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Larina betrat den Sackler Wing im First Floor des in der 5th Avenue gelegenen Metropolitan Museums of Modern Art. Der Raum hatte entfernte Ähnlichkeit mit einer Schwimmhalle, was vor allem an dem gewaltigen Wasserbassin lag. In dessen Mitte befand sich eine künstliche, aus Sandsteinquadern errichtete Insel.

Das Gebäude, das man auf dieser 'Insel' Stein für Stein originalgetreu wiederaufgebaut hatte, war über 2000 Jahre Jahre alt und hatte einst am oberägyptischen Nil gestanden.

Es handelte sich um den Tempel von Dendur, der dem Bau des Assuan Staudamms weichen musste und 1968 von der ägyptischen Regierung den Vereinigten Staaten von Amerika geschenkt wurde.

Sonnenlicht fiel durch die Dachverglasung auf die hellbraunen Steinsäulen.

Larina behielt die dunkle Brille auf.

Sie hatte keinen Blick für die Kulturdenkmäler einer fernen Epoche. Die Rechte hielt sie ständig in der Handtasche, die sie sich über die Schulter gehängt hatte. Ihre Finger umfassten den Griff einer Automatik. Sie brauchte die Waffe noch nicht einmal aus der Tasche herauszureißen, um zu schießen...

Sie blickte sich um, musterte die zahllosen Besucher des des Tempels von Dendur.

Diesen Treffpunkt hatte sie mit Bedacht gewählt.

An einem öffentlichen Ort wie diesem konnte selbst ein Darren L. Korowsky es nicht wagen, irgendwelche Dummheiten zu machen.

Sie sah auf die Uhr.

Langsam wurde sie ungeduldig.

Dann sah sie ihn mit seinem Gefolge in den Sackler Wing schreiten. Er versuchte, sich betont gelassen zu geben. Am Ausgang standen ein paar Kerle, die vermutlich zu Korwoskys Leuten gehörten. Aber die würden sie passieren lassen. Direkt vor dem Eingang des Metropolitan Museums in der 5th Avenue befand sich eine Subway-Station. Spätestens dort würde sie im Gewühl der Passanten verschwinden. Korowsky wirkte angespannt. Er hatte sie noch nicht entdeckt. Zusammen mit einem seiner Leute, der einen am Handgelenk festgeketteten Koffer trug, näherte er sich dem Bassin.

Er wartete, blickte sich um und vergrub die Hände in den Hosentaschen.

Larina wartete noch. Sie wollte auf Nummer sicher gehen.

Dann trat sie auf ihn zu.

Die dunkle Brille verdeckte beinahe zwei Drittel ihres Gesichtes. Korowsky erkannte sie nicht. Selbst als sie nur noch wenige Meter von ihm entfernt war. Ihre Hand krampfte sich um die Automatik. Im Notfall würde sie sofort schießen.

Sie hatte nichts zu verlieren.

"Mister Korowsky?"

Er erstarrte beim Klang ihrer Stimme.

"Larina...", stieß er hervor.

"Haben Sie das Geld?"

"Gib es ihr, Chris!"

Der Mann mit dem Koffer am Handgelenk griff in die Seitentasche seines Jacketts, holte einen Schlüssel hervor und löste die Kette.

Dann gab er ihr den Koffer.

Sie öffnete ihn einen Spalt. Das Licht durch die Dachverglasung reichte aus, um die Bündel mit Geldscheinen zu erkennen.

"An Ihrer Stelle würde ich das Geld nicht gerade hier, unter den Augen der Überwachungskameras nachzählen, Larina!"

"Keine Sorge..."

"Es sind 200 000, so wie abgemacht."

Larina verzog das Gesicht.

"Sollte es auch nur ein Dollar weniger sein, werden Sie es bereuen, Korowsky. Sie werden nicht wissen, wann und wo. Aber Sie werden ständig in dem Bewusstsein leben, dass ich nur darauf warte, Sie zu töten. Sie wissen, dass ich eine geduldige Jägerin bin..."

Korowsky lächelte dünn.

"Grishenko sagte mir mal, dass Sie ein ehemaliges Straßenmädchen aus Minsk sind, bevor er Sie unter seine Fittiche nahm und zur Tötungsmaschine ausbilden ließ..." Er blickte gönnerhaft an ihrem wohlgeformten Körper hinab.

"Sollten Sie die 200 000 aufgebraucht haben, können Sie ja in einem unserer Clubs anfangen, wenn Sie inzwischen keine Falten bekommen haben..."

Larina hätte in diesem Moment am liebsten ihre Automatik abgedrückt.

Ihr Gesicht wurde dunkelrot.

"Leben Sie wohl", sagte Korowsky. Seine Linke steckte in der Jacketttasche und berührte den Sender, mit dem er die Sprengladung im Koffer auslösen konnte. Er würde warten, bis sie draußen im Freien war.

Sie bedachte ihn mit triumphierenden Blick.

"Ihr Weißrussisch ist erbärmlich, Korowsky!"

Larina ging an ihm vorbei, den Koffer in die Linken, die Rechte an der Automatik.