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Ein kleiner, mickriger Kerl war eifrig damit beschäftigt, einen alten Chevrolet zu waschen. Er hatte einen Eimer Wasser neben sich stehen, in den er immer wieder seinen Schwamm tauchte. Er verrichtete die Arbeit mit einer Gewissenhaftigkeit, als hinge sein Lebensglück davon ab.

Bount blieb bei ihm stehen. Es war später Abend. Das Fahrzeug stand unter einer Straßenlaterne. Dennoch wäre es vernünftiger gewesen, den Chevy bei Tageslicht zu waschen. Der Bursche schien die Intelligenz nicht gerade mit der Schöpfkelle eingenommen zu haben.

„Wenn ich fertig bin, sieht die Karre wie neu aus“, tönte der Mickrige.

„Ich habe noch nie jemanden gesehen, der sich so viel Mühe gab“, sagte Bount.

„Autowaschen ist ein Hobby von mir. Der Wagen gehört mir nicht. Ich möchte Fred damit ’ne Freude machen.“

„Etwa Fred Copperfield?“

Der Mickrige nickte. „Kennen Sie ihn? Ein dufter Kumpel. Einen besseren Freund wie den gibt es nicht.“

„Ich war schon mal hier, traf ihn aber nicht an. Ist er jetzt zu Hause?“

„Klar. Gehen Sie nur rauf. Wahrscheinlich sitzt er vor der Glotze.“

Das war nicht der Fall. Fred Copperfield war im Begriff, seinen elektrischen Rasierapparat zu zerlegen. Er begegnete Bount Reiniger zunächst mit Misstrauen und Vorsicht.

Als Copperfield erfuhr, dass Bount mit den Meeker-Brüdern befreundet gewesen war, blieb nur noch die Vorsicht, das Misstrauen verschwand. Bount Reiniger setzte sich zu dem Mann, der mit seinen Pranken weiter den Rasierapparat zerlegte.

Copperfield war ein Schwergewicht. Wenn Bount nicht gewusst hätte, dass der Bursche im Hafen arbeitete, hätte er ihn für einen Catcher gehalten. Er hatte dunkle, weiche Augen, die nicht zu seiner rauen Erscheinung passten. Seine Nase war groß, und wenn er redete, bildeten sich bei manchen Worten kleine Grübchen in seinen Wangen.

Bount erzählte ihm, bei wem er schon gewesen war, wie viele Abfuhren er sich bereits geholt hatte. „Und nun komme ich zu Ihnen, um Sie zu fragen, ob Sie mehr Mut haben als die andern“, fügte Bount Reiniger seinen Ausführungen hinzu.

Fred Copperfield legte den kleinen Schraubenzieher, der fast in seiner mächtigen Tatze verschwand, auf den Tisch. Er blickte Bount Reiniger ernst an. „Ich bin kein Feigling, Mister Reiniger. Aber ich werde dennoch nichts gegen Cameron Drake unternehmen.“

„Warum nicht?“, wollte Bount wissen.

„Es ist genug Blut geflossen.“

„Der Meinung bin ich auch. Deshalb muss man Cameron Drake das Handwerk legen, sonst macht er weiter.“

„Haben Sie schon mal ein Weizenfeld gesehen, wenn der Sturm darüberbraust? Die Ähren ducken sich, und wenn der Sturm vorbei ist, richten sie sich wieder auf. Unbeschadet.“

„Sie haben doch nicht im Ernst die Absicht, das Hafengebiet mit den Menschen, die dort unter immer unwürdigeren Bedingungen arbeiten, mit einem Weizenfeld zu vergleichen, Mister Copperfield. Cameron Drake ist kein Sturm, der Mann ist eine Mähmaschine. Er wird - wenn wir mal bei Ihrem unglücklichen Vergleich bleiben wollen - das Feld abernten, und Unkraut wird nachwachsen.“

Bount erkannte sofort, dass dieser Mann besonders stur war. Keines seiner Argumente fruchtete. Bount sprach von den Meeker-Brüdern. Mit denen wäre Copperfield bereit gewesen, den Hafenratten den Kampf anzusagen. Bount fragte ihn, ob ihm das nicht eine Verpflichtung wäre, die über den Tod der beiden Brüder hinausginge.

„Warum sagen Sie nicht:,Jetzt erst recht! Jetzt zeige ich es diesen verdammten Verbrechern! Herbert und Carl Meeker sollen nicht umsonst gestorben sein! Es war eine gute Sache, für die sie sich einsetzen wollten! Ich werde das, was sie begonnen haben, fortsetzen!‘ Warum sagen Sie das nicht, Mister Copperfield?“

Der Mann begann sich zu winden wie ein getretener Wurm. Bount fühlte, dass er sich auf dem richtigen Weg befand. Er bearbeitete den Mann mit einer Hartnäckigkeit, der Fred Copperfield nicht gewachsen war.

Der Hafenarbeiter schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich kann nicht, Mister Reiniger! Ich will nichts gegen Cameron Drake und seine Bande unternehmen!“

„Wenn Herbert oder Carl Meeker an meiner Stelle hier sitzen würden, würden Sie anders reden, ist das richtig?“

„Nein. Jetzt nicht mehr.“

„Jetzt nicht mehr? Was wollen Sie damit sagen?“, versuchte Bount Reiniger den Mann festzunageln.

„Ich habe meine Ansichten geändert.“

„Wieso? Nennen Sie mir den Grund dafür, Mister Copperfield!“, bohrte Bount Reiniger.

„Ich bitte Sie, tun Sie mir den Gefallen und gehen Sie.“

„Soll ich Ihnen etwas verraten?“, sagte Bount. „Ich merke, dass ich Sie angeschlagen habe. Sie wanken. Sie sind schon beinahe k. o. Denken Sie, dass ich so knapp vor dem Ziel aufgebe? Diese Runde ist noch lang. Hoffen Sie nicht auf den Gong. Er wird Sie nicht retten, Copperfield. Was hat Sie bewogen, Ihre Meinung zu ändern? Wieso wären Sie plötzlich auch dann nicht mehr bereit, gegen Cameron Drake vorzugehen, wenn Herbert und Carl Meeker noch leben würden?“

„Weil ...“

„Weil?“, fragte Bount lästig.

Fred Copperfield fuhr sich mit der Hand über die Augen.

Er ist reif!, dachte Bount Reiniger. Gleich fällt er.

„Weil?“, wiederholte er eindringlich. „Reden Sie, Mann. Ich stehe auf Ihrer Seite. Was immer Sie bedrückt - Sie können mit meiner Hilfe rechnen. Aber ich muss davon wissen.“

Fred Copperfield konnte nicht länger stillsitzen. Er stand auf.

„Ich warte immer noch auf Ihre Erklärung!“ Bount ließ nicht locker. Copperfield durfte keine Gelegenheit haben, sich zu erholen, sich zu sammeln, sonst konnte ihn Bount Reiniger vergessen. „Copperfield, Sie sind ein Mann, der vor Kraft strotzt. Feiglinge sehen anders aus.“

„Es geht nicht um mich!“, platzte es aus dem Hafenarbeiter endlich heraus. Der Damm hat einen Riss bekommen.

„Heißt das, Sie nehmen auf jemanden Rücksicht?“, fragte Bount Reiniger.

„Ja.“

„Auf wen?“

„Haben Sie den Mann gesehen, der dort unten meinen Wagen wäscht?“

„Ich habe sogar kurz mit ihm gesprochen.“

„Er ist keine Leuchte, Mister Reiniger. Ein naiver kleiner Unglücksrabe ist dieser Leslie Haggart. Dumm, einfältig, dämlich ... Was immer es für Worte in dieser Richtung geben mag, sie treffen alle auf Leslie zu. Er ist ein armes Schwein, ein Verlierer. Ich hab ihn gern. Er tut mir leid. Wenn das Schicksal ausholt und zuschlägt, trifft es mit Sicherheit auch immer ihn.“

„Arbeitet er auch im Hafen?“, fragte Bount.

„Ja. Manchmal ist der Job für ihn fast mörderisch, aber er beklagt sich nicht. Das Leben hat ihn gelehrt, zu schlucken, was kommt. Manchmal helfe ich ihm, damit er sich bei der Arbeit nicht umbringt. Ich sehe mich als eine Art von Schutzengel, der seine Hand über Leslie Haggart hält. Er weiß, dass er mit allen Problemen zu mir kommen kann. Ich habe Mitleid mit dieser armen Kreatur, die sich kaum wehren kann.“

„Na schön, Sie nehmen Rücksicht auf Leslie Haggart. Das ist ein sympathischer Zug von Ihnen, aber glauben Sie nicht, dass sich auch für Ihren Freund die Arbeitsbedingungen bessern würden, wenn es die Hafenratten nicht mehr gäbe?“

„Ich kann nichts gegen diese Verbrecher unternehmen, Mister Reiniger. Mir sind die Hände gebunden.“

„Wieso? Das verstehe ich nicht. Würden Sie mir das bitte erklären?“

Jetzt brach der letzte Widerstand. Fred Copperfield setzte sich wieder. Er legte seine großen Hände auf den Tisch und faltete sie, als wollte er beten.

„Leslie machte mir heute Morgen ein Geständnis, das mich zutiefst erschütterte: Er gehört zu den Hafenratten.“

„Ist das wahr?“

„Leslie hat mich noch nie belogen, Mister Reiniger. Diese verfluchten Hunde machten ihn zu ihrem Werkzeug. Zuerst waren es nur Botengänge, für die sie ihn heranzogen. Er - gutmütig und einfältig - bekam nicht mit, was er eigentlich tat. Sie sagten es ihm hinterher. Rauschgift lieferte er. Und sie drohten ihm mit der Polizei, wenn er nicht weiter für sie arbeiten würde. Auf diese Weise schlitterte er immer tiefer hinein. Ich hatte keine Ahnung davon. Mal leistete er Spitzeldienste, dann musste er Schmiere stehen ... Sie hatten immer etwas für ihn zu tun. Heute ist er in diesem Netz aus widerwärtigen Verbrechen so fest verstrickt, dass er nicht mehr heraus kann. Mir ist es auch nicht möglich, ihm zu helfen. Wenn ich nun alles einsetzen soll, um den Untergang der Hafenratten einzuleiten, sorge ich gleichzeitig auch dafür, dass Leslie Haggart untergeht, und das bringe ich einfach nicht übers Herz. Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen können, Mister Reiniger. Für mich ist Freundschaft etwas Heiliges. Ich würde niemals etwas tun, was einem Freund schadet.“

„Ist Leslie Haggart Ihr einziger Freund?“, fragte Bount.

„Nein, es gibt natürlich auch noch andere.“

„Alles Hafenarbeiter?“

„Die meisten. Doch keiner von denen braucht mich so sehr wie Leslie.“

„Wenn Sie dem Treiben der Hafenratten tatenlos zusehen ... schaden Sie dann nicht allen anderen Freunden?“

„Wer sich fügt, dem geschieht nichts.“

„Angenommen es gibt einen, der sich nicht fügen kann. Drake würde ihn mit Sicherheit eiskalt aus dem Weg räumen, und Sie hätten diesen Mann auf dem Gewissen. Leslie Haggart oder ein anderer Freund. Wo liegt da der Unterschied, Mister Copperfield?“

„Das ist konstruiert ...“

„Sind Sie sicher, dass so etwas nicht passieren kann? Hören Sie zu, Copperfield, Sie möchten nicht, dass Leslie Haggart mit den Hafenratten untergeht. Wenn ich mit Ihrer Hilfe rechnen kann, sorge ich mit allen meinen Beziehungen dafür, dass Ihr Freund mit einer bedingten Strafe davonkommt. Ist das ein Wort?“

Fred Copperfield kniff die Augen zusammen. „Sind Sie imstande, so ein Versprechen auch zu halten?“

„Wenn Leslie keinen Menschen umgebracht hat, wird man ihn nicht einsperren, dafür verbürge ich mich.“

Copperfield lachte. „Leslie und ein Mord ... Nein, Mister Reiniger, dazu ist er nicht fähig.“

„Dann bleibt er Ihnen erhalten“, sagte Bount Reiniger und streckte dem Mann die Hand über dem Tisch entgegen.

Fred Copperfield schlug ein. Ein Bündnis war damit besiegelt, das noch in dieser Nacht erstaunliche Früchte tragen sollte.