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Der Director des FBI New York bat die Special Agents Owen Burke und Ron Harris, sofort in seinem Büro vorzusprechen. Sie verloren keine Zeit. Als sie an dem runden Konferenztisch Platz genommen hatten, begann der Assistant Director ohne Umschweife zu sprechen: "In Soho bahnt sich etwas an, Agents. In der vergangenen Nacht wurde ein Mann ermordet, von dem vermutet wird, dass er mit Drogen handelte. Sein Name ist Rice Baxter.“ Der AD machte eine kurze Pause, als wollte er den Agents Zeit geben, das Gehörte zu verarbeiten. Schließlich fuhr er fort: „Es gibt einige Zeugen. Die Kollegen von der Mordkommission haben sie vernommen. Die Protokolle liegen mir vor. Haben Sie schon mal etwas von einer 'Initiative against Drug use’ gehört?"

Die Agents verneinten.

„Einige der Zeugen gaben zu Protokoll, dass sie beobachteten, wie Rice Baxter an einige Junkies Heroin verkaufte. Plötzlich tauchte ein Mann um die 55 auf, der sich als Vertreter der ‚Initiative against Drug use’ vorstellte. Er sagte zu den Augenzeugen, dass sie die Finger von den Drogen lassen sollten, dass die Sucht ein teuflischer Kreislauf sei und dass der Tod oder die Irrenanstalt in der Regel die Endstation für die Süchtigen darstelle. Er riet Baxter, mit dem Drogenhandel aufzuhören, und warnte ihn, ehe er sich wieder entfernte. Und jetzt ist Baxter tot."

„Es könnte sich um einen Racheakt handeln“, verlieh Owen Burke einer Vermutung Ausdruck, die durch seinen Kopf zuckte.

„Das ist sicher nicht auszuschließen“, pflichtete der AD bei. "Vielleicht hat der Mörder diese Initiative gegen Drogenkonsum  nur ins Spiel gebracht, um eine falsche Spur zu legen. Es ist möglich, dass es sich um einen Einzeltäter handelt, den Vater oder Bruder eines Drogenopfers, der es speziell auf Rice Baxter abgesehen hatte. Es kann aber auch sein, dass er der Drogenmafia den Krieg erklärt hat, deren Handlanger er nun jagt und – eiskalt tötet.“

„Wenn es so ist, dann werden wir ganz gewiss wieder von ihm hören“, kam es von Ron Harris.

Der AD nickte.

„Ich denke, Sir, dass Sie uns soeben den Fall übertragen haben“, sagte Owen Burke.

„So ist es, Agents. Ich denke, Ihnen ist klar, dass es nicht nur um den Mord an Rice Baxter geht, sondern auch gegen die Drogenmafia, deren Regisseur in Soho wie eine Spinne in ihrem Netz sitzt und die Fäden spinnt.“

„Schön.“ Ron Harris dachte kurz nach, schaute seinen Freund und Kollegen Owen Burke an und fuhr fort: „Fangen wir am Besten bei den Angehörigen jener Leute an, die im vergangenen Vierteljahr Opfer irgendwelcher Drogen wurden. Gegebenenfalls müssen wir Monat für Monat weiter zurückgehen.“

„Die Kollegen vom Narcotic Squad und von der DEA werden uns sicherlich eine Aufstellung mit den Namen und Adressen der Drogentoten der letzten drei Monate zur Verfügung stellen.“ Skepsis prägte plötzlich das Gesicht Burkes. Er schürzte die Lippen. „Es ist allerdings nicht zwingend, dass ein Drogentoter gerächt wurde und möglicherweise durch weitere Morde an Dealern gerächt werden soll.“

„Wie meinst du das?“, fragte Harris, setzte aber sogleich hinzu. „Klar. Der Mord kann auch die Quittung dafür sein, dass ein Sohn oder eine Tochter durch die Schuld eines Dealers in die Sucht abgerutscht ist.“

„In New York bewegt sich die Zahl der Süchtigen wahrscheinlich im sechsstelligen Bereich“, gab der AD zu bedenken. „Wenn der Mord an Baxter nicht gezielt geschah, wenn er einfach nur sterben musste, weil er mit Drogen handelte, dann wird es weitere Morde geben. Andernfalls hätte der Mörder die Junkies wohl kaum auf die Gefahren des Rauschgiftkonsums hingewiesen und Baxter geraten, mit dem Drogenhandel Schluss zu machen. Er hätte Baxter kurzerhand umgelegt."

Die Gedankenkonstruktion des Assistant Directors war sicher nicht von der Hand zu weisen. Und er untermauerte seine Theorie mit den folgenden Worten: „Hinzu kommt, dass der Mörder durchblicken ließ, dass nicht nur die kleinen Straßenverkäufer zur Rechenschaft gezogen werden, sondern auch die Drahtzieher im Hintergrund. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Name ein, Agents. Vielleicht sagt er Ihnen etwas. Er lautet Donald Payne.“

„Ja“, antwortete Owen Burke nickend, „dieser Name ist uns ein Begriff.“

„Um das Schwarzgeld aus seinen dubiosen Geschäften zu waschen betreibt er einige Pizzaläden“, setzte Ron Harris hinzu. „Bisher ist es ihm gelungen, sich erfolgreich dem Zugriff durch die Polizei zu entziehen. Ein Mann aus seinem Verein, der sich vor etwa einem Jahr der Staatsanwaltschaft als Kronzeuge zur Verfügung stellte, landete vor einem Zug der Amtrak – und man deklarierte seinen Tod als Selbstmord.“

„Gibt es irgendeinen Zusammenhang zwischen dem Mord an Rice Baxter und Donald Payne?“, fragte Owen Burke, den Blick auf den AD gerichtet.

„Wenn jemand in Soho Drogen verkauft, dann macht er das im Namen von Payne“, erklärte der AD mit Nachdruck im Tonfall. „Andernfalls ...“ Der Director des FBI stutzte.

„Andernfalls hat er vielleicht ein gewaltiges Problem am Hals“, vollendete Owen Burke, „nämlich das Problem, dass es Payne mit Sicherheit nicht hinnimmt, wenn ein – hm, Unbefugter in seinem Revier wildert.“

„Also kann der Mörder auch aus den Reihen der Mafia kommen, deren Kopf Payne ist“, konstatierte Ron Harris.

„Für uns heißt das, dass wir uns auf jeden Fall Donald Payne zur Brust nehmen werden“, gab Owen Burke zu verstehen.

„Dann machen Sie mal, Agents!“, stieß der AD hervor und schlug die flache Hand leicht auf den Schreibtisch. „Vielleicht schlagen wir mehrere Fliegen mit einer Klappe. Ich unterstelle, dass ich es nicht ausdrücklich betonen muss, dass Sie mich auf dem Laufenden zu halten haben.“

Manchmal ließ er eben den Chef heraushängen. Möglicherweise waren solche Hinweise auch unter dem Begriff ‚Führungsverhalten’ zu subsumieren.