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Dicht an dicht standen die Leute in der U-Bahn. Meridian und Virginia wollten bis zur Canal Street fahren und dort in eine Linie Richtung Midtown umsteigen.

Das Gedränge war so groß, dass Meridian den warmen Körper der blonden Frau durch seine Lederjacke hindurch spürte. Er merkte plötzlich, wie sie sich verkrampfte. Ruckartig wandte sie sich um. "Schauen Sie in meine Richtung", zischte sie.

Meridian tat ihr den Gefallen. "Was ist jetzt schon wieder?"

"Da ist einer von ihnen", flüsterte sie. Sie zitterte vor Erregung. "Nicht weit von uns, direkt an der Tür!"

Vorsichtig spähte Meridian zurück. Es war der Bursche in dem hellen Anzug und mit dem Aluminiumkoffer. Der respektable Typ, der vor ein paar Tagen, während seiner Gefangenschaft, plötzlich auf dem Dachboden aufgetaucht war. Der Aluminiumkoffer stand zwischen seinen Beinen.

"O Gott", flüsterte Virginia. "Sie haben von der Metro gesprochen, von Fahrtzeiten und von der Haltestelle Brooklyn Bridge..."

Ein kalter Schauer rieselte über Meridians Rückenhaut. "Sie meinen...?"

Die nächste Haltestelle wurde angesagt. Nächster Halt: Brooklyn Bridge, City Hall. Die Bahn verlangsamte ihre Geschwindigkeit. Meridian drehte sich um und arbeitete sich durch die Menge. Der Bursche stand seelenruhig an einer der Türen und sah in die Dunkelheit des U-Bahnschachtes hinaus.

"Lassen Sie mich durch!", raunzte Meridian die Fahrgäste an. Er kassierte böse Blicke. Es wurde hell vor den Fenstern - der Bahnsteig schob sich vorbei, langsamer und langsamer, dann hielt der Zug. "Lassen Sie mich durch, verdammt!" Die Türen öffneten sich, einige Fahrgäste stiegen aus, Massen von Leuten drängten herein. Kein Vorankommen mehr für Meridian.

Als die Bahn wieder anfuhr, war der Mann in dem hellen Anzug verschwunden. Zwischen dem Dschungel von Hosenbeinen und nylonbedeckten Frauenwaden sah Meridian den Aluminiumkoffer stehen. Er wollte Luft holen, er wollte schreien, er wollte davonrennen - nichts ging mehr: Heißes Blei schien jede Höhle, jeden Knochen seines Körpers auszufüllen.

"O Shit...!" Es war mehr ein Stöhnen als ein Fluch.

"Was ist?" Virginia ängstliche Stimme hinter ihm. Die Leute sahen sich verwundert nach ihnen um.

"Der Koffer...", stammelte Meridian. "Ruf den FBI an..."

Endlich setzte sich sein Wille gegen den lähmenden Schock durch. "Lassen Sie mich durch!", brüllte er. "Polizei! Lassen Sie mich durch!" Die Leute wichen erschrocken auseinander.

Kein Gedanke mehr an General G, kein Durst mehr nach Rache - Meridians Bewusstsein schien sich zu einem schwarzen Loch zu verdichten, in das nur noch der verfluchte Aluminiumkoffer passte. Seine Linke zitterte, als er nach ihm griff. Wie von selbst streckte sich seine Rechte nach der Notbremse aus. "Was machen Sie zum Teufel..." schrie eine Frauenstimme.

Als hätte ein Faust nach dem Zug gegriffen, kam er zum Stehen. Meridian fiel über die Leute hinter ihm. Überall Schreie. Er sprang hoch, drückte die Tür auf und tauchte in das Dunkel des U-Bahnschachtes ein. Er spürte keinen Schmerz als er gegen die Tunnelwand prallte, er merkte nicht, wie er sich den Knöchel auf dem Schotter verstauchte, er merkte nicht mal, dass er schrie.

Zwischen Tunnel- und Zugwand stolperte er dem Zugende entgegen, scheuerte sich Arme und Beine wund, schrie und keuchte, und die Tränen stürzten ihm aus den Augen.

Sein Hand griff ins Leere, so plötzlich erreichte er das Ende des Zuges. Er schlug lang hin, rappelte sich auf, fasste den Koffer und schwang ihn hin und her. "Wir werden ausgehen, Sue, du hast es mir versprochen, ich liebe dich...!" Er ließ los, und der Koffer flog in die Dunkelheit des Tunnels. "Sueeee...!"

Die Explosion warf ihn gegen die Heckwand des Zuges. Eine gnadenlose Kraft riss ihm das Bewusstsein aus dem Leib, und sein Körper wurde von Metallsplittern durchsiebt....