Naturwissenschaften auch nahm die Biologie ihren Anfang in den Zivilisationen der Antike. Vielleicht begann sie sogar schon früher, nämlich als Menschen Wissen über ihre Umgebung sammelten, um zu überleben:
»Biologie ist für mich die Geschichte der Erde und all ihres Lebens – einst, jetzt und in Zukunft.«
Rachel Carson
(1907–1964)
Wissen über die Pflanzen, die man essen – oder an denen man sterben kann –, und über die Tiere, die man jagt – oder denen man aus dem Weg gehen sollte. Als sich höhere Kulturen entwickelten, dienten solche Beobachtungen als Grundlage für detailliertere Studien. In China, Ägypten und vor allem in Griechenland entwickelten sich methodische Ansätze zum Studium der natürlichen Umwelt.
Im 4. Jahrhundert v. Chr. begann der griechische Philosoph Aristoteles das systematische Studium der Lebewesen, er beschrieb und klassifizierte sie. Der griechische Arzt Hippokrates leitete aus Untersuchungen des menschlichen Körpers erste Grundprinzipien der Medizin ab. Obwohl diese Gelehrten eher beschreibend als analytisch vorgingen – und sich nach moderner Auffassung oftmals irrten –, blieben ihre Entdeckungen und Theorien beinahe 2000 Jahre lang das Fundament der Lebenswissenschaften.
Islamische Gelehrte bewahrten das Wissen der antiken Denker und bauten im späten Mittelalter (1250–1500) darauf auf. Ihre Art zu forschen kann man bereits als wissenschaftlich bezeichnen. Die neue Methode inspirierte die wissenschaftliche Revolution der europäischen Renaissance und der Aufklärung. Damals bildeten sich die Wissenschaften heraus, wie wir sie heute kennen – mit der Biologie als klar abgegrenzter Disziplin.
Die große Neuerung des modernen wissenschaftlichen Ansatzes bestand darin, dass die Forscher die Lebewesen nicht mehr nur beobachteten, sondern aktiv untersuchten. In der Biologie verlagerte sich das Interesse von der Anatomie (die die Strukturen eines Organismus beschreibt) zur Physiologie, die erklärt, wie ein Organismus und seine Teile funktionieren – und was den Prozess des Lebens an sich ausmacht. Betrachtet man Fülle und Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten, verwundert es nicht, dass sich verschiedene Zweige der Biologie zu entwickeln begannen.
Die offensichtlichste Unterteilung ergibt sich aus der Art der Lebewesen, die untersucht werden: Die Zoologie ist die Wissenschaft von den Tieren, die Botanik beschäftigt sich mit Pflanzen und die Mikrobiologie untersucht mikroskopisch kleine Organismen. Etliche Subdisziplinen wie Biochemie, Zellbiologie und Genetik verselbstständigten sich im Zuge weiterer Spezialisierung. Es gibt darüber hinaus eine Vielzahl von praktischen Anwendungen: in Medizin und Gesundheitswesen, Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion. Aktuell steht die Ökologie im Zentrum: Es gilt, die Schäden, die der Mensch in seiner Umwelt angerichtet hat, zu verstehen und zu mildern.
Heute geben vier Denkrichtungen den Forschungsbereichen der Biologie ihre Grundprinzipien vor. Die erste ist die Zelltheorie: Alle Lebewesen sind aus Grundbausteinen zusammengesetzt, die man Zellen nennt. Evolution ist die zweite: Lebewesen können und müssen sich verändern, um zu überleben. Das Prinzip der Genetik ist das dritte: Desoxyribonukleinsäure (international mit DNA abgekürzt) bildet in allen Lebewesen den Code für die Strukturen einer Zelle und zugleich den Stoff, der an die folgenden Generationen vererbt wird. Viertes Grundprinzip ist die Homöostase: Lebewesen regulieren ihre innere Umwelt so, dass ein Gleichgewicht erhalten bleibt.
Natürlich gibt es Überlappungen zwischen diesen Gebieten und weitere Untergliederungen innerhalb jedes Gebiets. In diesem Buch werden die vier genannten Richtungen der Biologie unterteilt in neun Kapitel, von denen jedes einen Aspekt, ein Prinzip oder einen speziellen Zweig der Biologie behandelt. So soll ein Gesamtbild der wichtigsten Ideen entstehen. Auch der historische Kontext soll deutlich werden: Wie haben sich diese Denkrichtungen im Lauf der Zeit entwickelt?
»… je mehr wir über Lebewesen lernen, speziell uns selbst, desto seltsamer wird das Leben.«
Lewis Thomas
(1913–1993)
Beim Lesen dieses Buchs gilt es, im Kopf zu behalten, dass viele der wesentlichen Entdeckungen und Erkenntnisse der Biologie Laien zu verdanken sind. Dies gilt vor allem für die Kinderjahre dieser Wissenschaft. Heute scheint die Welt der Biologie eine Domäne von Akademikern und Experten in weißen Kitteln zu sein – weit weg von uns Normalbürgern und jenseits unseres geistigen Horizonts. Die großen Ideen der Biologie sind jedoch oft nur hinter Fachbegriffen versteckt oder es fehlt an Grundwissen. Dieses Buch zielt darauf ab, die großen Ideen in einfacher Sprache ohne Fachjargon zu präsentieren, um uns allen das Verständnis zu erleichtern, ja vielleicht sogar weiteren Wissensdurst zu stimulieren.
Die Faszination für die Welt des Lebendigen kennzeichnet die Menschheit seit prähistorischen Zeiten. Heute wird sie erkennbar an der Popularität von Filmen und Fernsehserien, die uns die Vielfalt des Lebens nahebringen. Als Teil dieser Welt stehen wir zugleich oft staunend vor dem Mysterium des Lebens und fragen uns, wo unser Platz ist in der Ordnung der Natur.
Biologie ist ein Ergebnis unserer Bemühungen, diese Welt zu verstehen. Außer wertvollem Wissen kann sie uns Lösungen für manche Probleme anbieten, vor denen wir als Spezies stehen: Nahrung für eine wachsende Bevölkerung, Erfolge im Kampf gegen ansteckende Krankheiten, sogar die Verhütung von Umweltkatastrophen. Wir hoffen, dass dieses Buch Einblick gibt in die Ideen, die unser Verständnis dieses so lebendigen und wichtigen Themas geprägt haben.