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„Wohin würdest du dich nach einem solchen Coup wenden?“, wandte sich Owen Burke an seinen Kollegen Ron Harris, nachdem er aufgelegt hatte.

Harris wiegte den Kopf. „Spencer wird sich zunächst mal irgendwo in New York verkriechen. Vielleicht versteckt ihn einer seiner Kumpels.“

„Spencer ist verlobt“, bemerkte Owen Burke. „Die Frau heißt Elena Doyle. Vielleicht weiß sie etwas.“

„Wir dürfen keine Chance außer Acht lassen, um den Kerl wieder hinter Schloss und Riegel zu bringen“, stieß Ron Harris grollend hervor. „Also verlieren wir keine Zeit.“

Owen Burke meldete Ron Harris und sich bei Amalie Shepard, der meist schlecht gelaunten Sekretärin des Assistant Directors, ab, dann fuhren sie mit dem Lift in die Tiefgarage und waren wenig später im Dodge Avenger unterwegs.

Elena Doyle wohnte in der Thompson Street. Die Agents waren also nicht lange unterwegs, wenn auch der Verkehr auf Manhattans Straßen wieder einmal chaotisch war. Doch das berührte die beiden schon lange nicht mehr. Wenn man tagtäglich auf New Yorks Straßen mit dem Auto unterwegs ist, stumpft man ab. Zeit spielt keine Rolle mehr ...

Das Haus, in dem Elena Doyle lebte, wurde von einer Wohnungsbaugesellschaft verwaltet, und im Erdgeschoss saß hinter einer Rezeption ein Portier. Er wollte wissen, wohin die Agents wollten.

„Elena Doyle“, erklärte Owen und zeigte dem Doorman seine ID-Card.

Der Mann rückte seine Brille zurecht, massierte dann zwischen Daumen und Zeigefinger sein Ohrläppchen, und sagte mit verschwörerischem Tonfall: „Miss Doyle hat Besuch – männlichen Besuch. Keine Ahnung, ob Sie gelegen kommen. Wohl eher nicht.“

„Sie ist doch mit Robin Spencer verlobt?“, bemerkte Ron Harris.

„So heißt es zumindest. - Spencer hat ja ziemlich für Furore gesorgt“, sagte der Doorman. „Dass er kein unbeschriebenes Blatt ist – diesen Verdacht hatte ich schon lange. Er ist nie einer geregelten Arbeit nachgegangen, fuhr aber ein Auto, von dem ich nur träumen kann. Von irgendwo her muss das Geld ja schließlich kommen.“

„Wer befindet sich bei Miss Doyle?“, erkundigte sich Owen Burke, ohne auf die Worte des Doormans einzugehen.

„Sein Name ist Edward McGinniss. Er ist ein alter Bekannter von Miss Doyle. McGinniss besucht sie sehr oft.“ Der Doorman zuckte mit den Achseln. „Ich will ja keine Behauptungen aufstellen, aber ...“

„Ist McGinniss auch ein alter Bekannter von Robin Spencer?“, fragte Owen Burke und unterbrach damit die Ausführungen des Portiers, die ihn – wenn überhaupt – nur am Rande interessierten.

„Ich habe die beiden einige Male zusammen gesehen. In letzter Zeit ist McGinniss allerdings nur noch gekommen, wenn Spencer nicht zu Hause war. Das lässt gewisse Schlüsse zu.“ Der Portier grinste viel sagend.

„Dann wollen wir mal“, drängte Ron Harris ungeduldig und ging voraus zum Aufzug. Die Agents fuhren in die fünfte Etage und Owen Burke läutete wenig später an Elena Doyles Wohnungstür.

Es war eine sehr schöne Frau, die die Tür öffnete. Sie mochte Ende zwanzig sein. Ihr solariengebräuntes, schmales Gesicht wurde von einer Flut langer, brünetter Haare eingerahmt, ihre Augen waren von grünlicher Farbe, sie besaß eine kleine, gerade Nase und einen sinnlichen Mund. Die Linie ihres fraulich runden Kinns war makellos. Sie war von einer Rasse, die wohl kaum einen Mann kalt lassen konnte.

„Guten Tag, Miss Doyle“, grüßte Owen Burke und hielt das aufgeklappte Etui mit seiner Dienstmarke in die Höhe. „FBI. Ich bin Special Agent Owen Burke, mein Kollege ist Special Agent Ron Harris. Wir haben ein paar Fragen an Sie.“

Ihre Augen verengten sich, ein herber Zug schlich sich in ihre Mundwinkel, sie stieß hervor: „Ich konnte es in den Lokalnachrichten hören: Robin wurde auf dem Weg nach Rikers Island von einigen Freunden befreit. Denken Sie etwa, ich verstecke ihn?“ Ihr Blick wurde trotzig. „Sie haben Sich umsonst herbemüht, Agents. Ich habe von Robin seit zwei Tagen nichts mehr gesehen, und seit seiner Flucht habe ich auch nichts mehr von ihm gehört.“

Sie wollte die Tür zudrücken, aber Ron Harris schob schnell seinen Fuß nach vorne und so verhinderte er, dass ihnen die Lady die Tür vor der Nase zuschlug. „Wir sind noch nicht fertig, Ma’am“, stieß er hervor. „Ein guter Bekannter soll bei Ihnen sein. Er ist auch ein Bekannter von Robin Spencer. Vielleicht kann er uns etwas über den Verbleib ...“

„Nimm deinen Fuß aus der Tür, Bulle, sonst trete ich dir auf die Zehen, dass dir Hören und Sehen vergeht“, fauchte Elena, und ihr Gesicht war gar nicht mehr schön. Es hatte sich zu einer gehässigen Grimasse verzerrt.

Ron Harris dachte nicht daran. Im Gegenteil, er drückte gegen ihren Widerstand die Tür wieder weiter auf und fuhr sie an: „Dass Sie keine Ahnung haben, wo sich Spencer verkrochen hat, haben Sie uns eben ziemlich deutlich erklärt, Lady. Wir wollen aber auch Ihren guten Bekannten –„ Ron Harris dehnte die letzten drei Worte auf besondere Weise, „- Edward McGinniss nach Spencers Verbleib fragen.“ Ron Harris’ Stimme nahm einen spöttischen Tonfall an. „Würden Sie uns die Gnade erweisen, Mr. McGinniss zu rufen, Ma'am?“

Ihre Augen versprühten Blitze. Es sah aus, als würde sie mit dem nächsten Atemzug auf Ron Harris losgehen.

Aber da meldete sich in der Wohnung eine dunkle Stimme. Der Mann rief: "Ich weiß auch nicht, wohin sich Spencer nach seiner Flucht gewandt hat. Sonst noch Fragen?“

McGinniss hatte also gelauscht.

Edward McGinniss ließ sich jetzt sehen. Er kam aus einer Tür, näherte sich den Agents und baute sich hinter Elena Doyle auf. Er war groß und dunkelhaarig. Der Blick, mit dem er die Agents abwechselnd musterte, war lauernd. Sein Gesicht war ausdruckslos.

„Vier Maskierte haben Robin Spencer am Nachmittag, gegen 14 Uhr befreit“, sagte Owen Burke. „Es waren wohl Freunde von Spencer. Der Doorman unten hat uns erzählt, dass er Sie des Öfteren zusammen mit Spencer gesehen hat. Wo waren Sie denn um 14 Uhr, Mr. McGinniss?“

Die Brauen des Mannes schoben sich zusammen wie zwei schwarze Raupen und ein Schatten schien über sein Gesicht zu huschen. „Ich war zu Hause – alleine. Sonst noch etwas?“

Burke schaute Ron Harris an, der erwiderte seinen Blick und schüttelte den Kopf. „Nein, das war's. Schönen Tag noch.“

Die Agents wandten sich ab. Hinter ihnen flog krachend die Tür zu. Owen Burke sagte: „Ich denke, wir ziehen einige Erkundigungen bezüglich dieses feinen Gentleman ein, Ron. Es interessiert mich nämlich brennend, wovon der Bursche seinen Lebensunterhalt bestreitet und was er an Vorstrafen aufzuweisen hat.“

„Feiner Gentleman!“, echote Ron Harris. „Ich denke, er ist ein Kotzbrocken.“

„Aber, aber“, mahnte Owen Burke lächelnd. „Immer objektiv bleiben, alter Knabe.“

„Ha, ha.“