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Owen Burke und Ron Harris besuchten das University Medical Center, das ihnen der Lieutenant genannt hatte und erfuhren, dass Jack Lacenby, seine Frau und die beiden Söhne nach eingehender Untersuchung das Krankenhaus wieder verlassen hatten. Susan Hillberry hatte zuviel Rauch eingeatmet und musste bleiben. Auf Burkes Frage, wo sich Susan Hillberrys Mann befand, erklärte man, dass er am Bett seiner Frau saß und nicht wegzukommen war.

Wenig später holte der Arzt, der Mrs. Hillberry versorgt hatte, die Agents ab. Er begleitete sie zu dem Zimmer, das sie ohne kundige Führung in diesem Irrgarten aus Gängen, Zimmerfluchten und Treppenhäusern wohl nur sehr schwer gefunden hätten.

Sechs Betten standen in dem Raum. Alle waren belegt. Owen Burke vermutete, dass sie sich in der Sozialstation des Klinikums befanden.

Der Arzt deutete auf eine Frau Mitte sechzig. Dünne, graue Haare rahmten das bleiche, faltige Gesicht ein. Zwei dünne Schläuche waren in ihre Nase eingeführt. Eine Nadel steckte in ihrem Unterarm, die durch einen dünnen, durchsichtigen Schlauch mit einem Tropf verbunden war, der an einem verchromten Gestell hing.

Die Frau hatte die Augen geschlossen. Ihre Lider zuckten. Ihre Gestalt war unter der Zudecke kaum auszumachen.

An ihrem Bett saß ein weißhaariger Mann. Der tagealte Bart in seinem Gesicht war von derselben Farbe wie seine Haare. Tiefe Runzeln und Falten zerklüfteten sein Gesicht. Blicklos starrte er auf die reglos daliegende Frau.

„Mr. Hillberry fehlt nichts“, gab der Arzt fast flüsternd zu verstehen. „Aber seine Frau hat ziemlich starke Vergiftungen davongetragen. Sie ist nach der Explosion ins Treppenhaus und die Treppe hinunter gelaufen und wurde besinnungslos. Der giftige Qualm vom Lack der Treppe ... Jack Lacenby nahm sich der Frau an und schleppte sie hinauf in die dritte Etage, von wo sie schließlich durch die Feuerwehr gerettet werden konnten.“

Owen Burke trat hinter Henry Hillberry und legte ihm eine Hand auf die hagere Schulter. „Können wir Sie sprechen, Mr. Hillberry?“

Er wandte langsam den Kopf, schaute den G-man wie ein Erwachender an, schüttelte den Kopf und murmelte: „Ich gehe hier solange nicht weg, bis Susan die Augen aufmacht und ich weiß, dass sie es schafft.“

„Wir sind vom FBI“, gab Burke zu verstehen. “Ich bin Special Agent Burke, das ist mein Kollege Harris. Es ist wichtig, Mr. Hillberry. Sie möchten doch sicher auch, dass der Fall so schnell wie möglich aufgeklärt wird?“

„Der Mistkerl, der das verbrochen hat, soll in der Hölle schmoren“, brach es gehässig über Hillberrys welke Lippen. Er heftete den flackernden Blick wieder auf seine Gattin.

Der Arzt mischte sich ein: „Ihre Frau kommt durch, Mr. Hillberry. Sie schläft. Und Schlaf ist im Moment für sie die beste Medizin.“

„Aber die Schläuche in ihrer Nase ...“ Hillberry atmete rasselnd durch. „Wenn sie stirbt, dann ...“

„Mein Wort drauf, Mr. Hillberry“, sagte der Arzt. „Ihre Frau stirbt nicht. Wir bringen sie wieder auf die Beine.“

„Wo können wir uns ungestört mit Mr. Hillberry unterhalten?“, fragte Ron Harris den Mediziner.

„Im Frühstücksraum des Personals dieser Abteilung“, antwortete der Arzt. „Am Ende des Korridors, rechts.“

„Kommen Sie, Mr. Hillberry.“ Owen Burke verstärkte etwas den Druck seiner Hand auf der Schulter des alten Mannes.

„Meine Frau - sie stirbt wirklich nicht?“

Der Arzt schüttelte den Kopf. „In ein paar Tagen ist sie wieder putzmunter“, versprach er.

Widerwillig stemmte Hillberry sich von dem Stuhl in die Höhe und begab sich mit den beiden Beamten in das von dem Arzt bezeichnete Frühstückszimmer.

„Also, Mr. Hillberry, dann erzählen Sie mal“, forderte Owen Burke, nachdem sie sich gesetzt hatten, den geknickten Mann auf, zu sprechen. „Erzählen Sie uns alles, was Ihnen einfällt in dieser Sache.“

Hillberry dachte kurz nach, dann begann er stockend: „Es begann vor etwa fünf Wochen. Eines Tages klingelte bei uns das Telefon. Ich nahm ab. Jemand sagte, dass wir unsere sieben Sachen zusammenpacken und so schnell wie möglich aus unserer Wohnung verschwinden sollen. Der Anrufer drohte, dass wir andernfalls nicht mehr viel Freude am Leben haben würden.“

Ein trockenes Schluchzen erschütterte den ausgemergelt anmutenden Körper des Mannes, der um die siebzig Jahre alt sein mochte. Er blinzelte, unruhig bewegten sich seine Hände auf der Tischplatte.

Schließlich sprach er leise weiter: „Ich hielt es für einen schlechten Scherz und hatte zunächst Hal Thayer im Verdacht, der mit seiner Freundin über uns wohnte. Manchmal ging es recht laut bei ihm zu, und ganz besonders schlimm war es immer, wenn er gesoffen hatte. Die rauften und schlugen sich. Ich hab mich des Öfteren bei ihm wegen des meist nächtlichen Radaus beschwert, und ich glaube, er hasste mich dafür.“

„Hal Thayer“, überlegte Ron Harris laut. „Der Name fiel doch im Zusammenhang mit den Schüssen auf die beiden Polizisten in dem Gebäude, das Sie bewohnen.“

„Ja“, nickte Henry Hillberry. „Die beiden Killer waren bei ihm, haben ihn fürchterlich zusammengeschlagen und seine Einrichtung zertrümmert. Ich war es, der die Polizei gerufen hat.“ Er seufzte, seine Stimme hob sich. „Hätte ich es nur nicht getan. Dann würden der arme Cop sicherlich noch leben.“

„Sie haben sich nichts vorzuwerfen“, beruhigte ihn Owen Burke. „Es ist wohl vielmehr so, dass Sie vollkommen richtig gehandelt haben.“

Der alte Mann hob die Hände und ließ sie wieder sinken. Es wirkte irgendwie resigniert. „Jedenfalls häuften sich die Anrufe. Auch Lacenby wurde terrorisiert. Später warf man uns schriftliche Drohungen in den Briefkasten. Man wollte uns unbedingt draußen haben aus dem Haus. Susan und ich - wir leben seit vierzig Jahren in der Wohnung - wo sollten wir denn hin? Meine Rente reicht kaum zum Leben. Wir sind alt. - Bei Lacenby ist es ähnlich. Er ist arbeitslos und hält seine Frau und die beiden Jungs mit Gelegenheitsjobs über Wasser.“

„Und Thayer?“, wollte Ron Harris wissen.

„Das ist ein minderwertiger Taugenichts. Er ist etwa dreißig Jahre alt und hat zwei linke Hände. Das Wort Arbeit allein löst bei ihm Schüttelfrost aus. Er bettelt und schnorrt sich durch, und wenn er ein paar Dollar in den Fingern hat, versäuft er sie. Seine Freundin passt zu ihm. Sie zogen vor drei Jahren ein.“

„Nachdem er zusammengeschlagen wurde - blieb er im Haus wohnen?“

„Er und Glenda verschwanden spurlos. Sie sind jetzt wahrscheinlich endgültig in der Gosse gelandet.“

„Haben Sie die Männer gesehen, die Thayer den Besuch abstatteten?“

„Nein. Ich wagte nicht, die Tür zu öffnen, als sie die Treppe hinunterstürmten. Und über so etwas wie einen Spion verfügen die Korridortüren in unserem Haus nicht. Dann fielen die Schüsse, und ich machte mir fast in die Hosen. Nein, G-men, ich habe die beiden Killer nicht gesehen.“

„Werden uns Lacenby oder seine Frau weiterhelfen können?“, fragte Owen Burke.

„Ich hab mich mit Lacenby und seiner Gattin in den vergangenen Tagen öfter mal unterhalten. Sie wissen ebenso wenig wie ich und Susan.“

Sein Blick schien sich plötzlich nach innen zu verkehren, er schien die Agents gar nicht mehr wahrzunehmen. „Was soll nun werden?“, flüsterte er wie im Selbstgespräch. Es klang verzweifelt. „Wir können nicht mehr in unsere Wohnung zurück.“ Hillberry schlug die Hände vor das Gesicht, seine Schultern erbebten wie unter einem inneren Krampf. „Wohin soll ich Susan bringen, wenn sie das Krankenhaus verlassen darf? Gütiger Gott! Wären wir doch bloß mit der Bombe in die Luft geflogen. Dann wären wir endlich alle Sorgen los.“

Er war mit den Nerven offensichtlich am Ende.

Owen Burke und Ron Harris schauten sich betreten und betroffen zugleich an. Der alte Mann, der wohl sein Leben lang am Rande des Existenzminimums vegetiert hatte, erregte ihr Mitgefühl. Um dieser Empfindung Ausdruck zu verleihen, hätten Worte sicherlich banal und phrasenhaft geklungen.

„Vielleicht will uns Sullivan draußen haben“, sinnierte Hillberry nach einer kurzen Zeit des betretenen Schweigens laut. „Die Häuser sind alt und müssten mit einem hohen finanziellen Aufwand saniert werden. Möglicherweise ...“

Der alte Mann brach ab.

„Was wollten Sie sagen?“, fragte Ron Harris.

Hillberry winkte ab. „Es war nur so ein Gedanke. Ich will Sullivan nicht falsch verdächtigen.“

„Sagen Sie es uns trotzdem“, forderte Ron Harris. „Jeder noch so kleine Hinweis kann wichtig sein.“

„Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ein Verkauf der Grundstücke wahrscheinlich mehr Geld einbringt als die Miete, die wir bezahlen.“

„Ich verstehe“, murmelte Owen Burke versonnen. „Wir werden Sullivan jedenfalls auf den Zahn fühlen“, versicherte er dann.

Die Agents begleiteten Henry Hillberry wieder zu dem Zimmer, in dem seine Frau lag. Dann verließen sie das Hospital.

„Wir sollten uns zunächst ins Federal Building begeben und uns mit dem beschäftigen, was die Kollegen vom Police Department schon ermittelt haben“, schlug Owen Burke vor.

„Nichts dagegen einzuwenden“, antwortete Ron Harris und fügte sogleich hinzu: „Kann es nicht auch sein, dass jemand die Grundstücke, auf denen die Häuser in der Clinton Street stehen, frei haben möchte für ein lukrativeres Objekt?“

„Das möchte ich fast behaupten“, pflichtete Owen Burke bei. „Und in erster Linie kommt da wohl der Besitzer dieser Ruinen in Betracht.“

Sie machten sich auf den Weg zur Federal Plaza.