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Bount Reiniger packte seine Reisetasche. Er brauchte nicht viel für den Flug von New York nach Los Angeles und gleich wieder zurück. Er hatte nicht vor, in L.A. Ferien zu machen. Länger als ein, zwei Tage wollte er sich dort nicht aufhalten. Die Länge der Aufenthaltsdauer würde sich nach den Umständen richten, die Bount in Los Angeles vorfand.

Charles Caledonia hatte überall in Amerika Freunde. Also hatte er sie auch in L.A. Freunde, die ihm gern einen Gefallen erwiesen hätten, um sich für das zu revanchieren, was Caledonia ihnen zugeschanzt hatte, wo sie ohne ihn niemals ran gekommen wären. Es würde ihnen garantiert keine schlaflosen Nächte bereiten, wenn sie es schafften, Terence Day abzuschießen. Im Gegenteil, sie würden keinen Schlaf finden, wenn ihnen das nicht gelang, denn Day war eine Zeitbombe, die in New York hochgehen würde. Die Bombe würde Caledonia vernichten, und mit ihm eine Menge Leute mehr. Deshalb setzten Charles Caledonias Freunde in L.A. sicherlich alles daran, um zu verhindern, dass Terence Day die Ostküste erreichte.

Bount hörte hinter sich einen wehmütigen Seufzer und drehte sich um. In der Tür stand June March mit verklärtem Blick.

„Ich schwärme für Los Angeles“, sagte sie.

Bount wusste, was sie wollte. Er ging aber nicht darauf ein, sondern sagte gleichmütig: „Es ist eine Stadt wie jede andere.“

„Das ist nicht wahr“, widersprach ihm June. „Santa Monica. Sunset Boulevard. Hollywood mit seinen riesigen Filmateliers. Beverly Hills mit den prachtvollen Häusern der berühmten Filmstars. Das sind klangvolle Namen, die ein eigenartiges Flair umgibt.“

Bount grinste. „Du bleibst trotzdem hier.“

„Ich weiß“, sagte June spitz. „Du degradierst mich gern zur Tippse. Aber ich kann mehr.“

„Ich glaub’ dir das gern, aber ich kann dich in L.A. nicht gebrauchen.“

„Wilkie nimmst du aber mit.“

„Das ist etwas anderes. Wilkie versteht zu kämpfen. Wir werden uns unserer Haut ganz kräftig wehren müssen. Die Luft in L.A. wird, wie ich das sehe, verdammt bleihaltig sein. Ich verstehe nicht, wieso dich die Gefahr immer so magisch anzieht. Du hast hier ein herrliches Leben, kannst während meiner Abwesenheit eine ruhige Kugel schieben, während ich für Attorney Brown in Los Angeles die Kastanien aus dem Feuer holen muss.“

„Warum sagst du nicht gleich, du möchtest mich nicht ständig um dich haben, ich gehe dir auf die Nerven?“

„Weil das nicht stimmt. Ich bin lediglich um dich besorgt, das ist alles. Du solltest mir das hoch anrechnen.“

June zog sich ins Vorzimmer zurück. Bount packte seine Tasche fertig. Kaum hatte er den Reißverschluss zugezogen, erschien June wieder. „Nein“, sagte Bount.

„Du weißt ja noch gar nicht, was ich fragen will“, gab June March zurück.

„Hartnäckig, wie du bist, versuchst du den Bohrer noch mal anzusetzen“, sagte Bount lächelnd. „Aber ich bleibe bei meinem Nein.“

„Okay, okay. Ich habe deinen Standpunkt längst akzeptiert. Du hältst mich für einen Menschen zweiter Güte, Wilkie Lenning kann alles besser als ich ... In Ordnung. Schwamm drüber. Wir verlieren darüber kein Wort mehr, nicht wahr?“

Bount wollte seine Sekretärin versöhnlich stimmen. Er trat auf sie zu, griff nach ihrer schmalen Taille und sagte: „Sieh mal, June ...“

Doch sie ließ ihn nicht ausreden. „Der Grund, weshalb ich dich schon wieder belästige“, sagte sie trocken, „ist folgender: Draußen steht ein Mister Cameron Roeg. Reporter. Freier Journalist oder so ähnlich. Er möchte dich wahnsinnig gern sprechen. Bist du da?“

„Was will er genau von mir?“, fragte Bount Reiniger und blickte auf seine Uhr. Bis zu Wilkie Lennings Eintreffen war noch ein bisschen Zeit.

„Das hat er mir nicht verraten“, antwortete June. „Vielleicht will er dich interviewen. Du bist schließlich so etwas wie eine Lokalgröße.“

Bount überlegte kurz. „Na schön, lass ihn herein“, sagte er, stellte die Reisetasche neben seinen Schreibtisch, setzte sich und zündete sich eine Pall Mall an.

June verließ den Raum. Sie ließ die Tür offen. Durch sie trat gleich darauf Cameron Roeg ein. Er war ein mittelgroßer, gut aussehender Mann, blond, ein Tennistyp mit einem Lächeln, auf das die Zahncreme-Werbung hätte zurückgreifen können.

„Ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich hier so hereinplatze, Mister Reiniger. Ich hätte mich telefonisch angemeldet, wenn die Zeit gereicht hätte.“ Er lachte. „Heutzutage ist Zeit schon ein so kostbares Gut geworden, dass sie sich kaum noch einer leisten kann.“

„Wem sagen Sie das“, gab Bount zurück. „Was kann ich für Sie tun, Mister Roeg?“

Der Reporter wies auf den Besucherstuhl. „Darf ich mich setzen?“

„Selbstverständlich. Nehmen Sie Platz.“

„Danke. Sie verreisen, nicht wahr?“ Roeg schaute auf die Reisetasche.

„Sie haben einen scharfen Blick“, lobte Bount lächelnd. „Und Sie können kombinieren.“

„Das sind die wichtigsten Voraussetzungen für meinen Beruf. Ich arbeite für keine bestimmte Zeitung, sondern schreibe meine Reportagen und Artikel unabhängig und biete sie je nach Thema den entsprechenden Leuten an. Hin und wieder entscheidet natürlich auch die Höhe des Honorars, an wen ich verkaufe.“

„Das ist klar“, sagte Bount. „Man muss schließlich leben.“

„Und das wird immer teurer. Ich sehe, wir verstehen uns, Mister Reiniger.“

„Da ich es eilig habe, muss ich Sie bitten, gleich zum Kern der Sache zu kommen, Mister Roeg“, sagte Bount Reiniger.

„Der Kern - um gleich mit der Tür ins Haus zu fallen - ist District Attorney Brown, ist der Mordanschlag auf ihn, ist Charles Caledonia, ist Terence Day und sind nicht zuletzt auch Sie, Mister Reiniger. Kurz: Ich bin hinter einer hochbrisanten Story her, die ich von Ihnen gern exklusiv haben möchte. Im Police Headquarters haben die Wände Ohren, und für kleine Geschenke kann man da so allerlei erfahren.“

„So?“, sagte Bount. Er hob eine Braue. „Was zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, dass Sie nach Los Angeles reisen werden. Im Auftrag von D.A. Brown. Sie sollen Terence Day nach New York holen. Ein brandheißer Fall, für den sich Brown zweifellos einen Top-Mann ausgesucht hat. Sie können sich denken, dass so etwas für einen Journalisten ein gefundenes Fressen ist. Die Leser wollen Sensationen haben, und das ist eine. Aus diesem Grund bin ich hier. Ich möchte, dass Sie mir erlauben, Sie nach Los Angeles zu begleiten.“

Bount seufzte. Schon wieder jemand, der nach L.A. mitgenommen werden wollte. Das wurde bei den Leuten anscheinend allmählich zur Manie. Bount Reiniger nahm einen Zug von seiner Pall Mall. Er blies den Rauch auf die Arbeitsplatte seines Schreibtisches, sagte nichts.

„Ich stelle mir die Reportage in Form einer Tagebuchaufzeichnung vor“, sagte Cameron Roeg eifrig. „Gewürzt mit einer Menge Fotos. Wenn sich genug tut - was ich hoffe -, kann man die Geschichte gleich über mehrere Ausgaben ziehen. Die Zeitungen würden mir den Bericht aus den Händen reißen. Wenn Sie wollen, beteilige ich Sie mit zehn Prozent an den Einnahmen.“

Bount zog noch einmal an der Zigarette und stieß sie dann in den Aschenbecher.

„Im Gegensatz zu Ihnen“, begann er, „wäre ich froh, wenn sich weder in Los Angeles noch hier etwas ereignen würde, Mister Roeg, denn jede Action - wie Sie sich das für Ihre Story vorstellen - könnte mich das Leben kosten.“

Cameron Roeg grinste. „Der große Bount Reiniger hat doch keine Angst vor der Gefahr.“

„Darf ich die nicht haben? Passt das nicht zu dem Bild, das Sie sich von mir gemacht haben?“

„Es ist allgemein bekannt, dass Sie weder Tod noch Teufel fürchten.“

„Das ist weit übertrieben, mein Lieber. Ich hänge ebenso an meinem Leben wie Sie. Warum auch nicht?“

„Trotzdem stürzen Sie sich immer wieder in die gefährlichsten Abenteuer.“

„Das ist richtig. Aber von den Ängsten, die ich dabei manchmal ausstehe, weiß niemand. Wissen Sie, was mich interessieren würde?“

„Was?“, fragte Roeg.

„Wer die Indiskretion begangen hat. Von wem haben Sie erfahren, dass Brown mich beauftragt hat, Terence Day nach New York zu holen?“

Der Reporter lächelte hintergründig. „Ich habe sehr viele Informanten. Ohne sie könnte ich nicht existieren, und sie können sich darauf verlassen, dass ich ihre Namen niemals preisgebe. Wenn sie sich dessen nicht sicher wären, würden meine Quellen rasch versiegen. Ich hoffe, Sie werden deshalb einsehen, dass ich auch Ihnen gegenüber dieses kleine Geheimnis wahren muss. Was ist denn schon dabei? Ich führe mit meinem Wissen nichts Böses im Schilde.“

„So, wie Sie von meinem Auftrag erfahren haben, könnten auch Caledonias Leute davon Wind bekommen haben“, sagte Bount verstimmt. „Das könnte unter Umständen dazu führen, dass man versucht, mich an meiner Abreise zu hindern.“

„Ich glaube, es lässt sich kaum vermeiden, dass Caledonias Leute erfahren, was sie wissen wollen. Die haben überallhin die besten Kontakte.“

„Das wird sich ändern, sobald Caledonia rechtskräftig verurteilt ist.“

„Dazu müsste aber unbedingt Terence Day vor Gericht erscheinen. Sonst wird nichts daraus“, sagte der Reporter.

Bount nickte grimmig. „Er wird vor Gericht erscheinen, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.“

„Und wie stehen Sie zu meiner Bitte?“, wollte Roeg wissen.

„Die muss ich leider ablehnen. Sie werden das verstehen, wenn Sie sich in meine Lage versetzen, Mister Roeg. Ich werde in Los Angeles vermutlich alle Hände voll zu tun haben. Wenn ich Sie mitnehme, würde ich mich für Sie verantwortlich fühlen ...“

„Das brauchten Sie nicht.“

„Es wäre aber trotzdem der Fall. Ich will Sie nicht beleidigen, aber in gewisser Weise wären Sie für mich ein Klotz am Bein, und das kann ich mir beim besten Willen nicht leisten.“

Roeg lächelte schlau. „Vielleicht ändern Sie Ihre Meinung, wenn ich Sie an den Einnahmen mit zwanzig Prozent beteilige.“

Bount schüttelte den Kopf. „Hier geht es mir nicht ums Geld, Roeg.“

„Dreißig Prozent?“

„Ich würde Sie nicht einmal für hundert Prozent mitnehmen“, sagte Bount unerbittlich. „Alles Geld dieser Welt würde nicht ausreichen, mich zu veranlassen, dass ich mich freiwillig in meiner Bewegungsfreiheit einenge, denn damit würde ich in leichtsinnigster Weise mein Leben aufs Spiel setzen. Und ich habe nur dieses eine, verstehen Sie? Ich bin bereit, Ihnen nachher, wenn alles vorbei ist, ein Exklusivinterview zu geben, ohne irgendeine prozentuale Beteiligung. Aber das ist alles, wozu ich mich überreden lasse. Ich hoffe, Sie sehen das ein.“

Roeg setzte ein Lächeln auf, das Bount beunruhigte. Der Reporter schien noch irgendeinen Trumpf in der Hinterhand zu haben. Aber er spielte ihn nicht aus. Er erhob sich.

„Tja, da kann man eben nichts machen“, sagte er.

„Tut mir leid“, sagte Bount.

„Ich wünsche Ihnen eine gute Reise.“

„Danke. Und ... Mister Roeg ...“

„Ja, Mister Reiniger?“

„Vielleicht ist da noch etwas, das Sie tun möchten, um doch noch zu Ihrem Sensationsbericht zu kommen. Lassen Sie’s bleiben!“

Der Reporter antwortete nicht darauf. Er grüßte und ging. Und Bount hatte ein flaues Gefühl im Magen, denn er glaubte, dass Roeg nicht zu der Sorte gehörte, die sich so rasch abschütteln ließ. Der Mann hatte sich ein Ziel gesetzt, und er würde es mit einer gefährlichen Sturheit weiter verfolgen.