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Die Agents kehrten nach Manhattan zurück und suchten Gene Lansford an seinem Arbeitsplatz in der Fifth Avenue auf. Er betrieb dort eine Boutique für Frauenkleidung. Lansford gab sich wie ein Mann von Welt, wie einer, der über den Dingen steht.

Burke trug vor, was ihn und seinen Kollegen zu dieser Vorsprache veranlasst hatte. Sie konfrontierten ihn mit Keith Rodgers Anschuldigungen und mit Luke Grahams Aussage, dass der Killer, der Rodgers töten sollte, früher mal zu ihrer Clique gehörte.

„Keith Rodgers dreht am Rad“, versetzte Lansford. „Sicher, einerseits ist es verständlich, dass er seinem Sohn glaubt. Es ist schließlich sein Fleisch und Blut. Andererseits aber wurde Garys Schuld eindeutig festgestellt. Daran gibt es nichts zu rütteln.“

„Der Killer kam, nachdem Rodgers die Päckchen mit den Giftspritzen an Sie schickte. Er kam aus ihrem Dunstkreis. Wer sonst sollte Interesse daran haben, Rodgers aus dem Weg zu räumen? Ich meine wer sonst – außer Ihnen, Graham und Jenkins.“

„Ich glaube, ich rufe meinen Rechtsanwalt an“, knurrte Lansford.

„Nicht nötig“, hielt ihn Burkes Stimme zurück, als er zum Telefonhörer greifen wollte. „Wir haben nicht vor, ihre Zeit länger in Anspruch zu nehmen. Vielleicht eins noch, Mr. Lansford. Erzählen Sie uns, wie das damals war bei dem Festival in Hartford, erzählen Sie uns von dem Gelage, das mit dem Tod der Frau endete.“

„Ich habe alles dem Gericht in Hartford erzählt!“, giftete Lansford. „Drum habe ich keine Lust, es für Sie wiederzukäuen. Fordern Sie die Gerichtsakten in Hartford an, G-men. Dann können Sie meine Aussage nachlesen. Und bei dieser Aussage bleibe ich. Denn es war so, wie ich es zu Protokoll gegeben habe.“

„Danke, Mr. Lansford“, sagte Owen Burke, und es klang ziemlich spöttisch. „Sie haben uns sehr geholfen.“

Als sie weiter nach Norden fuhren, um in der 91st Street Ray Jenkins einen Besuch abzustatten, sagte Ron Harris: „Lansford scheint mir ein ziemlicher Kotzbrocken zu sein. Ich weiß nicht, was ich von den Kerlen halten soll.“

„Wenn du von Kerlen sprichst, dann meinst du sicher ihn und Luke Graham“, antwortete Owen Burke.

„Natürlich. Und ein dritter Name kommt sicherlich noch hinzu, nämlich der Name Ray Jenkins. Ist dir eigentlich nicht aufgefallen, dass Graham ziemlich nervös wurde, als du ihm erklärt hast, dass wir FBI-Leute sind?“

„Daraus kannst du keine Schlüsse ziehen, Kollege“, meinte Burke.

Das Telefon in der Freisprechanlage läutete und Owen Burke stellte eine Verbindung her. Es war der Assistant Director, der Chef des FBI New York also. „Detective Lieutenant Howard hat mich angerufen“, sagte er. „Er war noch einmal bei Keith Rodgers, weil er ihm noch einige Fragen stellen wollte, aber Rodgers war verschwunden. Die Nachbarn, die befragt wurden, haben keine Ahnung. Allerdings steht sein Wagen in der Tiefgarage.“

„Dann kann er ja nicht weit sein“, meinte Owen Burke. „Vielleicht ist er nur zum nächsten Supermarkt gegangen, um ein paar Einkäufe zu tätigen.“

„Ich denke, dass ein Mann, dessen Frau ermordet in der Pathologie liegt, andere Probleme hat wie einen Einkauf im Supermarkt“, kam es etwas bissig vom AD. „Außerdem war Howard kurz nach 8 Uhr bei ihm, und nun geht es auf 11 Uhr zu. Eine Polizeistreife, die vorhin nachschaute, meldete, dass die Wohnung nach wie vor verwaist ist.“

„Sie scheinen das ausgesprochen ernst zu nehmen, Sir“, bemerkte Burke.

„Rodgers hat gedroht, die früheren Freunde seines Sohnes zu töten. Vielleicht geht er schon den Weg der Rache. Nachdem seine Gattin ermordet wurde ist er möglicherweise nicht mehr Herr seiner Sinne.“

„Das einzige, was wir tun können, Sir, ist, die Leute, die das Ziel seiner Vergeltung sind, unter Bewachung zu stellen.“

„Wo befinden Sie sich im Moment, Agent?“

„Wir sind auf dem Weg in die 91st Street, Sir, um Ray Jenkins zu befragen. Bei Graham und Lansford waren wir schon. Sie geben zu, von Rodgers das imaginäre Päckchen mit den Giftspritzen erhalten zu haben, bestreiten aber, einen Killer gedungen zu haben, der Rodgers aus dem Weg räumen soll. Aber das war zu erwarten. Wer gibt schon ohne besondere Not einen Mord respektive Mordversuch zu? Mit Dugan haben sie angeblich schon seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr.“

„Gut, sprechen Sie mit Jenkins. Ich veranlasse, dass Graham und Lansford unter Polizeischutz gestellt werden. Wenn Sie mit Jenkins gesprochen haben, bitte ich Sie, in der 91st zu bleiben und ihn zu observieren. Wir können es uns nicht leisten, irgendetwas außer Acht zu lassen. Fakt ist, dass Rodgers mit Mord gedroht hat und dass er spurlos verschwunden ist. Wir dürfen nicht zulassen, dass er gewissermaßen vor unseren Augen Vergeltung übt.“

„In Ordnung, Sir“, brummte Owen Burke ohne die Spur von Begeisterung in das Telefon. „Wir werden Jenkins beobachten.“

Der AD verabschiedete sich, Burke stellte den Hörer in die Halterung. „Ich glaube, der Chef überreagiert ein wenig“, knurrte er. „Stellen wir uns also auf ein paar langweilige Stunden ein, Partner.“

Ray Jenkins schien nicht zu Hause zu sein. Burke läutete wiederholt an seiner Wohnungstür, aber niemand öffnete. Ein Nachbar nannte ihnen die Adresse des Betriebes, in dem Jenkins als Außendienstmitarbeiter tätig war, Ron Harris rief dort an. Eine Sekretärin gab ihm zu verstehen, dass Jenkins am Morgen nicht zur Arbeit erschienen sei und dass er sein Fehlen auch nicht entschuldigt hatte.

„Vielleicht war die Sorge des Chefs nicht unbegründet“, stieß Ron Harris hervor. „Rodgers kann in der vergangenen Nacht schon seine Wohnung verlassen und hier zugeschlagen haben. Wer weiß es denn?“

Jetzt wurde es Owen Burke ein wenig mulmig zumute. „Bei Gott, wenn du recht hast ... Wir gehen in die Wohnung.“

„Sollen wir hier auch wieder die Tür auframmen?“, fragte Ron Harris skeptisch. „Irgendwann wird man von den Rambos des FBI sprechen.“

„Was ist mit deinen Spezialwerkzeugen?“, fragte Burke. „Du verfügst doch über die verschiedenen Dietriche und Schlüssel.“

„Ich versuche es“, knurrte Ron Harris.

Er bekam die Tür innerhalb einer halben Minute auf.

In der Wohnung – genauer gesagt auf der Couch im Wohnzimmer -, lag Ray Jenkins. Seine Stirn wies eine grässliche Platzwunde auf. In seiner Brust steckte eine Spritze. Und mit der Spritze war ein Zettel festgeheftet, auf dem stand:

Das Urteil ist vollstreckt.

Der Vollstrecker.

Die Agents waren betroffen.