Sie hatte es ihm verschwiegen, und trotzdem wusste Edward Minsky in diesem Moment, dass Sherry Wyndotte vor diesen Kerlen davongelaufen war. Dem fetten Minsky wurde angst und bange. Seine Schweißdrüsen arbeiteten auf Hochtouren. Minsky begriff, dass er einen großen Fehler begangen hatte. Er hätte Sherry nicht bei sich aufnehmen dürfen. Nicht einmal um den Preis, den sie dafür zu zahlen gewillt war. Minsky verlor vor Angst beinahe den Verstand. Derringer und Shulman kamen wortlos näher. Ihre Mienen waren finster. Minsky dachte, seine letzte Stunde hätte geschlagen. Er verwünschte Sherry, weil sie sich in ihrer Not an ihn erinnert hatte. Warum ausgerechnet an ihn? Warum war ihr kein anderer Name eingefallen?
Instinktiv spürte Minsky, dass sogleich etwas Unwiderrufliches geschehen würde.
Die Mauser-Pistole fiel ihm ein, die er unter dem Verkaufspult aufbewahrte. In letzter Zeit waren so viele kleine Geschäftsleute von jugendlichen Verbrechern überfallen worden, dass es Minsky angeraten erschienen war, sich eine Pistole zuzulegen. Nie und nimmer hatte er die Absicht, damit auch wirklich zu schießen. Die Jugendlichen sollten nur sehen, dass er ihnen nicht hilflos ausgeliefert war. Erschrecken wollte er sie mit der Mauser, falls sie sich mal seinen Laden vornehmen wollten. Bloß erschrecken. Er war sicher, dass sie sofort Reißaus nehmen würden, wenn er sie in die Mündung seiner Waffe blicken ließ.
Das mochte bei Jugendlichen klappen.
Aber bei diesen Gangstern hier?
Es war eine Kurzschlusshandlung. Minsky verlor die Beherrschung. Er hatte einfach zu viel Angst. Deshalb griff er blitzschnell nach der Mauser. Da flankte Larry Derringer über den Ladentisch. Was dann passierte, ging so schnell, dass Edward Minsky mit dem Denken nicht mitkam. Derringers Faust krachte an Minskys Schädel. Dieser eine knallharte Schlag streckte den Dicken nieder.
Pete Shulman kam um den Ladentisch herum. „Warte mal“, sagte er gedämpft. „Ich hab’eine Idee!“
Er trug Handschuhe. Nun hob er die Mauser des Bewusstlosen auf. Er bedeutete Derringer, sich vollkommen ruhig zu verhalten. Dann schlich er rasch auf die Tür zu, die in Minskys Wohnung führte. Er öffnete sie.
Sherry saß auf der Couch. Sie versuchte, die vielen Dinge, die auf sie eingestürmt waren, zu schlichten. Sie suchte nach einer Möglichkeit, Edward Minsky hinzuhalten.
Die Tür öffnete sich.
Sherry dachte, es wäre Minsky.
Als sie dann aber Pete Shulman erblickte, schnellte sie von der Couch hoch und stieß einen grellen Schrei aus. Sie presste ihre Handtasche fest an ihren Busen und wollte fliehen. Da krachte der erste Schuss. Sherry fiel. Shulman drückte noch einmal ab, rannte auf das Mädchen zu und feuerte aus nächster Nähe noch einmal auf sie. Dann entriss er ihren verkrampften Fingern die Handtasche. Grinsend nahm er die Druckplatte an sich und verließ die schäbige Wohnung.
„Ist sie ...“
„... tot“, sagte Shulman zu seinem Komplicen.
„Und was nun?“, fragte Larry Derringer mit düsterer Miene.
„Jetzt schieben wir den Mord dem da in die Schuhe“, grinste Shulman. „Okay. Und wie?“
„Ich hab’ sie mit seinem Ballermann fertiggemacht.“ Shulman lachte. „Wirst gleich sehen, was ich für ’ne Show abziehe. Komm. Fass mit an. Wir müssen den Fettsack nach nebenan schaffen.“
Sie trugen den schweren Mann ächzend in die Wohnung, legten ihn neben Sherry Wyndottes Leiche, und Shulman drückte dem Ohnmächtigen die Mauser in die schlaffe Pfote. Als sie wieder im Laden waren, rief Pete Shulman die Polizei an. Sobald er den Desk-Sergeant an der Strippe hatte, fing er furchtbar zu keuchen an, als wäre er den Broadway einmal hinauf und hinunter gelaufen.
„Mein Gott!“, schrie Shulman mit verstellter Stimme in die Membrane. „Gütiger Himmel! Minsky hat den Verstand verloren. Der Fettsack ist völlig durchgedreht! Sie müssen sofort kommen ... Er ... er hat das Mädchen mit seiner Pistole bedroht ... Sie hat um Hilfe geschrien ... Ich wollte es verhindern ... Aber Minsky war zu schnell für mich ... Ich hab’ ihn niedergeschlagen ... Er liegt in seiner Wohnung. Das Mädchen ist tot. Ich konnte ihn nicht daran hindern, dass er wie verrückt auf sie losballerte ... O Gott, was hat Minsky bloß getan ...“
„Nun mal langsam!“, sagte der Desk-Sergeant schroff. „Wer ist Edward Minsky?“
„Ihm gehört der Süßwarenladen in der Willis Avenue.“
„Und das Mädchen, das er erschossen hat, wie ist ihr Name?“
„Sherry. Sherry Wyndotte.“
„Und wie heißen Sie?“
„Jerome Kirby.“
„Hören Sie zu, Kirby, ich gebe das, was Sie mir gesagt haben, sofort an die Zentrale weiter. Bleiben Sie an Ort und Stelle. Lassen Sie alles so, wie es ist. Verändern Sie nichts. In ein paar Minuten ist ein Streifenwagen bei Ihnen. Haben Sie alles verstanden, Kirby?“
„Ja“, sagte Pete Shulman grinsend. „Ja, Officer. Ich habe alles verstanden.“ Er legte auf und sagte zu Larry Derringer: „Nun soll der gute Mr. Minsky mal zusehen, wie er sich da herauswindet.“