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An so sonnigen Tagen wie diesem bekam Jerry Maggage zu Hause alle Zustände. Vor allem die Platzangst quälte ihn halbtot. Den Rest besorgten seine schrecklichen Depressionen, die er nur dann loswurde, wenn er sich mit billigem Fusel volllaufen ließ. Dann hatte er wenigstens für eine Weile nicht das Gefühl, die Decke würde ihm jeden Moment auf den Schädel fallen.

Draußen, im Central Park, war alles weit weniger schlimm. Deshalb nützte Jerry Maggage jeden Sonnentag aus, um dorthin zu kommen, die Enten im Teich zu beobachten, die Beine von sich zu strecken und das Großstadtleben an sich vorbeiziehen zu lassen.

Warm angezogen saß er auf der Bank. Ganz allein. Den Kopf zurückgelegt, die Augen geschlossen - die Wärme der Sonne mit verklärten Zügen genießend.

Da fiel ein Schatten auf sein entspanntes Gesicht. Er wartete. Als der Schatten nach dreißig Sekunden immer noch nicht weitergewandert war, machte er die Augen auf und brummte: „Sie stehen verdammt ungünstig!“

Bount setzte sich grinsend neben ihn auf die Bank. „Na, Jerry.“ „Bount Reiniger!“ Das klang nicht besonders erfreut. Eher erschrocken. „Was läuft denn so?“, fragte Bount. Jerry Maggage hob die Schultern und schürzte die Lippen. Er setzte sich gerade. „Was weiß ich. Ich kümmere mich nicht darum. Lasse bloß den Herrgott einen lieben Mann sein, das genügt mir.“

„Was machen deine Depressionen?“

„Ist nicht mehr so schlimm.“ Jerry grinste. „Wissen Sie, was mir ein Kumpel geraten hat?“

„Was?“

„Ich soll mal zum Psychoanalytiker gehen. Der könnte mir helfen.“ Maggage schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Zum Psychoanalytiker. Ich!“

„Was hast du gegen Psychoanalytiker, Jerry?“

„Nichts. Gar nichts. Ich bin sogar der Meinung, dass es sie geben muss in einer Zeit wie dieser. Aber womit soll ich einen solchen Seelenmasseur denn bezahlen? Mit Hosenknöpfen etwa?“

Bount schmunzelte. „Vielleicht gibt es einen, der Hosenknöpfe brauchen kann.“

„Der müsste dann aber selber mal dringend auf die Couch.“

Bount blickte auf den Teich. Ein Enterich kämpfte mit einem anderen um ein Weibchen, das mit stolz erhobenem Kopf durch die Fluten zog. Es war überall dasselbe.

„Ich wusste, dass ich dich hier finden würde“, sagte Bount nach einer Weile.

Das erschrecke Jerry Maggage so sehr, dass er pfeifend Luft holte. „Sie haben mich gesucht? Ich dachte, Sie wären bloß zufällig hier vorbeigekommen.“

Bount schüttelte den Kopf. „Ich bin mit voller Absicht hier.“

Jerry schaute nervös auf seine Hände. Er leckte sich die bleistiftdünnen Lippen und hüstelte unruhig. Er war ein kleiner Gauner, dieser Jerry Maggage. Zu klein für große Dinge, deshalb hatte er auch kaum mal Geld. Aber es ersparte ihm auch längere Gefängnisaufenthalte. Für kleine Delikte gibt es nun mal keine großen Strafen. Er blickte Bount unsicher von der Seite an. Seine Augen waren die reinsten Fragezeichen. Absichtlich war Reiniger hier. Was hatte das zu bedeuten? Jerry fühlte sich mit einem Mal nicht wohl in seiner Haut. Verdammt, warum war er nicht auf dem Broadway spazieren gegangen, wie er es ursprünglich vorgehabt hatte. Warum war er hierher, zu seinem Stammplatz, gekommen?“

„Was haben Sie denn auf dem Herzen, Bount Reiniger?“, fragte er mit gepresster Stimme.

Bount scharrte mit dem Fuß über den Boden. Ein Liebespärchen kam an ihnen vorbei. Die beiden blieben ungeniert vor ihnen stehen und küssten sich innig.

Maggage grinste. „Gott, muss Liebe schön sein.“

„Schöner als Hass“, sagte Bount. Die beiden gingen weiter, ohne sie auch nur eines Blickes zu würdigen.

„Früher war schon der Teufel los, wenn ein Mädchen das Knie zeigte. Heute knutschen sie vor aller Welt im Park“, sagte Jerry.

„Früher hat es Indianer gegeben. Heute kaum noch.“ Bount schaute Maggage fest an. Der kleine Gauner schrumpfte sogleich ein paar Zentimeter zusammen. Reinigers Blick war ihm unerträglich. Er musste wegsehen. „Schlechtes Gewissen, was?“, sagte Bount.

Maggage hielt die Luft an. „Ich?“, stöhnte er erschrocken. Vermutlich fragte er sich: Herrje, woher weiß er das schon wieder?

Bount sagte: „Jemand hat mir erzählt, dass es vorgestern eine handfeste Schlägerei gegeben hat.“

Maggages Gesicht nahm eine ungesunde Farbe an. Er schwieg verbissen.

„Vier Burschen, die wir beide recht gut kennen, haben zwei Mitglieder der Mortimer-Gang verprügelt“, sagte Bount.

Maggages Brustkorb hob und senkte sich schnell. Er war erregt. „Warum erzählen Sie mir das? Was habe ich damit zu tun? Denken Sie, ein Spargeltarzan wie ich könnte bei ’ner Prügelei mitmischen?“

„Du hattest einen anderen Job“, sagte Bount.

„Welchen denn?“, fragte Maggage schrill.

„Du hast Schmiere gestanden.

Jerry fuhr sich mit einer fahrigen Handbewegung über das zuckende Gesicht. Wie hatte dieser verdammte Reiniger das schon wieder herausbekommen? Wer hatte ihm das gesteckt? Die Krätze sollte der Verräter am Hintern kriegen, und zu kurze Hände sollte er haben, damit er sich nicht kratzen konnte, wenn es juckte.

Maggage hatte das Gefühl, dass es besser war, Reiniger nicht zu verärgern. Er lachte verlegen. „Mein lieber Mann, Sie haben anscheinend nach überallhin ’nen heißen Draht.“

„Ist dir unangenehm, dass ich das weiß, hm?“

„Nun ja ...“

Bount stieß den kleinen Gauner leicht mit dem Ellenbogen an. Er kam bis an die Rippen durch. „Nun stell dir mal vor, was passiert, wenn ich zur Mortimer-Gang gehe und da ganz nebenher die Bemerkung fallenlasse, wie der Junge heißt, der Schmiere gestanden hat. Die würden kommen und dich aus den Kleidern stoßen.“ Jerry Maggage rang nach Atem. Seine Augen wurden groß wie Untertassen. „Mein Gott, Reiniger, das können Sie doch nicht machen!“

„Ich könnt’s.“

„Ja, aber warum ... Ich meine, was haben Sie davon, wenn mich die Jungs von Mortimer fertigmachen?“ „Vielleicht bin ich der Meinung, mal wieder eine gute Tat tun zu müssen.“

„Indem Sie mich an diese Henkersknechte ausliefern?“, fragte Maggage bestürzt. „Das hat doch nichts mit ’ner guten Tat zu tun.“

„Das ist deine unbedeutende Meinung. Aber wie denkt Mortimer darüber?“, grinste Bount.

Jerry flippte fürchterlich. Er wetzte unruhig auf der Bank hin und her. „Ich hätte mich darauf nicht einlassen sollen!“, stöhnte er verzweifelt. „Es ist niemals gut, wenn man irgendjemand einen Gefallen tut. Letztlich geht’s ja doch immer ins Auge.“

Bount bot ihm eine Chesterfield an. Der kleine Gauner rauchte paffend. Seine Hände zitterten. Die Zigarette wippte ununterbrochen auf und ab.

„Vielleicht überlege ich mir das mit der guten Tat noch“, sagte Bount.

Jerry sah ihn hoffnungsvoll an. „Wirklich?“, fragte er schnell.

„Man sagt: Eine Hand wäscht die andere.“

„Den Spruch kenne ich“, nickte Maggage.

„Und wie stehst du dazu?“, erkundigte sich Bount Reiniger.

Maggage biss in den Filter der Zigarette. „Ich fürchte, ich verstehe Ihre Frage nicht.“

„Wenn ich der Mortimer-Gang keinen Tipp gebe, dann habe ich dir damit einen Gefallen getan, richtig?“ „Einen groooßen Gefallen!“

„Wärst du unter diesen Umständen bereit, auch mir einen groooßen Gefallen zu erweisen?“

Jerry schaute Bount erstaunt an. „Kann ich das denn?“

„Du könntest es wenigstens versuchen.“

„Was muss ich tun?“

„Da hat sich jemand eines uralten Tricks besonnen, wie er mit wenig Einsatz verhältnismäßig problemlos absahnen kann: Schutzzoll heißt das Zauberwort. So etwas geht ziemlich einfach über die Bühne. Zuerst übt man ein bisschen Druck auf die Leute aus, die man zur Ader lassen möchte. Man schüchtert sie ein, legt ihnen nahe, sich nicht an die Polizei zu wenden, stellt seine Forderungen: zum Beispiel fünfhundert Dollar wöchentlich. Die meisten haben gleich von Anfang an so viel Angst, dass sie sich bereit erklären zu zahlen. Andere muss man sich erst gefügig machen. In der Regel geschieht das auf die Weise, dass zwei Kerle angetanzt kommen, die alles kurz und klein schlagen. Nützt das immer noch nichts, wird das Opfer durch die Mangel gedreht. Und ganz schlimm kommt es, wenn einer den Mut aufbringt, sich an die Polizei oder an einen Privatdetektiv zu wenden.“

„Ist das passiert?“, fragte Jerry Maggage, der Bount gut folgen konnte.

Bount nickte. „Heute Nacht. Der Mann hieß Benny Palmer. Es hat nicht mal eine Stunde gedauert, bis er tot war, nachdem er mit mir Kontakt aufgenommen hatte. Jetzt bin ich hinter diesen kaltschnäuzigen Gangstern her.“

Maggage legte die Hände auf seine schmale Brust. „Ich verstehe nicht, weshalb Sie mir diese Story erzählen.“

„Du wirst mir helfen, die Kerle zu schnappen.“

Obwohl es eine durchaus ernste Sache war, musste Jerry Maggage lachen. „Wofür halten Sie mich denn, Mr. Reiniger? Ich bin Jerry Maggage, falls Ihnen das noch nicht so richtig bewusst geworden ist. Ein winziger Floh bin ich. Ich werde mich hüten, mich mit einem Elefanten anzulegen.“

Bount hob warnend den Finger. „Denk an die Mortimer-Gang.“

Maggages Miene wurde säuerlich. „Verdammt, Sie sind ein Erpresser, Reiniger!“

Bount schüttelte grinsend den Kopf. „Eine Hand wäscht die andere, nennt man das. Ich verpetze dich nicht bei Mortimer, und du findest für mich heraus, auf wessen Kommando die Schutzzoll-Gangster hören. Obendrein lasse ich auch noch einen Fünfziger aus meinem Sparstrumpf springen. Na, ist das ein Angebot?“

„Allerdings. Ein Angebot, das mir ’nen sauberen Genickbruch garantiert.“

Bount schmunzelte. „Ich weiß, dass du wenigstens versuchen wirst, mir zu helfen.“

Maggage seufzte schwer. „Da wissen Sie mehr als ich. Teufel noch mal, wissen Sie, in was für eine Lage Sie mich bringen? Höre ich mich für Sie um, kann es passieren, dass ich so ende wie Benny Palmer. Höre ich mich nicht um, droht mir von der Mortimer-Gang das gleiche Schicksal.“

Bount hob gleichmütig die Schultern. „Wir haben alle unsere Probleme, Jerry. Und wir müssen trachten, irgendwie damit fertigzuwerden.“