Am folgenden Morgen rief Detective Lieutenant Mark Briggs aus dem Detective Bureau des Police Departments bei Owen Burke an und sagte: „Hallo, Agent, was denken Sie, wen wir aufgegabelt haben?“
„Soll ich jetzt raten?“, fragte der Special Agent.
„Nicht nötig. Ich will es Ihnen auch so sagen. Es ist Robin Spencer.“
Owen Burke war wie elektrisiert und schaltete mechanisch den Lautsprecher des Telefonapparats ein, damit Ron Harris mithören konnte.
„Robin Spencer?“, entfuhr es Burke schließlich. „Wo ist er?“
„Im Krankenhaus. Spaziergänger fanden ihn im McCarren Park. Jemand hat Spencer eine Kugel in die rechte Brustseite geknallt. Es ist davon auszugehen, dass ihn die vier Gangster nicht aus Freundschaft oder einem ähnlichen Beweggrund befreiten, sondern weil sie ihn zum Schweigen bringen wollten. Als sie ihn aus dem Auto warfen, hielten sie ihn wohl für tot.“
„Habt ihr schon mit Spencer gesprochen?“
„Er ist noch nicht vernehmungsfähig.“
„In welchem Krankenhaus befindet er sich?“
„Im Saint Vincent’s Hospital, Seventh Avenue. Sein Zustand ist ziemlich kritisch. Sobald er über den Berg und transportfähig ist, werde ich veranlassen, dass er nach Rikers Island ins Gefängnishospital überstellt wird.“
„Wird Spencer bewacht?“
„Gewiss.“
„Sehr gut. Ich werde mich sofort mit dem Krankenhaus in Verbindung setzen.“
„Schön. Wir hören wieder voneinander. Einen schönen Tag noch, G-man.“
„Danke, ebenfalls eine gute Zeit.“
Owen Burke suchte sofort die Nummer des Krankenhauses heraus. Wenig später hatte er einen Arzt an der Strippe. Er erklärte, wer er war, dann bat er, ihn sofort zu informieren, sobald Spencer vernehmungsfähig sei. Der Arzt sagte es ihm zu.
Der Anruf erfolgte am späten Nachmittag. Burke und sein Partner machten sich sofort auf den Weg. Das Krankenhaus lag an der Ecke Seventh Avenue und 11th Street. Sie sprachen zunächst mit dem Arzt, er sagte: „Spencer ist schwach, aber er weiß, was um ihn herum vorgeht. Ich meine damit, dass er im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist. Doch sollten Sie ihn nicht über Gebühr in Anspruch nehmen. Er hat viel Blut verloren und sein Zustand ist keineswegs schon stabil.“
„Ein wenig Aufregung wird sich nicht vermeiden lassen“, murmelte Owen Burke. „Allein unser Anblick wird bei Spencer für einen ziemlichen Adrenalinschub sorgen.“
Der Doc verzog den Mund.
Wenig später klopfte Ron Harris an die Tür zu Spencers Krankenzimmer. Vorher hatten sich die G-men natürlich bei den beiden uniformierten Cops ausgewiesen, die vor dem Zimmer Wache hielten. Als keine Aufforderung zum Eintreten erklang, öffnete Ron Harris die Tür.
Spencers erloschener Blick hing an den beiden Agents. Sein Gesicht war krankhaft bleich, die Augen lagen in tiefen, dunklen Höhlen. Doch jetzt füllten sie sich mit Leben, sie begannen zu flackern. „Ihr beiden seid die Letzten, die ich sehen möchte“, empfing er Burke und Harris mit lahmer, klangloser Stimme.
„Vielen Dank“, lächelte ihn Ron Harris freundlich an. „Die Wiedersehensfreude beruht auf Gegenseitigkeit.“
„Wiedersehensfreude!“ Spencer versuchte seiner Stimme einen gehässigen Klang zu verleihen. Es misslang gründlich. „Dir haben sie wohl Scheiße ins Hirn geblasen, Harris!“
„Ihr Umgangston hat sich nicht im geringsten geändert, Spencer“, versetzte Ron Harris unbeeindruckt.
„Du kannst mich mal, Harris“, knirschte Spencer. „Und jetzt verschwindet wieder. Ihr verpestet mir die Luft und seid meiner Genesung ganz gewiss nicht zuträglich.“
Die Agents stellten sich am Fußende seines Bettes auf. „Erst werden Sie uns ein paar Fragen beantworten“, versetzte Owen Burke kühl und geschäftsmäßig, aber mit Nachdruck im Tonfall.
„Fragt nur!“, ächzte Spencer. „Ich glaube aber nicht, dass ihr auch nur eine einzige Antwort von mir erhalten werdet.“
„Wir werden es sehen.“ Owen Burke zuckte gleichmütig mit den Schultern. „Schätzungsweise waren es die Kerle, die Sie befreit haben, die Ihnen die Kugel in die Brust jagten. Wir gehen davon aus, dass es sich um Ihre Komplizen handelte, für die Sie sich zu einem Risiko entwickelt haben. Die haben Sie befreit, weil sie verhindern wollten, dass Sie schwach werden und Namen nennen. Und sie hatten den Entschluss gefasst, sie für immer zum Schweigen zu bringen, weil Ihnen klar war, dass nach Ihrer Flucht die Großfahndung nach Ihnen eingeleitet werden würde und sie befürchten mussten, dass man Sie schnappt, was Ihre Komplizen wieder der Gefahr des Verrats durch Sie ausgesetzt hätte.“
„Was phantasierst du dir da zusammen, Bulle?“
„Es liegt auf der Hand. Alles andere ergäbe keinen Sinn. - Sobald Sie transportfähig sind, bringt man Sie nach Rikers Island. Dort päppelt man Sie wieder hoch, und dann werden sich die Vernehmungsspezialisten des FBI mit Ihnen befassen. Wir können ja Wetten abschließen, wie lange Sie denen Stand halten.“
„Wir haben übrigens mit Ihrer Verlobten gesprochen, Spencer“, mischte sich Ron Harris ein. „Bei ihr war Edward McGinniss. Den kennen Sie doch. Er soll in der letzten Zeit des Öfteren die schöne Elena besucht haben, und zwar immer nur dann, wenn Sie außer Haus waren. Das lässt tief blicken, nicht wahr?“
Die Lider des Verwundeten flatterten. Seine Augen glitzerten fiebrig. Spencer musste zweimal ansetzen, japste dazwischen nach Luft, als würgte ihn eine unsichtbare Hand, dann keuchte er: „Das geht euch verdammten Feds einen Scheißdreck an ...“
„Womit wir wieder beim Umgangston wären“, fiel Owen Burke dem Gangster ins Wort. „Können Sie sich auch in einer anderen Sprache als in der Fäkalsprache mit uns unterhalten?“
„Ich sagte es bereits ...“
„Ja, ja, wir können Sie mal. Doch darauf verzichten wir. Meinen Sie nicht, dass Elena Doyle Sie mit McGinniss betrügt?“
„Ich pfeife auf McGinniss.“
„Ich sehe es Ihrem Gesicht an, dass Sie ganz und gar nicht darauf pfeifen, Spencer“, erklärte Owen Burke im Brustton der Überzeugung. „Auf dem Grund Ihrer Augen wühlt der Hass. Hass prägt auch jeden Zug in ihrem Gesicht. McGinniss ist einer der Kerle, die Sie befreit haben, nicht wahr? Er gehört zu den Leuten, mit denen Sie Schutzgeld erpressten und in jüngster Zeit ins Drogengeschäft eingestiegen sind. War er es, der Ihnen die Kugel in die Brust knallte?“
„Lasst mich in Ruhe, ich will nicht länger mit euch reden.“
„Warum wollen Sie uns nicht die Wahrheit sagen?“, fragte Owen Burke. „Haben Sie Rache geschworen? Wollen Sie Ihre Komplizen, die Ihnen auf absolut schäbige Art und Weise in den Rücken gefallen sind, im Alleingang zur Rechenschaft ziehen? Wenn das so ist, dann lassen Sie sich gesagt sein, dass Sie sich eine Reihe von Jahren gedulden werden müssen. Fünf Jahre werden das Mindeste sein ...“
„Geht zur Hölle!“
Die Agents verließen das Krankenzimmer. Sie hatten erkannt, dass aus Spencer nichts herauszuholen war. Draußen sagte Owen Burke: „Wir werden uns noch einmal Edward McGinniss zur Brust nehmen. Für den Zeitpunkt der Befreiung Spencers hat er kein Alibi. Und Spencers Reaktion war ziemlich eindeutig, als der Name McGinniss fiel.“
„Bei dieser Gelegenheit sollten wir uns auch noch einmal mit der schönen Elena etwas intensiver unterhalten, Kollege“, schlug Owen Harris vor. „Ich denke, sie ist in der ganzen Angelegenheit nicht völlig unbedarft.“