Brent Smith musste nach seiner Festnahme zunächst einmal ärztlich behandelt werden. Der Schlag, mit dem ich ihn hatte k.o. gehen lassen, hatte offenbar gesessen. Als Milo und ich am nächsten Morgen unseren Dienst antraten, erfuhren wir von Agent Carter, dass der festgenommene Profi-Killer gerade von unseren Verhörspezialisten Baker und Hunter in die Mangel genommen wurde.
Wir konnten nur hoffen, dass er den Ernst seiner eigenen Lage begriff und auspackte.
Mister McKee unterrichtete uns dann in seinem Dienstzimmer von einer diplomatischen Note der weißrussischen Regierung. "Die Note fällt sehr milde aus", erklärte Mister McKee. "Bei der Aufklärung der Morde an Grishenko und Kostadinov wird uns jede Unterstützung zugesagt - was immer das auch in der Praxis heißen mag."
"Gibt es eine Erklärung für diese Milde?", fragte ich.
"Die sogenannte Slawische Union zwischen Russland und Weißrussland kommt vermutlich nicht zu Stande und Präsident Lukaschenko orientiert sich jetzt wieder mehr nach Westen. Zumindest verbal. Und die Politik der zurückliegenden Jahre wird einfach dem entlassenen Außenminister angelastet...
Jedenfalls ist das die Auskunft des State Departments und der CIA. Ich persönlich habe das Gefühl, dass man in Minsk gar kein so großes Interesse an der Aufklärung dieser Morde hat..."
"Weil man nicht möchte, dass die Verbindungen New Yorker Unterweltsyndikate zu Geheimdienstkreisen in Minsk sichtbar werden!"
"So ist es."
"Jedenfalls wurde Grishenko mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von Brent Smith erschossen. Die SRD-Kollegen fanden im Fußboden ein Geheimfach, in dem sich ein Spezialgewehr befand. Es steht fest, dass Grishenko und seine Leibwächter damit erschossen wurden."
"Und Brownhill?"
Es war, wie ich erwartet hatte, der Kerl, der Kostadinov mit einem Giftkoffer getötet hatte, schwieg noch immer. Aber dennoch hatte Mister McKee etwas neues über ihn zu berichten.
Aus CIA-Quellen gab es einen Hinweis, wonach es sich bei Timothy Brownhill vermutlich um den Amerikaner Joseph Kenzie handelte, der sich in den siebzigern als KGB-Agent der damals noch existierenden Sowjetunion anwerben ließ. Er inszenierte kurz vor seiner Verhaftung einen Verkehrsunfall.
Der Wagen verbrannte und so glaubte man lange Zeit, dass Kenzie nicht mehr lebte. In Wahrheit hatte er sich in die Sowjetunion abgesetzt und sich in Minsk niedergelassen. Nach der Unabhängigkeit Weißrundlands war er vom lokalen Nachfolgedienst des KGB wieder aktiviert worden...
"Es wird schwer sein, noch etwas aus ihm herauszukriegen", meinte Mister McKee. "Wahrscheinlich hofft er auf einen Agentenaustausch oder etwas ähnliches...
"Wenn der politische Umschwung, von dem Sie gesprochen haben, tatsächlich stattfindet, hat er sich damit möglicherweise verrechnet", erwiderte ich.
"Was soll er machen? Er hat nur diese Karte, auf die er setzen kann."
Mister McKee kam hinter seinem Schreibtisch hervor. Die Hände steckten in den Hosentaschen seines dreiteiligen Anzugs.
"Wir lassen übrigens Korowsky beschatten. Die richterliche Genehmigung für eine Telefonüberwachung müsste jeden Moment auf meinem Schreibtisch landen..."
"Er steht noch auf unserer Besuchsliste, Mister McKee."
"Dann fahren sie hin, Jesse. Vielleicht ist er schlau genug, eine Aussage zu machen, ehe Brownhill oder Smith doch noch auspacken..."
Ich nickte.
Bevor wir das Besprechungszimmer unseres Chefs verließen, fragte ich noch: "Wie geht es übrigens Leslie und Jay?"
"Leslie ist bald wieder auf dem Damm. Bei Jay müssen wir abwarten. Er ist immerhin außer Lebensgefahr."
"Na, das ist ja immerhin etwas..."