VIELFALT DES LEBENS UND EVOLUTION

1753

Carl von Linné veröffentlicht Pflanzenarten, dem die 10. Ausgabe des Systema Naturae 1758 folgt. Er führt sein System der binären Nomenklatur zur Klassifizierung der Arten ein.

1796

Mithilfe von Fossilien identifizierte Georges Cuvier ausgestorbene Arten, die sich von heute lebenden Arten unterschieden.

1800–1810

Jean-Baptiste de Lamarck entwickelt eine Theorie, dass evolutionäre Veränderung durch Vererbung erworbener Merkmale entsteht.

1859

Charles Darwin veröffentlicht Die Entstehung der Arten und stellt seine Theorie vor, dass Evolution durch natürliche Selektion entsteht.

1900–1903

Hugo de Vries sagt mit seiner Mutationstheorie vorher, dass evolutionäre Veränderungen durch spontane Mutationen erfolgen.

1918

Ronald Fisher zeigt, dass die darwinsche Evolution mit der mendelschen Genetik kompatibel ist. Dies ebnet den Weg für die Synthetische Evolutionstheorie.

1942

Ernst Mayr erklärt, wie neue Arten entstehen, wenn eine Population isoliert ist und Merkmale entwickelt, die sie an einer Fortpflanzung mit anderen hindert.

1950

Willi Hennig entwickelt die Kladistik, eine alternative Methode der Klassifikation, die Arten nach ihrer evolutionären Verwandtschaft eingruppiert.

1960–1970

Emil Zuckerkandl und Linus Pauling entdecken die Rate evolutionärer Veränderung von DNA-Sequenzen bei ähnlichen Arten, die als »molekulare Uhr« wirkt.

1976

In seinem Buch Das egoistische Gen sagt Richard Dawkins vorher, dass Gene die fundamentale Einheit der Selektion bei evolutionären Veränderungen sind.

1980

Vater und Sohn Luis und Walter Alvarez vermuten, dass der Einschlag eines Planetoiden das Massenaussterben der Dinosaurier auslöste.

Auf der Erde existiert eine außergewöhnliche Vielfalt an Lebensformen – von einfachen einzelligen Organismen bis zu hochkomplexen Tieren und Pflanzen. Die Frage, wie diese erstaunliche Vielfalt entstehen konnte, wurde lange Zeit in der Geschichte durch Religion beantwortet: Es ist das Werk Gottes.

Dass das Leben von Gott erschaffen wurde und deshalb unveränderlich war, beeinflusste das Denken über die Vielfalt des Lebens bis zur Aufklärung im 17. und 18. Jahrhundert, als erste wissenschaftliche Theorien zur Evolution aufkamen. Zu diesem Zeitpunkt sollte die Vielfalt nicht erklärt, sondern alle bekannten Arten klassifiziert werden. Carl von Linné entwickelte in den 1750er-Jahren eine Taxonomie (Klassifikation der Arten), die heute noch genutzt wird. Er nahm an, dass Arten unveränderlich und Variationen zufällige Anomalien waren. Doch gegen Ende des 18. Jahrhunderts entstanden neue Ideen. Das bekannte Wissen erwies sich angesichts von Beweisen evolutionärer Veränderungen als unbefriedigend. Das zeigten die Entdeckungen von Fossilien ausgestorbener Arten durch Georges Cuvier, die sich stark von lebenden Arten unterschieden.

Graduelle Veränderung

Die Vorstellung, dass sich Arten im Lauf der Zeit verändern, entwickelte sich im 19. Jahrundert. Als einer der ersten Naturforscher bot Jean-Baptiste Lamarck hierfür eine Erklärung. Er vermutete, dass evolutionäre Veränderungen der Arten das Ergebnis von Individuen waren, die Merkmale durch Interaktionen mit ihrer Umwelt erwarben und diese an nachkommende Generationen vererbten.

Obwohl der Lamarckismus seine Anhänger fand, war er jedoch nur ein Schritt bei der Entwicklung einer Theorie für evolutionäre Veränderungen. Charles Darwin gewann die Erkenntnis, dass evolutionärer Wandel durch natürliche Selektion entsteht – Individuen, die am besten an ihre Umwelt angepasst sind, überleben, während andere, die nicht angepasst sind, aussterben. Folglich überleben einige Veränderungen und werden etabliert, andere dagegen nicht. Darwin veröffentlichte sein Werk Die Entstehung der Arten 1859 und revolutionierte die Denkweise über Veränderungen und Vielfalt der Arten – und unterminierte die religiöse Vorstellung der Erschaffung der Menschen als Gottes größte Leistung.

Im Widerspruch zu Darwins Theorie schlug Hugo de Vries zu Beginn des folgenden Jahrhunderts eine andere Theorie vor. Demnach entstehen Veränderungen zum größten Teil durch genetische Mutationen und nicht immer durch langsame Evolution, wie Darwin glaubte. Nach de Vries führen sprunghafte Änderungen zu neuen Varianten, die spontan erfolgen. Später wurde bestätigt, dass Mutationen zu genetischen Veränderungen führen, ihre Rate ist jedoch messbar konstant.

Auf einen weiteren, externen Faktor, der die Rate der Veränderungen beeinflusst, wiesen Luis und Walter Alvarez 1980 hin. Sie zeigten auf, dass der Einschlag eines massiven Asteroiden auf der Erde mit dem plötzlichen Verschwinden aller Dinosaurier (ausgenommen solcher, die sich zu Vögel entwickelten) zusammenfiel. Daher vermuteten sie, dass der Einschlag für das Massensterben verantwortlich war und dass Umweltkatastrophen ähnliche Folgen haben und zu spontanen Änderungen der Evolution führen können.

Kombinierte Theorien

Die konkurierrenden Behauptungen von Darwins Theorie der natürlichen Selektion und der Mutationstheorie von de Vries waren jedoch nicht unvereinbar. Ronald Fisher zeigte, dass sie sich ergänzen. Mit Mendels Vorstellung der Vererbung verbanden sie sich zu einer Theorie der evolutionären Veränderung, der Synthetischen Evolutionstheorie. Die Einbindung der Erbgesetze in diese Theoie war vorausschauend. Später erörterte Richard Dawkins, dass Gene – wie 1976 in seinem Buch Das egoistische Gen – die fundamentale Einheit der Selektion bei Veränderungen sind –, und nicht der Organismus.

Durch die überwältigenden Nachweise, die die evolutionären Veränderungen stützten, entstand Mitte des 20. Jahrhunderts die Idee, das System der Taxonomie von Linné zu reformieren. Dieses beruhte auf der Annahme, dass die Ordnung des Lebens unverändert ist. Ein alternativer Vorschlag war Willi Hennigs System der Kladistik, die alle Arten mit gemeinsamen Vorfahren – einschließlich der Vorfahren – in einer Gruppe zusammenfasste, die man Klade nennt. image