Seit zwanzig Minuten beobachteten sie das Haus nun schon. Kein Zweifel. Das war die Tauchstation von Kevin La Casa. Larry Derringer hatte sich kurz vor dem Haus blicken lassen. Am Fenster war Pete Shulman zu sehen gewesen. Eine Fliederbuschgruppe wucherte bis knapp an das Gebäude heran. Das kam Bount und Wilkie sehr gelegen. So konnten sie sich an das Haus heranpirschen, ohne von den Gangstern vorzeitig entdeckt zu werden. Ein rehbrauner Oldsmobile stand vor dem Hauseingang.
Bount und Wilkie schlichen bis zu diesem Wagen. Ihre Pistolen waren entsichert. Ihre Nerven fast bis zum Zerreißen gespannt. Noch wussten sie nicht, wie viele Leute sich in dem Haus befanden. Sie vernahmen ein undefinierbares Knurren. Es kam aus dem Keller des Gebäudes.
Bount wollte sich an dem Oldsmobile vorbeidrücken, da ging die Tür des Hauses auf. Lorna kam heraus. Bount zuckte zurück. Das Mädchen öffnete den Wagenschlag, kletterte auf den Rücksitzen herum, holte ihre Handtasche von der Ablage und klappte den Wagenschlag wieder zu.
In diesem Moment war Bount bei ihr. Er legte ihr von hinten die Hand auf den Mund, drückte ihr seine Automatic in den Rücken und zog sie an die Hausmauer. Dort konnte sie von drinnen niemand sehen.
Der Schock ließ Lorna förmlich erstarren.
„Keinen Mucks!“, flüsterte Bount in Lornas Ohr. „Sie verhalten sich vollkommen still, verstanden?“
Lorna nickte schnell. Ihre Augen waren schreckgeweitet. Bount nahm die Hand von ihrem Mund. Er war darauf gefasst, sofort wieder zupacken zu müssen. Doch Lorna hatte nicht den Mut, einen Warnschrei auszustoßen.
„Sehr vernünftig“, lobte Bount Reiniger. „Wie viele Leute befinden sich im Haus?“
„Kevin, Pete Shulman, Larry Derringer, Zero und die beiden Drucker“, antwortete Lorna heiser.
Die beiden Drucker! Bount lauschte nach dem Knurren, das aus dem Keller kam. Eine Druckmaschine lief da.
„Was wird gedruckt?“, fragte er schnell.
Darauf gab ihm Lorna keine Antwort. Er hielt sich nicht damit auf, weiter in sie zu dringen. In wenigen Augenblicken würde er wissen, was Kevin La Casa in seinem Keller herstellte.
„Wie geht es Zero?“, erkundigte sich Bount Reiniger.
„Nicht besonders gut. Der Arzt war da, musste ihm eine Kugel aus der Schulter holen.“
„Passen Sie auf. Sie werden jetzt Pete Shulman herausrufen!“
Lorna schüttelte bestürzt den Kopf. „Das kann ich nicht.“
„Sie werden es tun“, zischte Bount ärgerlich. „Sonst ...“
Sein Bluff hatte die erwünschte Wirkung. Lorna nickte schnell. „Okay, Okay! Ich tu’s.“
Wilkie Lenning nahm neben der Tür Aufstellung. Er presste sich fest an die Wand und wartete. Lorna rief Shulman. Bount hatte sich von dem Mädchen entfernt. Aber Lorna wusste, dass seine Waffe ständig auf sie gerichtet war.
Shulman erschien. Lorna stand hilflos da, rührte sich keinen Millimeter vom Fleck und zitterte so heftig, dass er für einen Moment verwirrt war. Da flog Wilkie Lenning auf ihn zu. Shulmans Hand zuckte sofort zur Waffe, aber Lenning war um vieles schneller. Seine Pistole landete auf dem Schädel des Gangsters. Der Mann brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Bount holte die Leine vom Wäschetrockner. Damit fesselten sie den Verbrecher. Reinigers Taschentuch gab den Knebel ab.
Danach betraten sie das Haus. Pete Shulman ließen sie draußen liegen. Lorna begleitete sie - halbtot vor Angst. Bount ließ sich von ihr berichten, wie viele Zimmer es im Haus gab und wer sich zur Zeit wo aufhielt. Wenn Lorna die Wahrheit sagte, dann befand sich Kevin La Casa mit den Druckern im Keller, während Zero im Gästezimmer lag - und Larry Derringer war allein im Wohnzimmer.
Sie schickten das Mädchen voraus. Sie torkelte in den Livingroom, knetete ununterbrochen die zitternden Finger, blickte Larry nicht an, nahm auf einem chintzbezogenen Sofa Platz. Sie plumpste regelrecht in die Polster. Ein schwerer Seufzer entrang sich ihrer Brust. Derringer blickte sie verblüfft an.
„Sag mal, was ist denn mit dir los?“, fragte er erstaunt. „Du bist ja ganz bleich. Ist irgendetwas mit Pete nicht in Ordnung?“
Sie sagte nichts. Derringer rannte auf sie zu. Das war der Moment, wo er der Tür den Rücken zukehrte. Reiniger und Lenning federten in den Raum. Derringer hörte sie und zuckte bestürzt herum. Auch er wollte zur Waffe greifen, aber er überlegte es sich schnell wieder, als er sah, dass zwei Waffenmündungen bedrohlich auf ihn gerichtet waren. Langsam hob er die Hände.
Sie fesselten und knebelten auch ihn. Wütend bäumte er sich auf, zog die Beine an und rammte sie Lenning hart in den Bauch. Wilkie wurde zurückgeworfen. Er stieß gegen eine Kommode. Eine Blumenvase zerschellte auf dem Boden. Bount band den Gangster so, dass er danach kaum noch den kleinen Finger bewegen konnte.
Dann erhielt Lorna Dory den Befehl, sich nicht von der Stelle zu rühren. Sie nickte hastig. Bount wusste, dass sie nicht den Mut aufbringen würde, sich ohne seine Erlaubnis zu erheben.
Er eilte mit Wilkie aus dem Wohnzimmer.
Sie rechneten beide nicht mit Zero. Sie wollten sich den Weg zu ihm sparen und gleich zum Keller hinuntereilen. Aber Zero war ein verdammt zäher Bursche. Er hatte viel Blut verloren, aber man musste immer noch mit ihm rechnen. Als die Vase zerschellte, holte er seinen Revolver unter dem Kopfkissen hervor. Mit schmerzverzerrtem Gesicht kämpfte er sich hoch. Er wollte nach dem Rechten sehen. Der starke Blutverlust hatte ihn entkräftet. Er schwankte bei jedem Schritt. Vor seinen Augen tanzten bunte Kreise. Sein Brustkorb war dick bandagiert. Trotzdem schleppte er sich zur Tür. Er öffnete sie und erblickte Reiniger und Lenning.
Sofort legte er auf Wilkie an.
Bount sah die Bewegung der hochfahrenden Waffe aus den Augenwinkeln. Er gab Lenning einen Stoß und feuerte dann gleichzeitig mit Zero. Die beiden Schüsse klangen wie einer. Zeros Kugel klatschte dicht neben Wilkie in die Wand.
Reinigers Kugel traf. Sie stieß Zero in das Gästezimmer zurück. Er versuchte sich an einem der Stühle festzukrallen - aber dann brach er zusammen und rührte sich nicht mehr. Zero war tot, mitten ins Herz getroffen.
Unten schwang die Kellertür auf.
Kevin La Casas verstörtes Gesicht war für einen kurzen Moment zu sehen. Der Gangboss schleuderte die Tür gleich wieder zu. Bount und Wilkie hetzten die Stufen hinunter. Mit schussbereiten Waffen wirbelten sie in den Keller. Die beiden Drucker starrten sie entgeistert an.
„Hände hoch!“, schrie Bount. „Umdrehen ! An die Wand!“
Die Männer gehorchten unverzüglich. Die Druckmaschine ratterte ohne sie weiter. Bogen um Bogen warf sie aus. Kanadische Zwanzig-Dollar-Noten. Blüten. Das war es, was Kevin La Casa hier unten also produzierte.
La Casa!
Bounts Blick suchte den Gangboss. Er entdeckte eine offenstehende Tür. Während sich Wilkie Lenning um die Drucker kümmerte, hetzte Bount Reiniger auf jene Tür zu, die aus dem Keller direkt ins Freie führte. Atemlos kam Reiniger beim oberen Treppenende an. Er hörte stampfende Schritte. Als er um die Ecke des Hauses bog, riss Kevin La Casa gerade die Tür des Oldsmobile auf.
„Halt!“, schrie Reiniger. „Keine Bewegung, La Casa!“
Der Gangsterboss fuhr wie von der Tarantel gestochen herum. Mit wutverzerrtem Gesicht eröffnete er das Feuer auf Bount Reiniger.
Bount warf sich zu Boden und schoss zurück. Seine Kugeln hoben den Gangsterboss regelrecht aus. Sie schleuderten ihn in den Wagen hinein. Auf das Lenkrad. Die Hupe brüllte los und hörte nicht mehr auf. Aber La Casa merkte von alledem nichts mehr. Denn Kevin La Casa war tot.