Am Abend statteten die Agents noch einmal dem ‚Shut up or die’ einen Besuch ab. Ron Harris hielt wieder vor dem Lokal die Stellung, Owen Burke ging hinein. Die Lady an der Tür erkannte ihn, verdrehte die Augen und öffnete. Burke betrat den Gastraum und schwenkte seinen suchenden Blick in die Runde. Die Atmosphäre war dieselbe wie bei seinem ersten Besuch. Tabakqualm füllte seine Lungen.
Burke entdeckte Clint Sulver, der inmitten einer Gruppe etwa Gleichaltriger am Tisch hockte und eine Zigarette paffte. Vor ihm stand ein Glas Bier.
Burke näherte sich dem Tisch. Als Sulver ihn sah, schien er regelrecht auf seinem Stuhl zu schrumpfen. Er machte die anderen am Tisch auf den Agent aufmerksam. Der G-man wurde herausfordernd aber auch trotzig angestarrt. Vor dem Tisch hielt er an, heftete seinen Blick auf Sulver und sagte: „Als wir das letzte Mal miteinander sprachen, hast du dich ziemlich schnell verabschiedet, Sulver. Wir waren aber noch nicht fertig. Ich hatte noch einige Fragen an dich. Wie sieht es aus, Junge, kommst du mit mir hinaus?“
„Lass die Jungs in Ruhe, G-man“, erklang es grollend hinter Burke. Der G-man drehte sich langsam um, sein Blick erfasste einen breitschultrigen, glatzköpfigen Burschen mit pockennarbiger Haut und der eingeschlagenen Nase eines Boxers.
„Sind Sie der Besitzer des Ladens?“
„Ja. Und wenn hier ständig irgendwelche Bullen herumtanzen, kommen bald keine Gäste mehr. Die Jungs hier sind sauber. Dass vor meinen Lokal der verdammte Dealer umgelegt wurde ...“
Burkes Rechte fuhr ungeduldig durch die Luft, der Glatzköpfige brach ab. „Der verdammte Dealer hat Ihre Gäste mit Drogen versorgt, Mister!“, stieß Burke hervor.
„Dagegen verwahre ich mich!“, begehrte der Gastwirt auf. „Ich lasse nicht zu, dass in meinem Laden gehascht oder geschnupft wird. Versuchen Sie bloß nicht ...“
„Allein die Tatsache, dass Sie Alkohol an Jugendliche ausschenken, kann Sie die Lizenz kosten“, schnitt Burke dem Wirt das Wort ab. „Aber das haben wir gleich.“
Burke nahm sein Handy, stellte eine Verbindung mit seinem Kollegen her und knurrte: „Hör zu, Ron, in dem Laden liegt einiges im Argen. Verständige die Jungs vom Police Departement und auch gleich die Kollegen von der DEA. Es gibt hier sicherlich einiges für sie zu tun.“
Burke beendete das Gespräch und steckte das Mobiltelefon wieder in die Tasche. Es sah aus, als wollte sich der Wirt im nächsten Moment auf ihn stürzen. Seine Zähne mahlten übereinander, seine Hände öffneten und schlossen sich. An den glatzköpfigen Burschen gewandt stieß Owen Burke hervor: „Dann wollen wir mal auf die Jungs warten, die hier gleich Ihren Laden auseinander nehmen werden. Sie haben es selbst herausgefordert.“ Und laut rief er: „Keiner verlässt das Lokal. Draußen stehen Kollegen von mir und nehmen jeden in Empfang. Flucht ist also zwecklos.“
Unruhiges Gemurmel entstand.
Der Barbesitzer starrte Burke an, und wenn Blicke töten könnten, wäre er tot umgefallen.
Der Vorhang bei der Eingangstür wurde zur Seite geschoben. Ron Harris erschien und baute sich breitbeinig auf. In seiner Faust lag die P226. Eine Achtung gebietende Erscheinung ...
„Fahren wir fort, Junge“, so wandte sich Owen Burke wieder an Clint Sulver. „Aber nicht hier. Gehen wir hinaus. Hier drin stirbt man ja den Erstickungstod. Hat dir denn noch keiner gesagt, wie schädlich Zigarettenrauch ist?“
Clint Sulver stemmte sich am Tisch in die Höhe und ging vor Burke her zum Ausgang.
Ron Harris hielt bei der Tür die Stellung.
Auf dem Gehsteig vor der Bar stammelte Clint Sulver: „Bitte, Sir, ich kann Ihnen kaum etwas ...“
„Kanntest du Rice Baxter?“, fiel ihm Burke schroff ins Wort.
„Baxter? Nein - ja - kaum. Er ...“
„Du kanntest ihn, lüg mich nicht an. Das ‚Shut up or die’ scheint deine Stammkneipe zu sein, und in dem Laden wickelte Baxter seine Rauschgiftgeschäfte ab. Versuch bloß nicht, mich für dumm zu verkaufen, mein Junge. Ich kann auch verdammt ungemütlich werden.“
Die Einschüchterung wirkte. „Ja, ja. Okay, G-man, jeder hier kannte Rice.“
„Gut. Warum nicht gleich so? - Gestern hat ein anderer Dealer Baxters Platz hier eingenommen. Es war der Kerl, der die Bar verließ, als wir hier draußen standen. Ich weiß es, denn du hast dich verraten. Wer ist der Bursche?"
Sulver hob die mageren Schultern.
Burke packte ihn am Hemd und zog ihn wenig sanft dicht an sich heran. Der Hemdenstoff krachte. Mit schneidendem Tonfall herrschte der G-man Clint Sulver an: „Keine Lügen mehr, verstanden! Also wer ist der Kerl?“
„Er - er wird das Frettchen genannt“, stotterte Sulver „Sein richtiger Name ist ...“
"Na!"
"Rowland - Hal Rowland. Sein Revier war das ‚Pretty Woman’. Die Kneipe finden Sie in der 7th, direkt beim Tompkins Square Park.“
Sirenen erklangen, dann kam ein Konvoi von Polizeifahrzeugen an. Sie hielten vor dem ‚Shut up or die’. Die Lichtbalken auf den Fahrzeugdächern schickten geisterhafte Lichtreflexe in die Runde. Die Sirenen verstummten.
Burke klärte den Einsatzleiter mit knappen Worten auf, dann stürmten die uniformierten Kollegen die Bar. Einige der Cops sicherten den Ausgang. Burke übergab ihnen den Jungen.
Ron Harris kam ins Freie. Für ihn und Owen Burke gab es hier nichts mehr zu tun. Im Dodge bemühte Burke die Datenbank des FBI.
Und sogleich meldete der Bordcomputer ein Ergebnis. „Zwei Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz“, setzte Owen Burke seinen Kollegen in Kenntnis. „Insgesamt zweieinhalb Jahre abgesessen, ist auf Bewährung draußen. Ein neuer Verstoß bringt ihm auf jeden Fall zehn Jahre.“
„Hast du eine Adresse?“
„Sicher. Und sie dürfte sogar aktuell sein, denn Rowland hat verschiedene Auflagen einzuhalten, so muss er auch einen festen Wohnsitz nachweisen. Außerdem muss er wöchentlich bei einem Bewährungshelfer vorstellig werden.“
Rowland wohnte in der Lower East Side, Clinton Street 59.
Die Agents beobachteten kurze Zeit später das Gebäude, in dem Rowland, genannt das Frettchen, wohnte.
„Okay, Ron“, murmelte Owen Burke nach einiger Zeit, „halt du weiterhin die Augen offen. Ich sehe nach, ob Rowland zu Hause ist.“
Burke betrat das Haus. Er schaltete die Treppenhausbeleuchtung ein. Rowland wohnte in der zweiten Etage. Die Holzstufen ächzten unter dem Gewicht des G-man. Aus verschiedenen Wohnungen sickerte teilweise immenser Lärm; Musik, lautstarker Streit, Kindergebrüll, Hundegebell ...
Schließlich stand Owen Burke vor Rowlands Wohnungstür. Er klingelte. Aber die Glocke blieb stumm. Sie hatte den Geist aufgegeben. Der G-man äugte durch das Schlüsselloch. Dahinter hing nur absolute Finsternis. Schließlich klopfte er fordernd. Drin blieb alles ruhig.
Noch einmal schlug Burke mit der Faust gegen die Tür. „Aufmachen! FBI!“
Nichts!
Der Vogel war also ausgeflogen.
Einen Grund, in die Wohnung einzudringen, gab es nicht.
„Du bist schon wieder zurück?“, empfing Ron Harris seinen Kollegen, als der sich auf den Beifahrersitz warf.
„Rowland ist fort. Aber irgendwann muss er ja zurückkehren.“