Wilkie schielte verstohlen zum Camaro hinüber, während er den cremefarbenen Firebird aufschloss. Er sah, wie die Gangster miteinander redeten, ließ sich nicht anmerken, dass er von ihrer Anwesenheit Kenntnis hatte, setzte sich in den Leihwagen, schob den Zündschlüssel ins Schloss und drehte ihn. Der Anlasser mahlte kurz. Dann sprang die Maschine an.
Gleich würde es Wilkie Lenning wissen. Würden die Ganoven ihm folgen oder würden sie sich an Bount Reinigers Fersen heften?
Vielleicht nahmen Charles Caledonias Freunde an, dass Bount Reiniger seinen Mitarbeiter losschickte, damit dieser Terence Day unauffällig ins Hotel holte.
Der junge Detektiv warf einen Blick in den Außenspiegel. Als es der Verkehr zuließ, fuhr er los, und er beobachtete, wie sich der schwarze Camaro von der Bordsteinkante löste. Sie hatten sich also für ihn entschieden. Es sollte ihm recht sein. Er war deswegen nicht beunruhigt, sondern wollte in den nächsten zehn Minuten alles versuchen, was ihm Bount Reiniger beigebracht hatte, um die Verfolger abzuschütteln. Wilkie machte eine kleine Stadtrundfahrt. Sunset Boulevard, Exposition Drive, Civic Center, Farmers. Market ...
Der Camaro folgte ihm wie ein schwarzes Ungeheuer. Wilkie drehte auf der Straße nach Santa Monica auf, bog aber schon nach Kurzem unvermittelt rechts ab, schwänzelte mit dem Firebird durch ein Straßengewirr, beschrieb einen großen Bogen und landete in Little Tokyo, dem Viertel der Japaner.
Ärgerlich stellte er fest, dass er den Camaro immer noch hinter sich hatte. Der Fahrer schien mit allen Wassern gewaschen und mit allen Salben geschmiert zu sein. Wilkie hatte nicht die Absicht, das Spiel so lange fortzusetzen, bis einer der beiden Wagen keinen Sprit mehr im Tank hatte. Er wollte die Gangster auf eine andere Weise austricksen.
Kurz vor Little Tokyo war ihm ein riesiger Schrottplatz aufgefallen. Dorthin kehrte er auf Umwegen zurück. Hier gab es Dutzende von Möglichkeiten, sich zu verstecken. Wilkie fuhr mit dem cremefarbenen Wagen weit in das Gelände hinein, stoppte den Firebird zwischen ähnlichen Fahrzeugen älteren Baujahrs, sprang raus und kletterte einen Blechberg hinauf. Oben angelangt, ging er in Deckung. Wenn er Glück hatte, fanden die Gangster ihn und seinen Wagen hier nie.
Der Junge legte sich flach auf das rostige Dach eines uralten Autos. Die kalifornische Sonne strahlte grell vom wolkenlosen Himmel.
„It never rains in California ...“ Es war etwas dran am Text dieses Liedes.
Wilkie beobachtete den schwarzen Camaro. Träge schob er sich auf den Schrottplatz. Die Gangster hielten die Augen offen. Es gab mehrere Schrottberge. Die Täler dazwischen durchfuhren die Verbrecher. Sie suchten den Firebird. Wilkie sah sie daran vorbeifahren und grinste. Sie hatten das Fahrzeug nicht entdeckt. Aber sie suchten weiter. Wilkie drehte sich auf dem Autodach, auf dem er ganz flach lag. Einer der Gangster blickte zu ihm hoch. Wilkie zuckte sofort zurück.
Sämtliche Täler fuhr der Camaro ab. Mehrmals verschwand er aus Wilkie Lennings Blickfeld, aber er tauchte immer wieder auf. Schließlich blieb der schwarze Wagen stehen. Die Türen öffneten sich, und die Ganovengarde stieg aus.
Als die Kerle ihre Kanonen zogen, wusste Wilkie, dass sie nicht nur die Absicht gehabt hatten, ihn zu verfolgen. Ihr Auftrag lautete, ihn zu killen. Und anschließend würden sie sich Bount Reiniger vornehmen. Falls auf diesen nicht ein anderes Killerteam angesetzt war. Wilkie verhielt sich mucksmäuschenstill.
Die Gangster schwärmten aus. Wilkie konnte sicher sein, dass sie das Areal erst verlassen würden, wenn ihr Auftrag ausgeführt war. Sie würden nicht aufhören, ihn zu suchen, bis sie ihn gefunden hatten. Noch suchten sie an der falschen Stelle. Aber sie waren gründlich. Ein Wrack nach dem anderen durchsuchten sie. Sie blickten unter Motorhauben, in das Innere der Fahrzeuge, in die Kofferräume. Einer von ihnen entdeckte den Firebird. Er teilte es den anderen mit. Sie konzentrierten sich daraufhin auf Wilkie Lennings nähere Umgebung.
Allmählich wurde die Situation brenzlig. Drei Gegner gegen einen, das war ein verdammt ungutes Verhältnis. Ein Gangster kletterte auf den Nachbarblechberg, einer blieb im Tal - und einer schickte sich an, die Höhe zu erklimmen, auf der sich Wilkie Lenning befand.
Der junge Detektiv zog seine Automatic aus der Schulterholster. Bount hatte ihn damit zu schießen gelehrt, und er hatte bewiesen, dass er dafür großes Talent hatte.
Hin und wieder lieferten sich er und Bount auf dem Schießstand einen Wettkampf, den nicht immer nur Bount Reiniger gewann.
Oh ja, Wilkie hatte viel gelernt, seit er Bount Reiniger kannte, und er wusste das, was ihm Bount beigebracht hatte, in Krisensituationen hervorragend zu nutzen.
Er krebste zurück, während der Gangster, der zu ihm unterwegs war, von einem Wagen auf den nächsten kletterte. Ab und zu knackte das Blech unter der Last. Drüben war der zweite Ganove nach oben unterwegs. Wilkie Lenning konnte den Zeitpunkt absehen, wo sie ihn entdecken würden. Der junge Detektiv glitt in die Kerbe, die zwei aneinanderstoßende Autodächer bildeten. Seine Nerven waren gespannt. Er war sich über die Gefährlichkeit der Situation im Klaren. Wenn er überleben wollte, würde er von der Waffe Gebrauch machen müssen. Das widerstrebte ihm zwar, denn er schoss nicht gern auf einen Menschen, aber es war nicht zu ändern. Die Killer würden ihm keine andere Wahl lassen.
Er hielt kurz den Atem an und lauschte. Jedes Geräusch, das der näher kommende Gangster verursachte, konnte Wilkie deutlich hören. Die Zeitspanne bis zum Punkt Null wurde immer kürzer. Der Countdown lief widerlich schnell. Wilkie konnte nichts anderes tun, als warten. So etwas zerrt an den Nerven. Doch Wilkie blieb still liegen. Er wusste, dass er verloren war, wenn er die Kontrolle über sich verlor.
Der Gangster befand sich nur noch ein Auto tiefer. Seine Hände legten sich auf das nächste Wagendach. Er kletterte weiter, und als er oben war, flitzte Wilkie Lenning aus seinem Versteck. Blitzschnell. Der Gangster war so perplex, dass er zu reagieren vergaß. Wilkie sprang den Mann an. Drüben, auf dem Nachbarschrottberg, schrie der zweite Gangster: „Bill! Dort ist er!“
Im selben Moment schlug Wilkie Lenning zu. Seine Automatic traf den Verbrecher. Der Mann kippte nach hinten und stürzte den Schrottberg hinunter. Unten blieb er bewusstlos liegen.
Auf dem Nachbarberg eröffnete der Killer das Feuer. Auch im Tal krachte es. Die Geschosse der Verbrecher ratschten über das Blech des Wagens, auf dem Wilkie Lenning stand. Er riss eine Wagentür auf und ging dahinter in Deckung. Eine Kugel klatschte gleich darauf dagegen. Wilkie schoss zurück. Zwei Kugeln gingen daneben, weil der Mann auf dem Nachbarberg immer wieder blitzschnell seine Position wechselte. Aber dann traf Wilkie den Mann. Der Killer stieß einen jaulenden Schrei aus. Wilkies Kugel war ihm ins Bein gedrungen. Der Treffer riss ihn herum, er verlor das Gleichgewicht, und auch er stürzte den Wrackberg hinunter.
Unten schoss inzwischen der dritte Gangster weiter. Er sprang von Deckung zu Deckung, versuchte zu Wilkie heraufzukommen. Mit ihm hatte es der junge Detektiv am schwersten. Der Mann war geschickt. Er feuerte, verschwand gleich wieder, schoss, tauchte abermals weg und arbeitete sich immer näher an Wilkie heran.
Daraufhin blieb Wilkie nicht mehr länger auf dem Schrottberg. Er kletterte auf der anderen Seite hinunter. Der Jäger und der Gejagte erreichten die gleiche Höhe. Drei Fahrzeuglängen trennten sie, und durch einen Blechtunnel sahen sie einander. Keiner der hier aufgestapelten Wagen hatte noch Front- oder Heckscheiben. Der Flug einer abgefeuerten Kugel würde durch nichts abgelenkt werden. Für den Killer war das eine Chance, den Jungen zu erledigen, und für Wilkie war es eine Möglichkeit, sich seiner Haut zu wehren.
Sie schossen durch drei Autos hindurch aufeinander. Wilkie war schneller. Der Killer brüllte getroffen auf und war nicht mehr zu sehen. Danach herrschte eine geradezu unheimliche Stille. Wilkie verkroch sich in einem Kastenwagen. Fünf Minuten vergingen.
Wilkie war gespannt wie eine Feder. Er wäre bereit gewesen, auf jeden Angriff sofort zu reagieren, doch nichts passierte.
Plötzlich heulte der Camaromotor auf. Der schwarze Wagen raste zwischen den Schrottbergen hindurch. Dem Fahrer fiel es schwer, den Kurs zu halten. Wilkie sah, dass das Fahrzeug mit drei Mann besetzt war. Zwei Verwundete und ein Bewusstloser. Die Kerle hatten ihr Fett bekommen. Jetzt schwirrten sie ab, damit es für sie nicht noch dicker kam.
Wilkie atmete auf. Er hatte es geschafft, und er war froh darüber. Rasch verließ er sein Versteck und kehrte zu seinem Firebird zurück. Als er die Fahrt fortsetzte, sah er kein verdächtiges Fahrzeug mehr hinter sich. Er blieb aber weiterhin vorsichtig, denn davon hing Terence Days Sicherheit ab.