2

Owen Burke und Ron Harris fuhren in die Spring Street, auf der man Soho von Westen nach Osten durchqueren konnte. Es handelte sich um eine Einbahnstraße. Vor dem Gebäude mit der Nummer 112, in dem Donald Payne im Erdgeschoss eine Pizzeria betrieb, und dessen erstes Geschoss er bewohnte, fand Harris ausreichend Platz, um den Dodge problemlos zu parken. Es war kurz nach 10 Uhr vormittags und um diese Zeit hatte das Lokal noch geschlossen.

Die G-men benutzten den Seiteneingang, stiegen eine breite Treppe hinauf und standen schließlich vor der Tür zu Paynes Apartment. Ron Harris läutete. Eine dunkelhaarige, schlanke Frau, sie mochte um die fünfunddreißig sein, öffnete. Sie war ausgesprochen hübsch. Grüngraue Augen bildeten einen scharfen Kontrast zur Farbe ihrer Haare, die sie kurz geschnitten trug. Die Frisur verlieh ihrem gleichmäßigen Gesicht mit dem weichen, fraulichen Kinn einen besonderen Reiz.

„Sie wünschen?“, fragte sie und ihr fragender Blick wechselte zwischen Burke und Ron Harris.

Owen Burke holte das Etui mit seiner Dienstmarke und der ID-Card aus der Tasche, hielt der Frau den Ausweis hin und sagte: „FBI, Ma'am, ich bin Spezialagent Burke, mein Kollege heißt Harris. Wir hätten gerne Mr. Donald Payne gesprochen. Er wohnt doch hier.“

Sie schaute Owen Burke mit den Augen einer Katze an. Unergründlich, prüfend, so, als wollte sie mit ihrem Blick in sein Hirn eindringen und seine geheimsten Gedanken erforschen und analysieren. Prüfend musterte sie auch Ron Harris, dann warf sie einen desinteressierten Blick auf den Ausweis, ihre linke Brauen zuckte in die Höhe und schließlich sagte sie kühl: "Ja, das ist die Wohnung von Mr. Payne. Was möchten Sie denn von ihm?“

In dem Apartment erklang eine grollende Stimme: „Wer ist draußen, Jane?“

„Die beiden Gentlemen sind vom FBI“, rief die Lady über die Schulter. „Sie möchten dich sprechen.“

„Ah, wie komme ich zu der Ehre? Lass sie schon herein, Jane. Derart wichtige Leute lässt man nicht vor der Tür stehen.“

Es klang hohnvoll, geradezu ironisch, und veranlasste die beiden Agents, einen schnellen, vielsagenden Blick zu wechseln.

Die hübsche Frau trat zur Seite und vollführte eine einladende Handbewegung. Burke und Harris gingen an ihr vorbei in die Wohnung. Der süßliche Geruch eines dezenten Parfüms stieg ihnen in die Nase.

Payne stand neben einem der schweren Ledersessel, der zu einer Sitzgruppe gehörte, die die Mitte des Wohnzimmers einnahm. Er war etwa eins fünfundachtzig groß, seine Haare waren von brünetter Farbe, sein Gesicht war gebräunt, er war von schlanker Gestalt und mutete durchtrainiert an. In einem dunkelblauen Maßanzug, einer dazu passenden Krawatte von Chanel und mit einem süffisanten Grinsen um die dünnen Lippen, das allerdings seine Augen nicht erreichte, präsentierte er sich als Mann von Format.

Doch da war etwas, das diesen Eindruck störte. Es war der lauernde Ausdruck im Blick Paynes, mit dem er die Agents musterte. Burke hatte das Empfinden, in die Augen eines gefährlichen und unberechenbaren Raubtiers zu schauen.

Donald Payne begrüßte die Agents mit Handschlag, in Owen Burke schaltete alles auf Ablehnung, doch er ließ sich nicht anmerken, wie wenig sympathisch ihm dieser Mann war, den er für eine der kriminellsten Erscheinungen hielt, die derzeit im Big Apple ihr Unwesen trieben.

Payne lud die Agents zum Sitzen ein. Sie nahmen Platz, Donald Payne ließ sich auf die wuchtige Couch nieder, die hübsche Frau setzte sich neben ihn.

„Das ist Jane Weller“, stellte er sie vor. „Sie wohnt seit kurzer Zeit bei mir.“ Mit dem nächsten Satz wechselte er das Thema. Der lauernde Ausdruck in seinem Blick schien sich noch zu intensivieren, seine Stimme klang gedehnt. „Ich vermute, dass Sie einen Grund haben, bei mir vorzusprechen. Ich versichere Ihnen, dass ich ihnen helfe – was es immer es auch ist, was Sie zu mir geführt hat -, soweit ich hierzu in der Lage bin.“

Es klang wie Hohn in den Ohren der G-men.

Ron Harris hielt nicht hinter dem Berg. „Reden wir Klartext, Mr. Payne. Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, dass Sie Ihren Lebensunterhalt mit einer Reihe von gesetzeswidrigen Aktivitäten verdienen. Die Rede ist von Drogenhandel und Schutzgelderpressung.“

Während Harris sprach, ließ Burke den Mafioso nicht aus den Augen. Ihm entging keine Reaktion im Gesicht des aalglatten Burschen.

Paynes Blick hatte sich etwas verdüstert. Der Gangster schürzte die Lippen und knurrte: „Man unterstellt mir einiges. Wenn Sie das glauben, ist das Ihre Sache. Ich habe mir jedoch nichts vorzuwerfen. Und alle Ermittlungen, die die Polizei bisher gegen mich in Gang gesetzt hat, sind im Sand verlaufen. Aber das – denke ich -, wissen Sie.“

„Richtig, Ihr Name ist weder beim FBI noch beim NYPD unbekannt“, gab Burke zu verstehen.

„Man schikaniert mich. Erkundigen Sie sich bei der Finanzbehörde. Ich versteuere jeden Dollar, den ich mit meinen Pizzerien einnehme. Daher betone ich es noch einmal: Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“

Burke winkte ab. „Vergangene Nacht wurde in Ihrem Revier ein Dealer ermordet“, sagte er. „Sein Name ist Rice Baxter.“

„Wenn Sie von – hm, meinem Revier sprechen – was meinen Sie damit?“ Payne starrte Burke an wie ein Python das Kaninchen, das er im nächsten Moment verschlingen würde.

„Ich spreche von Soho.“

„Sie kennen Ihr Revier nicht“, tat Ron Harris erstaunt. Dann winkte er ab. „Egal. Rice Baxter verkaufte in Ihrem Auftrag Drogen. Davon gehen wir zumindest im Moment aus. Ob man ihn gezielt umgebracht hat, wissen wir nicht. Wenn ja, dann steckt möglicherweise eine persönliche Rechnung dahinter. Wenn nicht, dann sollten Sie davon ausgehen, dass Ihnen und Ihrem Verein jemand den Fehdehandschuh hingeworfen hat. Handelte Rice Baxter nicht in Ihrem Auftrag mit dem Rauschgift – dann unterstellen wir, dass er von demjenigen ermordet wurde, in dessen Revier er eingebrochen ist. Es ist wie bei den wilden Tieren, Payne. Das eigene Revier wird mit allen Mitteln verteidigt.“

Donald Payne starrte den G-man mit stechendem Blick an, in seinen Augen schwelte ein zorniger Funke. „Über eines sollten Sie sich zunächst einmal klar sein, Agent: Für Sie bin ich Mr. Payne. Was Ihren Verdacht anbetrifft, so ist er lächerlich. Was soll das Geschwätz von Revier und von den wilden Tieren? Ich bin ein reeller, rechtschaffener Steuerzahler in dieser Stadt und ich lasse mir von niemand etwas in die Schuhe schieben. Und jetzt bitte ich Sie, zu gehen. Ich muss mir das nicht anhören. Was bezwecken Sie?“

Burke erhob sich. „Man hat meinen Kollegen Harris und mich mit der Aufklärung des Falles betraut, Mr. Payne. Und wir werden nicht ruhen, bis wir eine Lösung gefunden haben. Haben Sie schon einmal von einer 'Initiative against Drug use' gehört?“

Payne legte die Stirn in Falten. „Nein.“ Er schaute verunsichert drein. „Was hat es damit auf sich?“

„Als Angehöriger dieser Initiative hat sich Rice Baxters Mörder vorgestellt. Es kann sich allerdings um ein Ablenkungsmanöver handeln. Wenn es jedoch diese Initiative gibt, dann haben Sie einen nicht zu unterschätzenden Gegner gefunden, Mr. Payne. - Hast du noch Fragen, Ron?“

„Eine Menge. Ich glaube aber nicht, dass Payne – ich meine Mr. Payne bereit ist, sie zu beantworten. Es ist wohl so, dass wir die Antwort suchen müssen.“

„Und wir werden Sie finden“, kam es im Brustton der Überzeugung von Owen Burke. Er schoss Payne einen Blick zu, in dem ein stummes Versprechen zu lesen war.

Die Agents verabschiedeten sich. Der Abschied von Seiten Paynes fiel ausgesprochen kühl aus. Als Burke und Harris zum Dodge Avenger gingen, meinte Ron Harris: „Das ist ein Wolf im Schafspelz. Auf jeden Fall wissen wir jetzt, mit wem wir es zu tun haben. Du hast keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass wir nichts unversucht lassen, um ihm auf die Zehen zu treten. Die Frage wird sein, wie er reagiert. Lässt er sich aus der Reserve locken, und bietet er uns einen Hebel, an dem wir ansetzen können, oder schraubt er seine verbrecherischen Aktivitäten zurück und mimt nur noch den reellen, rechtschaffenen Steuerzahler, als den er sich selbst bezeichnet hat.“

„Wir werden es sehen. – Fahren wir ins Büro und nehmen wir Kontakt mit den Kollegen vom Narcotic Squad und von der DEA auf. Wir brauchen eine Liste mit den Namen der Drogentoten der vergangenen drei Monate.“

„Ja, fordern wir die Liste an und bitten wir mit aller Inbrunst den lieben Gott, dass wir innerhalb dieses Zeitrahmens fündig werden.“