Er eilte über die Fahrbahn und streckte Bount Reiniger schon von weitem die Hand entgegen.
„Bount, das ist aber eine freudige Überraschung. Wollten Sie zu mir?“
„Ich hatte die Absicht, mich mit Ihnen zu unterhalten, aber Sie waren nicht zu Hause“, erwiderte Bount lächelnd.
„Dafür bin ich jetzt da. Sie kommen doch noch mal mit nach oben, oder?“
Wylie Oakland sah großartig aus. Niemand sah ihm an, dass vor einigen Jahren sein Leben nur noch an einem seidenen Faden gehangen hatte. Er legte seinen Arm um Bounts Schultern und führte ihn ins Haus.
Er machte aus der Freude über dieses unverhoffte Wiedersehen kein Hehl.
Er schloss im ersten Stock die Wohnungstür auf und ließ Bount zuerst eintreten. Im Wohnzimmer standen größtenteils neue Möbel. Wylie Oakland machte ohne zu fragen zwei Drinks zurecht, und stellte Bounts Glas auf den schiefergrauen Tisch.
„Sie sind immer noch die Nummer eins in dieser Stadt, Bount“, sagte Wylie Oakland ohne Neid. „Ich habe Sie nicht aus den Augen verloren. Man liest immer wieder mal was von Ihnen in der Zeitung.“
Er hob sein Glas.
„Darauf trinken wir“, sagte er lachend.
Bount erkundigte sich nach Oaklands Befinden.
„Ich kann mich nicht beklagen“, sagte Wylie Oakland. „Ich habe alles, was ich brauche.“
„Sind Sie noch bei Pink Shopping Land?“
Wylie Oakland schüttelte den Kopf. „Ich habe mir gesagt, irgendwann sollte für einen Menschen doch auch eine schöne Zeit anbrechen. Ich meine, der Mann kann doch nicht immer nur malochen. Ich bin achtundfünfzig, Bount. Ich habe in meinem Leben genug getan. Nun sind die jungen Leute dran. Und ich lasse es mir gutgehen. Ab und zu übernehme ich einen Gelegenheitsjob. Ansonsten lebe ich von meinen Ersparnissen und lass’ mir die Sonne auf den Bauch scheinen.“
Bount lenkte das Gespräch zu jener mysteriösen Mordserie weiter.
Er erklärte, dem einstigen Warenhausdetektiv, dass Kate Ashcroft ihn engagiert habe, weil ihr das, was die Polizei ermittelte, nicht genügte.
„Ich kenne Kate Ashcroft“, sagte Wylie Oakland. „Die Frau hat Haare auf den Zähnen.“
„Den Eindruck hatte ich nicht“, erwiderte Bount.
„Weil Kate Ashcroft etwas von Ihnen wollte. Dadurch befand sie sich in der schwächeren Position. In einem solchen Fall versteckt sie die Haare. Sie kommen nur dann zum Vorschein, wenn sie obenauf schwimmt.“
Wylie Oakland gab zu, dass natürlich auch er sich seine Gedanken über die Mordserie gemacht hatte, und er freute sich sichtlich darüber, dass Bount zu ihm gekommen war, weil er an seiner Meinung interessiert war.
Oakland nippte an seinem Drink. Auch Bount nahm einen Schluck vom Whisky.
Wylie Oakland blickte mit ernster Miene in sein Glas. „Ich kannte mal jemand, der wäre bei einem Hotelbrand beinahe ums Leben gekommen. Sie hätten den Mann sehen müssen, Bount. Er war schrecklich entstellt. Die reinste Horror-Gestalt. Dadurch bekam seine Seele einen irreparablen Knacks. Er kaufte sich ein Gewehr und begann, auf die Angestellten des Hotels zu schießen. Zwei von ihnen tötete er. Als ihn die Polizei schließlich gestellt hatte und festnehmen wollte, erschoss er sich selbst. Er machte in seiner Verrücktheit die Hotelangestellten für sein schlimmes Schicksal verantwortlich
„Sie glauben, dass der Fall, den ich übernommen habe, ähnlich liegt?“
„Wäre das nicht denkbar?“
Bount rümpfte die Nase. „Ich weiß nicht, mir widerstrebt es, zu glauben, dass alle diese Morde von einem Wahnsinnigen begangen wurden.“
„So etwas kommt nicht zum ersten Mal vor, Bount.“
„Natürlich nicht. Aber vielleicht steckt hinter all diesen Verbrechen eine bestimmte Absicht.“
„Es gibt kein Motiv für die Verbrechen“, sagte Wylie Oakland.
„Vielleicht sollten wir besser davon ausgehen, dass uns das Motiv für die Verbrechen noch nicht bekannt ist“, meinte Bount.
Wylie Oakland leerte sein Glas. „Wenn einer eine Macke hat - er muss nicht offensichtlich spinnen, genügt es, wenn er nur mal zu lange im steckengebliebenen Fahrstuhl eingeschlossen ist. Dann kommt es zu diesem gefährlichen Knacks, wie ihn der Mann davongetragen hat, als das Hotel brannte. Und schon begeht er die erste Kurzschlusshandlung.“
„Okay. Möglicherweise begeht er eine solche Tat. Aber schlägt er danach gleich weitere viermal zu?“ Wylie Oakland hob überfragt die Schultern.
Bount fragte ihn, ob er noch Kontakt zu den Angestellten der Pink Shopping Land-Kette habe.
„Mit einigen schon“, antwortete der ehemalige Detektiv.
„Würden Sie mir einen Gefallen tun, Wylie?“
„Gern, wenn ich kann.“
„Sprechen Sie mit Ihren ehemaligen Kollegen. Fragen Sie sie, wie sie über diese Morde denken. Vielleicht hat der eine oder andere von ihnen einen Verdacht, den er mir oder der Polizei gegenüber niemals erwähnen würde. Aber einem ehemaligen Kollegen könnte er ihn anvertrauen.“
„Sie gehen also davon aus, dass der Killer, hinter dem Sie her sind, nicht verrückt ist.“
„Ja, das meine ich. Und ich hoffe, dass ich damit recht behalte ... Möglicherweise hat einer Ihrer früheren Kollegen eine Wahrnehmung gemacht, die für mich von großer Wichtigkeit sein könnte ...“
Wylie Oakland nickte lächelnd. „Ich war selbst mal Privatdetektiv. Ich habe noch nicht verlernt, die Spreu vom Weizen zu trennen. Sollte ich etwas in Erfahrung bringen, was für Ihre Ermittlungen wichtig ist, melde ich mich bei Ihnen.“
„Sie brauchen das nicht umsonst zu tun, Wylie.“
Oakland warf Bount einen ungehaltenen Blick zu. „Wenn Sie mich beleidigen wollen, Bount...“
„Entschuldigen Sie“, sagte Bount schnell. „Das lag wirklich nicht in meiner Absicht.“