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Wir kehrten zur Federal Plaza zurück. Baker und Hunter hatten dem Mann, der sich Brent Smith nannte, inzwischen eine umfangreiche Aussage entlockt, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft signalisiert hatte, dass ihn das vielleicht vor der Giftspritze retten konnte. Natürlich schob er soviel wie möglich seiner Schuld auf andere.

Was den Mord an Kamarov anging, war er ohnehin nur wegen Beihilfe und vielleicht wegen Verabredung zum Mord zu belangen. Die Schüsse selbst hatte Larina ja abgegeben.

Smiths Darstellung nach steckten Darren Korowsky und Dwight Janov hinter dem Anschlag auf Kamarov. Grishenko hing auch mit drin. Smith hielt ihn sogar für den Drahtzieher im Hintergrund. Die miteinander verwobenen Geheimdienst- und Mafiakreise in Minsk wollten den selbstherrlichen Big Joe Kamarov offenbar ebenso loswerden, wie Korowsky und seine Verbündeten, die es leid waren, nach Big Joes Pfeife zu tanzen. Sie wollten die Organisation in eigener Regie übernehmen. Was Janov nicht bedacht hatte war, dass Korowsky von Anfang an wohl überhaupt nicht beabsichtigte, sich die Herrschaft mit Janov zu teilen.

Jedenfalls vermutete Smith, dass für Janovs Tod Korowsky verantwortlich war und dazu einen seiner Leute gekauft hatte.

"Dafür kommt eigentlich in erster Linie Vic Lugin in Frage", meinte ich während Milo und ich das Aussageprotokoll in unserem Dienstzimmer überflogen. "So, wie ich schon vermutet hatte..."

"Da Lugin tot ist, wird ihm deswegen keiner mehr den Prozess machen", sagte Milo.

Die Tatsache, dass das FBI Kamarov eine Falle stellen wollte, hatten weder Korowsky und Janov, noch ihre Handlanger Smith und Larina im Kalkül.

Das Ergebnis war, dass die beiden Killer für ihre Auftraggeber zum Risiko wurden.

"Möglicherweise hat Korowsky auch von Anfang an den Befehl gegeben, Larina und Smith nach Erledigung der Tat unschädlich zu machen", vermutete Milo.

In diesen Punkt bekamen wir ziemlich bald Klarheit.

Uns lagen inzwischen die Gesprächsaufstellungen der Telefongesellschaft vor. Korowsky hatte Augenblicke nach den Ereignissen im Johnson Plaza einen Anruf von dort erhalten.

Wahrscheinlich von einem seiner Gewährsleute, die auf der Party anwesend waren. Unmittelbar danach sprach Korowsky jedenfalls mit Vic Lugin, wie wir aus den Aufzeichnungen seines Handy-Menus wussten. Vermutlich hatte dieses Gespräch den Befehl beinhaltet, den ursprünglichen Plan zu ändern und Larina umzubringen, da Korowsky damit rechnete, dass die schöne Killerin sich früher oder später in unserem Netz verfangen würde.

"Ungeklärt ist für mich noch die Sache mit Kostadinov", sagte Milo nachdem er sich einen Becher mit Mandys berühmtem Kaffee besorgt hatte.

"Kostadinov wollte uns etwas sagen, vielleicht sogar aussteigen", murmelte ich. "Ich denke, es wird so ein Schuh draus: Kostadinov war einer von Grishenkos Gefolgsmännern hier in New York. Grishenkos Tod hat er offenbar so interpretiert, dass seine Leute in diesem internen Machtkampf hinter den Kulissen verloren hatten. Wenn schon ein Major Grishenko nicht mehr tabu war, dann musste eine kleine Nummer wie Kostadinov sich schleunigst in Sicherheit bringen. Und die war ganz sicher nicht in Minsk zu finden."

"Er wollte also überlaufen."

"Sieht so aus."

"Dann hat er nicht geahnt, dass Smith Grishenko umgebracht hat..."

Zu Grishenkos Tod hatte Smith geschwiegen.

Er wollte sich selbst nicht belasten, was ich gut verstehen konnte. Andererseits war das günstigste, was er vor Gericht erwarten konnte eine lebenslange Freiheitsstrafe.

Agent Carter platzte herein.

"Es gibt Neuigkeiten von der Telefonüberwachung", rief er. "Larina will sich mit Korowsky in einem Restaurant in Chinatown treffen!"

Reflexartig griffen wir zu unseren Dienstwaffen und Jacken.

"Wann?", fragte Milo.

"Jetzt. Offenbar hatte Larina ursprünglich vor, sich mit Korowsky etwas später zu treffen. Jetzt hat sie den Termin vorverlegt. Korowsky scheint so sehr in der Hand dieser Lady zu sein, dass er auf alles eingehen muss... 200 000 Dollar soll sie bekommen!"

"Ihr ausstehender Killer-Lohn", meinte ich düster.

"Und wahrscheinlich ein Schweige-Zuschlag. Die Agenten Mulligan und Brown sind Korowsky auf den Fersen..."

"Sie sollen ihn in Ruhe lassen!", meinte ich. "Wenn Korowsky unsere Leute bemerkt, ist alles hin. Wir wissen ja, wohin sie wollen."

"Ich rede mit Mister McKee!", versprach Carter.

Wir nahmen diesmal nicht meinen Sportwagen, sondern einen unauffälligen GM aus dem Fuhrpark unserer Fahrbereitschaft.

Agent Fred LaRocca fuhr mit uns.

Zwei weitere zivile Einsatzfahrzeuge des FBI folgten uns.

Eine Viertelstunde später hatten wir das ME KING in der Bayard Street erreicht. Es gab einen Ausgang nach hinten. Um den kümmerten sich zwei Kollegen.

Unsere Agentin Jennifer Johnson ging ins Innere des ME KING und bestellte dort ein Essen. Über Funk waren wir ständig mit ihr in Kontakt.

Milo, Fred und ich warteten in unserem GM darauf, dass sich am Haupteingang etwas tat.

Korowskys Edel-Limousione stand vor der Tür. Ein Mann mit dunkler Brille saß am Steuer. Aber er hatte uns nicht registriert.

Prewitt hatte uns Computerbilder angefertigt, die uns eine Ahnung davon gaben, wie Larina jetzt aussehen mochte.

Aber es war weit und breit nichts von ihr zu sehen...

Langsam meldete sich mein Instinkt.

Irgendetwas lief hier nicht so ab, wie es eigentlich sollte...