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Dexter Graham empfing die beiden Agents in seiner Villa in einer angesagten Wohngegend in Queens. Er gab sich herablassend und ließ die beiden Beamten deutlich spüren, dass er in einer ganz anderen Liga spielte wie sie.

Sie befanden sich im pompös eingerichteten Arbeitszimmer des Hausherrn. Graham bot den Agents keinen Sitzplatz an. Er setzte sich auf die Kante seines Schreibtisches und verschränkte die Arme vor der Brust. Die linke Braue hochgezogen fragte er: „Was führt Sie zu mir?“

Graham war zweiundsechzig. Er verströmte Autorität. Das kantige Kinn verriet, dass er über Energie und ein hohes Maß an Durchsetzungsvermögen verfügte. Seine Haare waren kurz geschoren und schneeweiß. Er trug die dunkelblaue Hose eines Maßanzugs und ein weißes Hemd – sicherlich auch eine Maßanfertigung. Es passte wie angegossen.

„Tja“, machte Owen Burke. „Ich denke, es wird Ihnen wenig gefallen. Ihr Sohn ist ein Mörder, Mr. Graham. Für sein Verbrechen musste Gary Rodgers sterben. Aber nicht genug. Zusammen mit Gene Lansford und Ray Jenkins wollte ihr Sohn auch Keith Rodgers ermorden. Sie ...“

„Sind Sie vielleicht übergeschnappt?“, brüllte Graham. „Oder haben Sie zu tief ins Glas geschaut? Das – das ist ...“

„... die Wahrheit, Mr. Graham. Lansford hat gestanden. Nicht Gary Rodgers hat Beverly Patton erwürgt, sondern Ihr Sohn. Sie wussten es, Mr. Graham, und Sie stellten Luke das Geld zur Verfügung, mit dem er sich das Schweigen seiner Kumpane erkaufte. Als Ihnen Luke eröffnete, dass er und seine Freunde einen Killer gedungen hatten, der Keith Rodgers erledigen sollte, verhinderten Sie mit Ihrem Anruf im ‚The GEM Hotel’ den Mord, denn Sie hatten eine andere Idee. Sie wollten sich der lästigen Zeugen entledigen, die Ihrem Sohn, solange er lebte, gefährlich werden konnten. Dafür brauchten Sie Keith Rodgers, um der Polizei einen Mörder präsentieren zu können.“

Der arrogante Ausdruck im Gesicht Grahams war einem erschreckten Ausdruck gewichen. „Aber mein Junge ... Ich ... Diese beiden Kerle! Sie – sie ...“

„Lansford und Jenkins wollten zu guter Letzt zwei Millionen Dollar von Ihnen. Aber zu dem Zeitpunkt, als sie Sie erpressten, hatten sie über ihren Köpfen bereits den Stab gebrochen. Sie sind den Killern gegenüber, die sie mit der Ermordung der beiden beauftragen, mit dem Namen Rodgers aufgetreten.“

Grahams Kinn sank auf die Brust. „Ich konnte doch nicht zulassen ...“

„Wo ist Keith Rodgers?“, schnitt Owen Burke dem Unternehmer das Wort ab.

In dem Moment läutete Burkes Handy. Er nahm das Gespräch entgegen, meldete sich und lauschte dann. Nachdem er sich bedankt hatte, senkte er die Hand mit dem Mobiltelefon und sagte: „Pierce Camber wurde verhaftet. In seinem Wagen lagen zwei Spritzen und zwei Zettel, von denen er einen Lansford auf die Brust heften sollte.“

„Ich will Ihnen etwas zeigen“, sagte Dexter Graham und stieß sich vom Schreibtisch ab, ging um ihn herum und zog einen Schub auf. Ehe er hinein greifen konnte, hatte Ron Harris die SIG gezogen. „Lassen Sie Ihre Hand, wo sie ist, Graham!“, blaffte der Agent.

Dexter Grahams Rechte blieb in der Luft hängen.

Owen Burke folgte ihm hinter den Schreibtisch. In dem Schubfach lag eine Beretta. „Sieh an“, stieß der Agent hervor. „Wollten Sie uns damit erschießen, Graham?“ Er nahm die Waffe an sich und kehrte an seinen Platz neben Ron Harris zurück.

„Nicht Sie“, kam es aus dem Mund des Unternehmers, und jedes Wort, das er sprach, schien tonnenschwer zu wiegen. „Ich wollte mir eine Kugel in den Kopf jagen. Es – es ist alles so sinnlos geworden. Als Luke diese Hure erwürgte, hat er dem Unternehmen den Todesstoß versetzt. Ich habe versucht, es aufzuhalten. Es ist mir nicht gelungen.“

„Wo ist Rodgers?“

„Ich habe ihn getötet und seinen Leichnam beseitigt. Er sollte für immer verschwunden bleiben. Ich wollte, dass er als Mörder von Lansford und Jenkins gilt. Irgendwann sollte die Akte geschlossen werden – und für immer geschlossen bleiben.“

„Wo befindet sich der Leichnam Rodgers?“, fragte Burke.

„Auf der riesigen Bauschuttdeponie in Staten Island. Ich habe ihn dort verscharrt. Den Platz werde ich kaum noch finden.“

„Und wenn wir die gesamte Deponie umgraben müssen“, murmelte Owen Burke, „wir finden ihn. Sie sind verhaftet, Mr. Graham. Mein Kollege wird Sie abführen und über Ihre Rechte aufklären. Sagen Sie mir nur noch, wo sich Ihr Sohn befindet.“

„In Rio. Wird man Luke in Connecticut den Prozess machen?“

„Deswegen werden sich die Staatsanwaltschaften beider Staaten auseinandersetzen müssen. Sollte er sich in Connecticut verantworten müssen, braucht er keine Angst zu haben, wie Gary Rodgers auf der Bahre im Hinrichtungsraum zu landen. Sie haben dort die Todesstrafe abgeschafft.“

„Ich weiß nicht, was besser ist“, murmelte Graham. „Ich würde den Tod einem Leben lang hinter Gefängnismauern vorziehen.“ Er hielt Ron Harris die Hände hin, damit dieser sie fesseln konnte.

„Dann haben wir hier in New York ja die richtige Strafe für Sie“, knurrte Harris. „Denn auch hier wurde die Todesstrafe abgeschafft.“

E N D E