Kentucky wechselte jetzt jeden Tag den Mietwagen. Heute fuhr er einen schwarzen Golf.
Aufgeben kam für ihn nicht in Frage. Er musste Rose sprechen, er musste wissen, wie es mit ihr und ihm weiterging!
Irgendein Häuptling aus dem San Francisco Police Department hatte ihn telefonisch zusammengestaucht. Was ihm einfiele, der Bundespolizei bei einer Undercover-Ermittlung in die Quere zu kommen. Und ob er nicht zwischen Dienst und Privatleben trennen können, und so weiter.
Noch nie zuvor in seiner Laufbahn als Polizist war Kentucky dermaßen zur Schnecke gemacht worden. Sogar eine schriftliche Abmahnung hatte ihm der leitende Beamte angedroht.
Auf diese Weise erfuhr er jedenfalls, dass Rose an einer gefährlichen Sache arbeitete. An was für einer, konnte er sich an zehn Fingern ausrechnen. Die Zeitungen berichteten jeden Tag neue Einzelheiten über die Polizistenmorde und den Überfall auf das Revier in Lower Manhatten. Kentuckys Verdacht, Jesse und Rose hätten eine Affäre, löste sich langsam in Wohlgefallen auf. Aber nur ganz langsam.
Man hatte ihm eine Frist von drei Tagen gesetzt, innerhalb der er sich auf seiner Dienststelle zurückzumelden hatte.
Die Frist würde morgen verstreichen. Kentucky wusste, dass er sich spätestens heute Nacht in La Guardia einchecken musste, wenn er seinen Job nicht verlieren wollte. Und den wollte er unter gar keinen Umständen verlieren.
Aber zuvor wollte er noch einmal alles dransetzen, um ein Date mit Rose zu bekommen.
Er wartete in der Tiefgarage der Federal Plaza. Er wartete auf Trevellian. Er hatte eine Bitte an den FBI-Agenten. Nur eine Bitte - weiter nichts. Er wollte ihn bitten, Rose eine mündliche Botschaft zu überbringen: Sie sollte ihn heute Abend zwischen sieben und zehn auf seinem Handy anrufen. Das müsste sich doch selbst für eine Undercover-Agentin machen lassen.
Unruhig starrte er auf die Aufzugstür. Trevellian hatte sich am Vormittag überraschend aus der Lower East Side abgesetzt und war schon seit drei Stunden im FBI Office. Irgendwann musste er ja mal wieder zurückkommen.
Sein Sportwagen stand nicht weit vom Aufzug entfernt. Auf einem reservierten Platz schätzte Kentucky. Ein weißer Chevrolet Blazer tauchte auf und rollte an Kentuckys Golf vorbei. Eine Gebäudereinigungsfirma.
Schlechte Lackierung, dachte Kentucky während der Wagen einige Parklücken rechts von ihm einparkte. Sein geübtes Auge sah sofort, dass es sich um einen ehemaligen Polizeiwagen handelte. Die Blazers - halb Vans, halb Geländewagen - gingen auch in San Francisco weg wie heiße Semmeln, wenn eine Dienststelle sie ausrangierte.
Kentucky blickte zum hundertsten Mal auf seine Armbanduhr. Halbvier. Trevellian schien einen Bürotag einzulegen.
Eine weißgekleidete Gestalt tauchte neben seinem Seitenfenster auf. Einer der Fensterputzer, ebenfalls ein Dunkelhäutiger. Der Mann beugte sich herab und klopfte an die Scheibe. Kentucky senkte sie herab. "Was gibt's?"
"Wir sollen bei dieser Firma hier die Fenster putzen." Der Mann hielt Kentucky einen Briefbogen vor die Nase.
Kentucky wehrte ab. "Keine Ahnung - bin nicht von hier."
"Aus Frisco, stimmt's?", grinste der Bursche. Heißer Schrecken zog Kentuckys Bauchmuskulatur zusammen. Er wollte nach seiner Dienstwaffe greifen. In dem Moment wurde die Beifahrertür des Golfs aufgerissen. Kentucky fuhr herum. Das hätte er nicht tun sollen. Der Bursche neben ihm an der Fahrertür presste ihm einen Elektroschocker in den Nacken und stopfte ihm gleichzeitig einen Lappen in den zum Schrei geöffneten Mund...