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Bount war wütend auf sich, denn er war tatsächlich auf Cameron Roeg hereingefallen. Der Reporter gehörte also zu Charles Caledonias Leuten! Man hatte ihn in Bounts Büro geschickt, damit er sich - unter dem Vorwand, hinter einer Sensationsstory her zu sein - anbiederte.

Bount hatte ihn zwar abblitzen lassen, aber Roeg hatte nicht aufgegeben. Er hatte das Märchen von der misslungenen Entführung erfunden, hatte Bount den schutzbedürftigen Feigling vorgespielt, und er hatte ihm das ohne jedes Misstrauen abgenommen.

„Ich habe Ihnen gesagt, dass ich gut bluffen kann“, sagte Cameron Roeg grinsend.

„Verdammt, das können Sie wirklich“, gab Bount zu.

„Es war der einfachste Weg, an Terence Day, den Verräter, heranzukommen“, sagte Roeg.

Days Gesicht zuckte. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. „Reiniger, Sie sind mit einer Schlange zu mir gekommen und haben es nicht gemerkt.“

„Es tut mir leid“, sagte Bount.

„Was habe ich davon? Ich werde sterben.“

Cameron Roeg griente. „Machen Sie sich nichts daraus, Day. Reiniger wird auch ins Gras beißen. Ich schlage gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Der Schnüffler würde ja doch nicht eher ruhen, ehe der Mord an Ihnen gesühnt wäre, deshalb befiehlt mir die Vernunft, ihn ebenfalls zu killen ...“ Er sah Bount an. „Obwohl ich persönlich nichts gegen Sie habe.“

„Das finde ich furchtbar reizend“, sagte Bount Reiniger ätzend. Er überlegte fieberhaft, wie er sich und Day retten konnte. Es gab keine Möglichkeit, denn Cameron Roeg hielt seinen Colt Python aufmerksam in der Hand. Bount hätte es nicht geschafft, an seine Automatic zu kommen, und auch der Gewehrständer war für ihn so gut wie unerreichbar. Roeg brauchte nichts mehr zu tun, als den Finger zu krümmen. Wer konnte schneller sein?

„Arbeiten Sie schon lange für Caledonia?“, fragte Bount, um Zeit zu gewinnen. Er dachte an Wilkie Lenning, der nicht ewig fortbleiben konnte. Irgendwann musste der Junge hier eintreffen. Seine Ankunft würde Roeg ablenken. Vielleicht ergab sich dann eine Chance, die zu verwerten war.

Plötzlich rieselte es Bount Reiniger eiskalt über den Rücken. Er dachte daran, dass es Wilkie nicht geschafft haben könnte, die Verfolger abzuhängen. Was dann? Hatten die Gangster den Jungen erwischt? Wenn ja - was hatten sie mit ihm angestellt? Lebte er überhaupt noch?

Es war ein scheußliches Gefühl, daran zu denken. In dieser kritischen Situation wäre er auf Hilfe von außen angewiesen gewesen. Er konnte sich im Moment nicht selbst helfen, und wenn die erhoffte Hilfe ausblieb, konnte er sich und Terence Day abschreiben.

Brown kam ihm in den Sinn. Es wäre Bount sehr wichtig gewesen, den District Attorney nicht zu enttäuschen. Das hätte das Klima zwischen ihnen sicherlich verbessert. Aber brauchte er noch an ein solches Klima zu denken? Würde in wenigen Augenblicken für ihn nicht alles vorbei sein?

Alle diese Gedanken wirbelten blitzschnell durch Bount Reinigers Kopf. In der kurzen Zeitspanne zwischen seiner Frage und Cameron Roegs Antwort.

„Ich bin schon seit vielen Jahren für Charles Caledonia tätig“, sagte der Journalist.

„Darauf scheinen Sie auch noch stolz zu sein.“

„Warum auch nicht? Ich habe gute Arbeit geleistet, habe Berichte gefärbt, die Caledonia stützten, habe die Leser gegen Caledonias Gegner aufgewiegelt, habe für Caledonia tüchtig die Werbetrommel gerührt. Er war mit mir sehr zufrieden. Er ließ mich eine Menge Geld verdienen. Wir lassen uns das, was wir aufgebaut haben, nicht von diesem Verräterschwein zerstören. Caledonia muss seine Freiheit wiederkriegen. Um dieses Ziel zu erreichen, ist uns jedes Mittel recht.“

„Auch ein Mord“, sagte Bount verächtlich.

„Warum nicht? In der Politik kommt es immer wieder dazu. Wenn alles andere nicht hilft, ist auch ein Mord ein legitimes Mittel.“

„Sie sind verrückt!“, sagte Bount scharf.

Cameron Roeg schüttelte den Kopf. „Oh nein, Reiniger. Ich weiß genau, was ich will. Caledonia wird mich für diese Tat reichlich entschädigen. Er ist sehr großzügig, wenn man ihm einen Gefallen erweist.“

„Ihre Methoden erinnern mich stark an die der Mafia.“

„Es ist mir egal, wie Sie über uns denken, Reiniger. Seit Sie vor meinem Revolver stehen, sind Sie zu einem unbedeutenden Würstchen geworden. Haben Sie das nicht mitgekriegt?“

„Glauben Sie, dass man Ihnen die Tat niemals nachweisen können wird?“

„Ich bitte Sie. Die Polizei wird hier zwei Leichen finden. Wie soll sie von diesen auf mich schließen?“

„Sie werden eines Tages dafür bezahlen, Roeg.“

„Das soll nicht Ihre Sorge sein, Reiniger. Sie werden das nicht mehr erleben. Ich schlage vor, wir begeben uns jetzt in den Keller dieses Haus. Dort soll dann geschehen, was geschehen muss.“

„Mister Reiniger ...“, stöhnte Terence Day. „Ich hatte so gehofft, dass Sie mich vor diesem Schicksal bewahren ...“

Roeg lachte. „Er kann es nicht. Er würde es ja gern tun. Ich sehe es ihm an, aber er ist dazu nicht mehr in der Lage. Ich kann hören, wie sein Gehirn arbeitet und fieberhaft nach einem Ausweg sucht. Aber es gibt keinen. Diesmal kommt der große Bount Reiniger nicht mehr mit einem blauen Auge davon, wie schon so oft. Diesmal geht es ihm ans Leben. Schade um ihn, werden manche Leute sagen. Ich kann mich dieser Meinung jedoch nicht anschließen. - Vorwärts jetzt!“ Cameron Roeg wedelte mit dem Revolver.

Bount und Terence Day setzten sich in Bewegung. Day hob die Hände. Er ging an Roeg vorbei. Bount folgte ihm. Der Reporter setzte ihm die Waffe zwischen die Schulterblätter, und so marschierten sie im Gänsemarsch aus dem Livingroom. Neben der Toilette war der Kellergang. Terence Day öffnete die Tür.

„Machen Sie Licht, Day!“, verlangte Roeg.

„Sie tun das alles wirklich nur für Geld?“, fragte Bount.

„Gibt es etwas Erstrebenswerteres, als viel Pinke zu besitzen?“, fragte der Reporter zurück.

„Ja“, sagte Bount.

„Was?“, wollte Roeg wissen.

„Ein reines Gewissen“, sagte Bount.

„Ach, hören Sie doch damit auf, Reiniger. Für ein reines Gewissen kann ich mir nichts kaufen. Wohin man kommt, halten die Leute die Hand auf und wollen Geld sehen. Okay, also muss man es sich verdienen. Jeder tut das auf seine Weise. Ich habe mich für diese entschieden.“

„Sie reden so, als hätten Sie schon mal einen Menschen umgebracht.“

„Das habe ich auch. Aber damals wurde ich dafür nicht bestraft, sondern ausgezeichnet. Es war nämlich Krieg.“

Terence Day stieg die Stufen langsam hinunter. Bount Reiniger folgte ihm. Fortwährend war der Druck des Revolvers in seinem Kreuz. Eine falsche Bewegung konnte unter Umständen genügen, und Cameron Roeg drückte ab. Bount schluckte trocken. Er hasste solche Situationen, aber immer wieder kam es dazu. Es gehörte zu seinem Job, dass sein Leben immer wieder an einem seidenen Faden hing.

So, wie heute - wobei der Faden diesmal besonders dünn war!

Die Stufen waren gefliest. Bount fand das nicht gerade ideal. Man konnte darauf sehr leicht ausrutschen und stürzen.

Ausrutschen! Vielleicht klappte das!

Er war nach wie vor wütend auf sich, weil es dem Reporter gelungen war, ihn so gekonnt zu täuschen, aber er verdrängte seinen Ärger und konzentrierte sich auf das, was er vorhatte. Es war waghalsig, das wusste er, aber es konnte gut gehen. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig. Ein besseres Verhältnis durfte Bount nicht mehr erwarten.

Die Kellertreppe knickte nach links. Bount machte den nächsten Schritt etwas schneller. Dadurch löste er sich kurz von Cameron Roegs Colt Python. Sobald der Kontakt zwischen seinem Körper und der Waffe nicht mehr bestand, tat er so, als würde er abrutschen. Das war zunächst kein Grund für Roeg, den Finger zu krümmen. Als der Reporter dann einen Grund dazu gehabt hätte, reichte die Zeit nicht mehr, denn Bount wirbelte herum und seine Faust landete an Roegs Kinn. Der Mann wurde gegen die Wand geworfen, war benommen. Es war ein reiner Reflex, dass sich sein Abzugsfinger krümmte, doch die los krachende Waffe wies nicht mehr auf Bount Reiniger. Die Kugel bohrte sich in die Wand. Das verbrannte Kordit kitzelte die Nasenschleimhäute.

Ehe Cameron Roeg einen besseren Schuss abgeben konnte, schlug ihm Bount mit der Handkante den Revolver aus der Faust. Roeg kämpfte mit glasigen Augen. Er warf sich auf Bount Reiniger und riss den Detektiv mit sich die restlichen Stufen hinunter.

Terence Day sprang zur Seite. Die Männer kamen zu Fall. Sie rollten über den Kellerboden. Roeg versuchte Bount auszuschalten, doch seine Fäuste trafen nur selten. Das raubte dem Reporter die restliche Kraft. Er keuchte schwer. Sie drehten sich ein weiteres Mal, und nun war Bount oben. Seine Faust gab Cameron Roeg den Rest. Der Treffer raubte dem Mann für kurze Zeit die Besinnung. Bount richtete sich schwer atmend auf. Er blickte Day an. „Alles in Ordnung, Mister Day?“

„Ja. Jetzt schon“, sagte der Mann leise. „Ich dachte, er würde uns fertigmachen.“

„Es war tatsächlich knapp, aber hinterher fragt zumeist niemand, wie man es geschafft hat, davonzukommen. Es zählt nur, dass es einem gelungen ist.“

„Er kommt zu sich, Mister Reiniger.“ Bount angelte seine Automatic aus der Schulterholster. Terence Day hob Roegs Revolver auf. Es blitzte gefährlich in seinen Augen. Hass verzerrte sein Gesicht, und als Cameron Roeg sich benommen aufsetzte, richtete Day die Waffe auf ihn. Der Reporter riss die Augen auf. Bount sah, was Day vorhatte, und schrie: „Lassen Sie das, Day!“

„Man muss Ratten umbringen. Sie vermehren sich zu rasch!“, knurrte Terence Day.

Cameron Roeg erhob sich schwerfällig und lehnte sich an die Wand. „Okay, Day, erschießen Sie mich. Ich hab’s nicht anders verdient. Ich habe versagt, und Versager sollten auf dieser Welt nichts zu suchen haben.“

„Day!“, sagte Bount Reiniger schneidend. Er streckte die linke Hand aus. „Day, geben Sie mir die Waffe!“

„Er wollte uns töten.“

„Er hat es nicht geschafft.“

„Aber er hätte es getan, verdammt noch mal! Ohne mit der Wimper zu zucken! Jetzt habe ich die Möglichkeit, den Spieß umzudrehen. Warum sollte ich es nicht tun?“

„Weil Sie sich mit einem Verbrecher nicht auf die selbe Stufe stellen dürfen“, sagte Bount. „Sie haben kein Recht, ihn zu töten, Day. Wenn Sie es tun, bringe ich Sie wegen Mordes vor Gericht!“

Roeg bleckte die Zähne. „Mir ist egal, was aus mir wird. Aber eines steht fest: Ihr kommt nicht lebend von hier weg.“

Bount trat zwischen den Reporter und Terence Day. Er packte den Revolver und nahm ihn an sich. Day trennte sich nur höchst widerwillig von dem Colt.

„Was hat er eben gesagt?“, fragte Terence Day.

„Hören Sie nicht auf ihn!“, sagte Bount Reiniger. „Wir schließen ihn hier ein und verschwinden.“

„Da müsst ihr euch aber sputen“, sagte Roeg. „Ich trage nämlich ein Walkie Talkie bei mir. Als ich auf der Toilette war, habe ich mich mit meinen Freunden in Verbindung gesetzt.“

„Wieder ein Bluff, Roeg?“, fragte Bount.

Der Reporter hob die Hände. „Wenn Sie wollen, können Sie mich durchsuchen.“

„Ich glaube Ihnen ausnahmsweise“, sagte Bount Reiniger. Diese neue Wendung gefiel ihm gar nicht. Er würde nicht auf Wilkie Lenning warten können, musste trachten, von hier so schnell wie möglich wegzukommen.

Bount schickte Day nach oben. Er sagte, er würde gleich nachkommen. Roegs Revolver schob er in seinen Hosenbund. Dann befahl er dem Reporter, er solle sich umdrehen. Roeg blickte ihn unsicher an. „Was haben Sie mit mir vor?“

„Lassen Sie sich überraschen“, gab Bount trocken zurück.

Cameron Roeg drehte sich um. Im selben Moment krachten oben Schüsse. Bount war für einen Augenblick abgelenkt. Der Reporter kreiselte sofort wieder herum und schlug nach Bounts Gesicht. Der Mann hatte sich erstaunlich rasch von seiner Ohnmacht erholt. Er war flink, aber Bount reagierte noch schneller. Er nahm den Kopf zurück und schlug mit der Automatic zu. Daraufhin brach Cameron Roeg ächzend zusammen. Diesmal würde seine Ohnmacht garantiert länger als beim ersten Mal dauern.

Bount verließ den Keller. Eine Schrotflinte wummerte. Glas zersplitterte. Bount gelangte in den Livingroom. Er sah Terence Day, der mit seinem Gewehr aus dem zertrümmerten Fenster schoss „Schnell, Mister Reiniger!“, schrie er. „Nehmen Sie sich ein Gewehr! Es sind vier Mann! Sie greifen das Haus an!“