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„Die Arbeit“, brummte Carl Meeker, der jetzt so aussah, als wollte er alles kurz und klein schlagen, „die Arbeit macht keinen Spaß mehr, Bount.“

„Woran liegt das?“, wollte Bount Reiniger wissen. „Ist zu viel zu tun? Zu wenig? Liegt es an Ihnen?“

„An mir liegt’s bestimmt nicht“, sagte Carl Meeker forsch. „Ich habe mich noch nie davor gescheut, hart zuzupacken, und zu viel wurd’s mir auch noch nie.“

„Was ist es dann?“, fragte Bount Reiniger.

„Es ist dieses Gewürm, dieses Gezücht, das uns anständigen Hafenarbeitern das Leben schwermacht.“

„Inwiefern?“, erkundigte sich Bount Reiniger.

„Ach, es sind Parasiten, verstehen Sie? Sie klettern an einem hoch, schlingen sich um den Hals, ziehen sich zusammen, saugen einem die Kraft aus. Viele meiner Freunde haben Angst. Es ist eine Seuche, die im Hafen um sich greift. Eine todbringende Seuche. Nicht AIDS oder so was. Es ist etwas anderes, und man weiß nicht, wer davon schon angesteckt ist. Das heißt mit anderen Worten, man tut gut daran, niemandem mehr zu trauen.“

„Das hört sich nicht gerade sehr erfreulich an“, sagte Bount ernst.

„Es ist auch nicht erfreulich, Bount Reiniger. Früher waren wir alle eine riesige Familie. Einer konnte sich auf den andern verlassen, jeder konnte jedem trauen. Es machte Spaß, richtiggehend Spaß, hier zu arbeiten, wenn man auch nach seinen acht, zehn Stunden todmüde ins Bett fiel. Man konnte mit sich und seiner Leistung zufrieden sein. Das Geld, das man erhielt, hatte man sich ehrlich verdient ... Doch neuerdings wird es mit der Ehrlichkeit nicht mehr so genau genommen. Man tritt sie mit Füßen, oder man schert sich einfach nicht mehr um sie. Die Parasiten überwuchern den Hafen. Sie sind gierig und gefährlich. Wer sie daran hindern möchte, dass sie sich ausbreiten, muss damit rechnen, dass sein Kopf nur noch verdammt locker auf den Schultern sitzt. Nein, Bount, das Leben in diesem Hafen ist nicht mehr lebenswert“, meinte Carl Meeker verbittert. „Ist es nicht schlimm, wenn man von seinem Zuhause so etwas sagen muss? Ich bin hier aufgewachsen, ich bin ein Kind dieses Hafens. Ich liebe den Geruch nach Salzwasser, Seetang und Teer. Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu leben. Der Hafen ist meine Welt. Verbrecher hat es hier immer schon gegeben, und die Gewerkschaften zogen bei uns auch so manches krumme Ding ab, aber das ist alles nichts gegen die Situation, die heute herrscht. Früher hatten wir hier ein Paradies. Wir hielten unseren Hafen selbst sauber, brauchten dazu keine Polizei. Ja, wir haben unseren Stolz, Bount. Hilfe von außen nahmen wir nur ganz selten an, denn wir wussten, dass wir mit unseren Problemen selbst fertigzuwerden imstande waren.“

„Ist das heute nicht mehr so?“, fragte Bount Reiniger.

„Der Hafen gehört heute kaltschnäuzigen Verbrechern. Es sind Ratten, die sich mit erschreckender Schnelligkeit vermehren. Sie sahnen überall ab, überfallen Kreuzfahrtschiffe, setzen Mannschaften unter Druck und holen sich wertvolle Ladungen von den Frachtern. Und sie zwingen uns Hafenarbeiter, mit ihnen zusammenzuarbeiten.“

Bount schüttelte den Kopf. „Dazu könnte man Sie niemals zwingen, Carl, das weiß ich.“

„Ja, an mir und einer Handvoll anderer ehrlicher Hafenarbeiter beißen sie sich noch die Zähne aus, aber unsere Position wird immer schwächer. Einer nach dem andern fällt um. Die Hafenratten wissen, wie man so etwas macht. Bald werden wir nur noch die Wahl haben, entweder aufzugeben - oder zu sterben!“

„Kann ich helfen?“, fragte Bount Reiniger.

Carl Meeker grinste ihn an. „Sie wissen, Bount, wir haben unseren Stolz.“

„Euer Schicksal liegt mir am Herzen.“

„Das ehrt Sie. Aber wir möchten die Sache allein in den Griff bekommen. Wenn wir es ohne Hilfe schaffen, ist der Triumph unvergleichlich größer, verstehen Sie? Wir haben beschlossen, unseren Hafen mit einem eisernen Besen sauber zu fegen.“

„Befürchten Sie nicht, dass Sie sich dabei übernehmen?“

„Für uns gibt es nur eines: Wir müssen uns wehren. Viel zu lange lassen wir uns den Terror schon gefallen. Jetzt ist Schluss damit. Das Leben im Hafen soll endlich wieder Spaß machen.“

„Ihr habt keinerlei Kampferfahrung.“

„Wir wissen unsere Fäuste zu gebrauchen.“

„Die Hafenratten werden euch nicht mit bloßen Fäusten gegenübertreten, Carl.“

„Dann werden wir sie eben mit ihren Waffen bekämpfen. Wir sind nicht so feige, dass wir uns hinter anderen verstecken, die für uns die Arbeit tun. Wir jagen diese gottverdammten Verbrecher selbst zum Teufel!“

„Na, dann wünsche ich euch viel Glück dabei.“

„Danke.“

„Versprechen Sie mir etwas, Carl?“

„Was?“

„Wenn Sie allein nicht mehr klarkommen, rufen Sie mich an. Ich weiß, wie man Ratten wirksam bekämpft. Ich tue seit Jahren nichts anderes und kann mich als einen Experten auf diesem Gebiet bezeichnen.“

Carl Meeker leerte sein Glas zum zweiten Mal. „Ich muss gehen.“

Bount schmunzelte. „Lassen Sie sich nicht aufhalten.“

„Vielen Dank für die Drinks.“

„Beim nächsten Mal lade ich Sie wieder ein“, sagte Bount.

„Ihren Harry Biggs behalte ich im Auge“, sagte Meeker und erhob sich.

„Tun Sie das.“

„Also dann“, sagte der Hafenarbeiter, tippte sich grüßend an die Stirn und verließ das Lokal.

Ich drücke dir die Daumen, dachte Bount Reiniger, rief den Wirt und bezahlte den Whisky. Wenig später verließ auch er das Lokal. Die Wasserstoffblondine kehrte zurück, um sich einen neuen Freier zu suchen.

Als Bount sich in seinen silbergrauen Mercedes 450 SEL setzte, raste ein Ambulanzfahrzeug an ihm vorbei.

Es stand mit einem Menschenleben auf Messers Schneide. Eine Tat, die ebenfalls auf das Konto der Hafenratten ging. Aber das ahnte Bount Reiniger zu diesem Zeitpunkt nicht.