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Larina wusste nicht, wie lange sie in dem Kofferraum der großen Mercedes-Limousine verbracht hatte. Mindestens eine Stunde. Aber in der absoluten Dunkelheit, die sie umgab, hatte sie jegliches Gefühl für Zeit verloren.

Der Wagen hielt mit einem Ruck.

Sie hörte Schritte und Stimmen.

Der Kofferraum öffnete sich.

Das Licht blendete sie und im ersten Moment sah sie gar nichts. Sie hörte nur das Meeresrauschen. Der Wind roch nach Seetang. Hände packten sie und holten sie grob aus dem Kofferraum heraus. Männer in dunklen Anzügen umgaben sie, blickten sie kalt an.

Die Läufe mehrerer Waffen waren auf sie gerichtet.

Maschinenpistolen waren ebenso darunter wie automatische Pistolen vom Typ Walther PPK. Einer trug eine Colt Magnum, der in der aufgehenden Sonne blinkte. Larina versuchte, sich auszurechnen, wie spät es war.

Vielleicht fünf oder sechs Uhr morgens.

Sie sah sich um.

Long Island, dachte sie. Dies muss Long Island sein, jedenfalls sieht es so aus.

Von der Fahrzeit her konnte das auch hinkommen.

"Mitkommen", murmelte einer der dunkel Gekleideten und gab Larina einen Stoß. Sie taumelte vorwärts.

"Heh, was soll das?", rief sie.

Sie bekam keine Antwort.

Der Kerl mit dem Magnum Colt stieß ihr den Lauf in den Rücken.

Sie wurde auf den kleinen, quadratischen Flachdachbungalow zugeführt, der direkt am Strand lag. Weit und breit waren nur Dünen, Sand und das Meer.

Ein perfekter Ort, um jemanden für immer verschwinden zu lassen, dachte Larina.

Sie wurde ins Haus geführt, einen kurzen Flur entlang, dann ins spärlich eingerichtete Wohnzimmer.

Ein Mann im grauen Anzug saß auf der Couch und aß Erdnüsse, die in einer Schale auf dem Tisch standen.

"Vlad, was wird hier eigentlich gespielt?", rief Larina empört. "Deine Leute behandeln mich wie den letzten Dreck!"

Grishenko machte ein Zeichen mit der Hand.

Die Bewacher ließen Larina los und traten einen Schritt zur Seite.

"Setz dich, Larina." Grishenko deutete auf einen der Sessel. Sie zögerte. "Na, los!", forderte er. "Oder willst du hier Wurzeln schlagen?"

Sie setzte sich schließlich.

"Hör zu. Vlad, es ist einiges schief gegangen, und..."

"Ich weiß, ich weiß, Larina." Er nahm die Zeitung, die neben ihm auf der Couch lag, faltete sie auseinander und legte sie auf den Tisch. "Ein schönes Foto von dir, Schätzchen. Vor allem das Kostüm. Oben ohne steht dir!"

Grishenko lachte heiser.

"Sehr witzig", erwiderte Larina.

"Wir konnten alle nicht ahnen, dass das FBI gerade an diesem Abend Big Joe offenbar eine Falle stellen wollte und alle aufgezeichnet hat", sagte Grishenko dann. "Trotzdem - du und dein Partner, ihr habt die Sache hervorragend über die Bühne gebracht. Meinen Glückwunsch."

"Vlad, dein Geschwätz kannst du dir sparen. Ich brauche Hilfe, mir steht das Wasser bis zum Hals - und deine Leute behandeln mich wie eine Gefangene. Was wird hier gespielt, verdammt nochmal!"

Grishenkos Züge wurden eisig.

"Es steht dir nicht gut, wenn du fluchst", sagte er dann. "Das Problem ist, dass du nach dem, was passiert ist, zu einem Sicherheitsrisiko geworden bist. Auch für mich! Ich werde in der Botschaft einiges zu erklären haben..."

Larinas Gesicht verlor die Farbe.

"Janovs Leute wollten mich umbringen, kurz nachdem der Job erledigt war... Du hast dahintergesteckt! Und ich Dummkopf geh zu dir, damit du mich aus dem Schlamassel ziehst..."

"Irren ist menschlich..."

Grishenko stand auf.

Er nahm noch zwei Erdnüsse, dann wandte er sich an den Kerl mit dem Magnum Colt.

"Gebt euch Mühe, klar? Es soll nichts von ihr übrigbleiben. Der Säurekanister steht im Keller... Und räumt hier 'nen bisschen auf, wenn's vorbei ist."

"Klar, Chef!"

Vladimir Grishenko tätschelte gönnerhaft Larinas Wange. "Zu dumm, dass dieser göttliche Körper bald chemisch völlig zersetzt sein wird... Aber so spielt das Leben. Glaub mir, wenn die Dinge anders stünden, hätte ich etwas für dich getan..."

Grishenko wandte sich in Richtung Tür.

Die Drecksarbeit würde er seinen Leuten überlassen.

Einer der Bewacher schraubte bereits einen Schalldämpfer auf seine Automatik.

In diesem Moment zersprang mit lautem Geklirr eine Scheibe.

Grishenko stand wie erstarrt da. Seine Augen waren wie gefroren, sein Haar färbte sich blutrot. Der Schuss hatte ihn mitten in den Hinterkopf getroffen. Er taumelte nach vorn und schlug der Länge nach auf den Boden.

Der Kerl mit der Schalldämpfer-Waffe riss die Pistole hoch.

Aber ihm blieb keine Zeit mehr, irgendetwas zu tun.

Zwei Schüsse trafen ihn in den Oberkörper, ließen ihn wie eine leblose Puppe zucken.

Die Wucht der Treffer schleuderte ihn gegen eine Schrankwand, an der er dann zu Boden rutschte.

Larina nutzte ihre Chance.

Sie rammte dem Kerl mit dem Colt Magnum einen Ellbogen ins Gesicht und sprang dann nach vorne. Mit einem tollkühnen Satz warf sie sich gegen die gläserne Terrassentür.

Das Glas splitterte.

Sie kam hart auf den Boden, rollte über die Schulter auf den Waschbetonstein ab, mit denen die Terrasse gepflastert war. Ein Schuss zischte über sie hinweg.

Es war der letzte, den der Mann mit dem Magnum-Colt je abgeben würde.

Auf seiner Stirn hatte sich ein roter Punkt gebildet, der rasch größer wurde. Ein Einschussloch.

Larina rappelte sich hoch. In geduckter Haltung rannte sie davon. Sie hatte keine Ahnung, wer diese Schüsse aus dem Nichts abgegeben hatte.

Vielleicht wird er mich genauso abknallen, wie Grischenko und seine Leute, ging es ihr für eine Sekunde durch den Kopf.

Aber sie hatte nichts zu verlieren.

Schüsse peitschten.

Larina hörte einen Aufschrei, der einen Moment später jäh erstarb, als ein weiterer Schuss abgegeben wurde.

Larina hechtete hinter eine Düne.

Sie keuchte.

Der Meerwind trocknete den kalten Angstschweiß, der ihr auf der Stirn stand.

Sie wartete ab, presste sich gegen den kühlen Sand.

Dann hörte sie Schritte.

Sie blickte auf.

Ein Mann ging auf sie zu. Er hielt ein Gewehr lässig in der Linken.

"Brent!", stieß Larina überrascht hervor.

Der Mann, den sie Brent genannt hatte, lächelte dünn.

"Nochmal davongekommen, was?"

"Was machst du hier?"

"Ich wollte Grishenko zur Rechenschaft ziehen. Er hat uns betrogen."

"Das ist mir inzwischen auch klar."

"Leider wird es ohne seine Hilfe ziemlich schwierig, unterzutauchen. Vor allem für dich. Schließlich ist dein entzückendes Bild der Presseaufmacher heute! Und es würde mich auch nicht wundern, wenn eine kleine Video-Sequenz deines Auftritts heute morgen im Frühstücksfernsehen gezeigt wird." Brent grinste. "Bei der Prüderie hierzulande vermutlich mit schwarzem Balken vor deinem Oberkörper..."

Larina sah Brent nachdenklich an.

"Was spielst du für ein Spiel, Brent?"

"Grishenko hat versucht, mich abzuservieren... Genau wie dich! Aber jetzt werde ich mir bei den Leuten, die über Grishenko stehen, das holen, was mir zusteht. Den Lohn für einen gut durchgeführten Job - und eine Zulage für mein Schweigen."

Larina sah ihn an.

"Hilf mir", sagte sie.

Er lächelte dünn.

"Habe ich das nicht bereits?"