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Zehn Tage später. Es war am Nachmittag des 26. August, als Owen Burkes Telefon klingelte. Der Special Agent hob den Hörer vor sein Gesicht: „FBI New York, Special Agent Burke.“

Es war ein Kollege aus dem Police Department. Er sagte: „Guten Tag, Burke. Ihr Chef hat mich an Sie verwiesen. Im ‚The GEM Hotel’ hat jemand eine Geisel genommen. Mein Vorgesetzter war der Meinung, dass wir das Federal Bureau einschalten müssten.“

„Sicher“, antwortete Burke. „Geiselnahme ist Sache des FBI. Was ist geschehen?“

„Bei der Geschäftsleitung des Hotels ging gegen 14 Uhr 30 ein anonymer Anruf ein. Danach sollte im Laufe des Nachmittags ein Gast des Hotels – sein Name ist Keith Rodgers -, ermordet werden. Man nahm den Anruf nicht sonderlich ernst, beauftragte aber dennoch das Sicherheitspersonal, ein Auge auf das Zimmer dieses Keith Rodgers zu werfen. In der Tat klopfte gegen 15 Uhr ein Mann an die Tür des Hotelzimmers. Ein Security-Mann rief ihn an, worauf der Bursche eine Pistole zog, einen Schuss abgab und in eines der benachbarten Zimmer floh, das gerade ein älteres Ehepaar verlassen wollte. Er hat die beiden als Geisel.“

„Weiß man, wer der Geiselnehmer ist? Was fordert er? Sind die Leute aus dem Police Department schon vor Ort?“

„Sein Name ist Bob Dugan. Er fordert freien Abzug. Die Security-Leute des Hotels haben ihn in dem Zimmer festgenagelt. Natürlich ist ein Team aus dem Detective Bureau im Hotel. Auch ein Polizeipsychologe ist vor Ort, der mit dem Entführer verhandelt.“

„Hat man schon mit Keith Rogers gesprochen? Hat er eine Ahnung, weshalb er ermordet werden sollte?“

„Er hat keine Ahnung – das behauptet er zumindest.“

„Okay, wir kommen“, erklärte Owen Burke.

„Die Adresse des Hotels lautet 300 West 22nd Street“, sagte der Polizist am anderen Ende der Leitung. „Beeilen Sie sich.“

Burke legte auf und warf einen Blick auf die Uhr. Es war 15 Uhr 25. Die Kollegen vom NYPD hatten keine unnütze Zeit verstreichen lassen, um den FBI zu informieren. Ron Harris, der – nachdem Burke den Lautsprecher seines Telefons aktiviert hatte -, jedes Wort mithören konnte, stemmte sich schon am Tisch in die Höhe. „Dann wollen wir mal“, knurrte Harris. Er nagte einen Augenblick an seiner Unterlippe, dann fügte er hinzu: „Der Mann, auf den der Anschlag beabsichtigt war, heißt Rodgers. Genauso wie der Bursche, den sie vor anderthalb Wochen in Connecticut hingerichtet haben. Seltsam, nicht wahr?“

„Sicherlich Zufall“, antwortete Owen Burke.

Sie fuhren in die 22nd Street. Bob Dugan hatte sich in einem Zimmer in der dritten Etage verschanzt. Er forderte freien Abzug. Zu diesem Zweck sollte ihm ein vollgetanktes, neutrales Fahrzeug vor die Tür gestellt werden. Eine der Geiseln, nämlich die Frau, wollte er mitnehmen auf seiner Flucht, versicherte aber, dass er ihr kein Leid zufügen werde, wenn man ihn nicht verfolge.

Der Kollege, der den Agents Bericht erstattete, war Captain, sein Name war Ken Foster.

„Was ist das für ein Kerl, dieser Dugan?“, erkundigte sich Owen Burke. Sie befanden sich in einem Büroraum, den die Direktion des Hotels für die Verantwortlichen des Polizeieinsatzes zur Verfügung gestellt hatte. Ein Mann, der etwas abseits stand, sprach von Zeit zu Zeit in das Telefon, das er am Ohr hielt.

Außer Foster und dem Psychologen, dem Mann, der telefonierte, waren noch drei höherrangige Polizisten anwesend, außerdem ein Arzt und ein Vertreter der Staatsanwaltschaft.

„Vorbestraft wegen vorsätzlicher Körperverletzung, wegen Betrugs und Urkundenfälschung sowie wegen Hausfriedensbruch. Er stand vor vier Jahren in Verdacht, einen Auftragsmord erledigt zu haben, doch letztendlich wurde das Verfahren eingestellt, weil es keine schlüssigen Beweise gegen ihn gab.“

„Kein unbeschriebenes Blatt also“, murmelte Owen Burke.

In diesem Moment rief der Polizeipsychologe: „Soeben hat Dugan ein Ultimatum gesetzt. Er gibt uns noch eine halbe Stunde Zeit, das Fahrzeug vor die Tür zu stellen. Falls wir seine Anordnung nicht befolgen, erschießt er den Mann.“

Die Agents hatten also keine Zeit zu verlieren.

Burke und Harris wechselten einen viel sagenden Blick, dann gab Burke zu verstehen: „Agent Harris und ich gehen hinauf.“

„Ich habe ein SWAT-Team angefordert“, erklärte der Captain. „Es muss jeden Moment eintreffen.“

„Wenn die SWAT-Leute kommen, dann positionieren Sie sie, Captain“, sagte Burke. „Es wäre mir aber lieb, wenn Dugan nichts davon mitbekommen würde. Wir haben ihn in die Enge gedrängt. Das macht ihn unberechenbar und tödlich gefährlich. Wir dürfen auf keinen Fall das Leben des Ehepaares, das sich in seiner Gewalt befindet, gefährden.“

„In Ordnung, Agent“, sagte der Captain grollend. „Ich werde das Spezialistenteam zurückhalten.“

Burke und Harris fuhren mit dem Lift in die dritte Etage. Hier oben war eine ganze Reihe von Polizisten postiert. Der Beamte, der den Einsatz in diesem Stockwerk leitete, war bezüglich der beiden Agents informiert. Er gab sich zu erkennen und zeigte ihnen die Tür zu dem Apartment, in dem Dugan mit seinen Geiseln steckte. Dann deutete er auf eine andere Zimmertür und sagte: „Das ist das Zimmer von Keith Rodgers, auf den es Dugan abgesehen hatte.“

„Ist Rodgers drin?“, fragte Ron Harris.

Der Kollege bejahte.

Burke und Harris bauten sich zu beiden Seiten der Tür auf, hinter der sie den Geiselgangster wussten. Burke schlug mit der Faust gegen das Türblatt. „Dugan, hören Sie mich?“

Sekundenlang war es in dem Zimmer still, dann erklang es: „Wer spricht? Was wollen Sie? Ich denke, ich habe meine Forderung klar und deutlich formuliert.“

„FBI. Mein Name ist Burke.“

„Natürlich! Ihr verdammten Feds dürft ja nicht fehlen. Hör zu, Burke: Ihr habt noch fünfundzwanzig Minuten Zeit, um ein vollgetanktes Auto vor die Tür zu stellen und aus dem Treppenhaus zu verschwinden. Oder geht ihr tatsächlich das Risiko ein, dass ich dem Mister hier das Hirn aus dem Schädel blase.“

„Geben Sie auf, Dugan. Selbst wenn wir Ihnen den Wagen zur Verfügung stellen: Sie kommen nicht weit. Lassen Sie die Geiseln frei, legen Sie die Waffe weg und kommen Sie mit erhobenen Händen aus dem Zimmer. Ich garantiere ihnen eine faire Behandlung.“

Dugan lachte höhnisch auf. „Niemals, Burke. Eher friert die Hölle ein.“

Owen Burke begriff, dass der Gangster Worten nicht zugänglich war.