Das SWAT-Team war eingetroffen. Burke und Harris befanden sich wieder in dem Büro in der ersten Etage, das zur Kommandozentrale umfunktioniert worden war. Captain Foster hatte eine unruhige Wanderung aufgenommen. In fünf Minuten lief das Ultimatum ab.
Das Telefon läutete. Mit zwei Schritten war der Captain beim Apparat und riss den Hörer an sich. Der Lautsprecher war eingeschaltet. Eine Stimme sagte: „Der Wagen steht vor der Tür, Sir.“
„Sind die Scharfschützen postiert?“, fragte der Captain.
„Ja.“
„Gut. Ich rufe Dugan an.“ Foster nickte Owen Burke zu, unterbrach die Verbindung und wählte die Nummer des Zimmers, in dem der Geiselnehmer steckte. Dugan meldete sich. Seine Stimme klang kratzig und verriet, wie sehr der Gangster angespannt war. „Der Wagen steht vor der Tür. Ich ziehe jetzt unsere Leute ab. Wenn alles bereit ist, sage ich Ihnen Bescheid.“
„Mach mal, Bulle!“, schnarrte Dugan. „Langsam werde ich ungeduldig. Es wäre doch ein gefundenes Fressen für die Medien, wenn durch eure Schuld ein Mann und eine Frau mit jeweils einer Kugel im Kopf das Zeitliche segnen würden.“
„Wir tun alles, was Sie verlangen, Dugan.“
Foster legte auf und erteilte eine Reihe von Anordnungen. Nach und nach wurde ihm Vollzug gemeldet, schließlich rief er Dugan an. In einer Minute würde das Ultimatum ablaufen. Der Captain sagte: „In Ordnung, Dugan. Es ist alles bereit. Lassen Sie den Mann frei. Sodann können Sie mit der Frau ungeschoren das Hotel verlassen und wegfahren. Sie haben zwei Stunden Vorsprung, ehe wir die Fahndung einleiten. Ich hoffe, Sie stehen zu ihrem Wort und lassen nach zwei Stunden Mrs. Dempsey frei.“
„Okay, ich schicke jetzt den alten Knaben aus dem Zimmer. Ich werde mit der Frau die Treppe benutzen, Captain. Sehe ich auch nur die Nasenspitze eines Bullen, knallt es. Und das ist kein leeres Versprechen.“
Owen Burke und Ron Harris verließen das Büro. Eine Minute später kam ein Mann von etwa sechzig Jahren die Treppe herunter. Er war bleich, seine Lippen zuckten, seine Augen wiesen einen fiebrigen Glanz auf. Die Agents nahmen ihn in Empfang. „Meine – meine Frau“, stammelte er. „Dieser Mann – er – er geht über Leichen. Bitte, lassen Sie nicht zu, dass er meiner Frau etwas antut.“
Die Nerven des Mannes lagen blank. Angst, Entsetzen und Verzweiflung prägten jeden Zug seines Gesichts und wühlten in seinen Augen. Seine Hände zitterten. Er war dem Zusammenbruch nahe. Ron Harris geleitete ihn in das Büro, wo sich sogleich der Polizeipsychologe um ihn kümmerte.
Auch Owen Burke ging in das Büro. Er schloss die Tür nicht, sondern lehnte sie nur an und schaute durch den Spalt hinaus ins Treppenhaus. Eine ganze Weile verging, dann kamen Dugan und Mrs. Dempsey in sein Blickfeld. Dugan hatte der Frau von hinten den linken Arm um den Hals geschlungen und benutzte sie wie ein lebendes Schutzschild. Er drückte ihr die Mündung einer Pistole unter das Kinn. Der Gangster sicherte in die linke, dann in die rechte Seite des Flures, dann betrat er mit seiner Geisel die Treppe, die weiter nach unten führte. Wenige Sekunden später konnte ihn Burke nicht mehr sehen.
Der Special Agent ging zum Fenster, öffnete es und schaute nach unten. Ein dunkelgrüner Buick stand vor dem Hoteleingang auf der Straße. Die Fahrer- sowie die Beifahrertür standen offen. Der Motor lief. Die Straße war wie leergefegt. Sogar die Einsatzfahrzeuge der City Police waren verschwunden.
Der Gangster und seine Geisel verließen das Gebäude. Beim Buick angelangt nötigte Dugan die Frau, auf der Beifahrerseite in den Wagen einzusteigen. Sie sollte auf den Fahrersitz rutschen und er – Bob Dugan -, wollte auf dem Beifahrersitz Platz nehmen. Er hielt die Pistole auf die Geisel angeschlagen. Die Frau verschwand im Buick. Ein Schuss peitschte. Dugan brach wie vom Blitz getroffen zusammen. Einer der Scharfschützen, die in den Häusern auf der anderen Straßenseite postiert waren, hatte den kurzen Augenblick ausgenutzt, in dem zwischen dem Gangster und seiner Geisel kein Körperkontakt bestand.
Die Rede ist vom finalen Rettungsschuss.
Das Polizeigeschoss hatte den Kopf Bob Dugans zerschmettert.
Polizisten rannten aus den Häusern. Der Captain und sein Team hetzten nach unten. Owen Burke und Ron Harris hingegen begaben sich in die dritte Etage. Im Zimmer Keith Rogers trafen sie auf zwei uniformierte Cops. Rodgers stand am Fenster und schaute hinunter auf die Straße.
„Mr. Rodgers!“ Agent Burke rief den Namen.
Keith Rodgers drehte sich herum. Er war um die sechzig Jahre alt, sein Gesicht war rundlich und wies eine gesunde Farbe auf, seine Haare waren graumeliert. Sein fragender Blick wechselte zwischen Burke und Harris hin und her.
„Wir sind die Special Agents Harris und Burke vom FBI New York. Mein Name ist Burke. Sind Sie in Ordnung, Mr. Rodgers.“
„Ja. Sicher, das alles ist mir schon an die Nieren gegangen. Aber ich habe den Kerl, der es auch mich abgesehen haben soll, nicht einmal zu Gesicht bekommen.“
„Er heißt Bob Dugan. Kennen Sie ihn, Mr. Rodgers?“
„Nein. Ich habe den Namen in meinem ganzen Leben nicht gehört. Ich habe auch nicht den Hauch einer Ahnung, was er von mir wollte.“
Ron Harris mischte sich ein, indem er sagte: „Sind Sie mit Gary Rodgers verwandt, der vor anderthalb Wochen in Connecticut hingerichtet wurde?“
Ein Schatten schien über das Gesicht Keith Rodgers zu huschen. Sein Blick schien sich nach innen zu verkehren. Er schluckte würgend, dann murmelte er: „Gary war mein Sohn. Er starb unschuldig. Er hat die Hure nicht umgebracht. Er hat es mir beim Leben seiner Mutter geschworen.“
Die Worte hingen wie ein Manifest im Hotelzimmer.
In Keith Rodgers Gesicht zuckten die Muskeln. Jeden Moment drohten ihn seine Gefühle zu überwältigen.