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Eine heisere Stimme erklang: „Gib dir keine Mühe, Bulle! Ich ergebe mich nicht. Aus dieser Wohnung bringt ihr mich nur tot hinaus. Sei aber versichert, dass ich eine Reihe von euch Kerlen mitnehmen werde.“

Dann war die Leitung tot.

Owen Burke ließ die Hand mit dem Telefon sinken, spitzte kurz die Lippen, dann sagte er: „Das ließ an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. Wir gehen ins Haus und holen uns den Burschen, Ron.“

„Das kann ich nicht zulassen!“, erregte sich Lieutenant Hensley. „Ich leite den Einsatz und trage die Verantwortung.“

„Sicher“, versetzte Owen Burke gelassen. „Sie sind für Ihre Leute verantwortlich, Lieutenant. Allerdings gehören wir nicht zu Ihren Leuten. Darum werden wir beide für uns selbst die Verantwortung übernehmen.“

Im Gesicht des Lieutenants arbeitete es krampfhaft. Dann stieß er hervor: „Der Mann ist nicht zu unterschätzen. Er weiß, dass er nichts mehr zu verlieren hat. Das macht ihn tödlich gefährlich und unberechenbar. Wir können ihn zermürben, wir ...“

Burke winkte ab. „Er hat abgeschlossen. Das wurde aus seinen Worten eben deutlich. Wenn er die Nerven endgültig verliert, knallt er sich vielleicht selbst eine Kugel in den Kopf oder er springt aus dem Fenster. Wir brauchen ihn aber lebend. Er muss uns die Frage nach dem Mann beantworten, in dessen Auftrag er Elena Doyle, Edward McGinniss, Stan Jennings und möglicherweise auch John Clifford ermordet hat. Außerdem will ich den Namen des vierten Mannes auf seiner Abschussliste wissen.“

„Speichern Sie wenigstens unsere Telefonnummer in Ihr Handy“, schlug der Lieutenant vor. „So ist sicher gestellt, dass Sie jederzeit mit mir Verbindung aufnehmen können.“

Sowohl Owen Burke als auch Ron Harris tippten die Nummer in den Speicher ihres Mobiltelefons, dann gab Owen Burke seinem Partner ein Zeichen. Sie liefen über die Straße und drangen in das Gebäude ein. Schon im Erdgeschoß waren bewaffnete Polizisten postiert, teils uniformiert, teils in Zivil, die per Funk bezüglich des Einsatzes der beiden FBI-Beamten in Kenntnis gesetzt wurden.

Es gab einen Aufzug in dem Gebäude, aber der war deaktiviert, also nahmen die Agents die Treppe. Oben angekommen zogen beide wie auf ein geheimes Kommando die Dienstwaffe, dann postierten sie sich zu beiden Seiten der Tür im Schutz der Wand.

Aus der Wohnung drang kein Laut. Fragend schaute Ron Harris seinen Partner an. Owen Burke nickte. Ron Harris trat vor die Tür hin, atmete tief durch und warf sich mit der Schulter unter Einsatz seines ganzen Körpergewichts dagegen. Aber die Tür hielt stand. Sofort sprang der G-man zurück.

Und schon im nächsten Moment schien die Hölle aufzubrechen. Ein Kugelhagel durchschlug die Korridortür und zerfetzte sie regelrecht. Die Geschosse bohrten sich auch in die Tür der gegenüberliegenden Wohnung.

Der Schütze in der Wohnung stellte das Feuer ein.

Die Garbe hatte auch das Türschloss zertrümmert. Die Tür klaffte einen Spaltbreit auf. Owen Burke griff vorsichtig um den Türstock und versetzte ihr einen Stoß, so dass sie aufschwang. Der Special Agent jagte zwei Schüsse in den Korridor und zog seine Hand schnell wieder zurück.

Sofort begann die Uzi wieder zu rattern. Und wieder zersiebten die Projektile die andere Wohnungstür.

Als die Waffe wieder schwieg, lugte Owen Burke vorsichtig um den Türstock. Vor ihm lag ein kurzer, leerer Flur. Am Boden nahm er eine Menge ausgeworfener Messinghülsen wahr.

Ron Harris rief mit klirrender Stimme: „Geben Sie auf, Mister. Legen Sie die Maschinenpistole weg und kommen Sie mit erhobenen Händen aus der Wohnung. Oder wollen Sie tatsächlich sterben?“

Die Antwort war eine Salve mit der Maschinenpistole. Jäh brach sie ab. Und Owen Burke hörte das bekannte Klicken, mit dem ein Schlagbolzen in eine leere Kammer stößt.

Er setzte alles auf eine Karte und stürmte mit der SIG in der Faust los.

Der Schütze stand an der der Tür gegenüberliegenden Wand neben einem Fenster und war gerade dabei, ein gefülltes Magazin in den Magazinschacht der Uzi zu rammen. Owen Burke machte zwei – drei lange Schritte, dann stieß er sich ab und hechtete auf den Mann zu, prallte gegen ihn und der Bursche krachte hart gegen die Wand. Das Magazin war noch nicht eingerastet und flog in hohem Bogen durch die Luft. Burke schlug mit der SIG zu. Sein Gegner ging zu Boden. Aber er war nicht kampfunfähig, sondern stieß mit dem Lauf der MP nach Burkes Gesicht. Im letzten Moment riss er den Kopf zur Seite.

Plötzlich war Ron Harris da. Mit einem bretterharten Handkantenschlag traf er den Oberarm des Killers. Dessen rechte Hand öffnete sich, er schrie auf, die MP hielt er nur noch mit der Linken. Ungeachtet des Schmerzes in seinem rechten Arm schlug er mit der Waffe nach Ron Harris. Der G-man wich geschickt aus, und dann kniete Burke über dem Gangster. Mit meinem rechten Knie nagelte er seinen linken Arm am Boden fest. Ron Harris entriss ihm die Schnellfeuerwaffe. Die Mündung der SIG in Burkes Faust deutete auf die Stirn des Kerls.

Er lag jetzt still. Der Hass in seinen Augen aber, die Burke anstarrten, war erschreckend.

Owen Burke erhob sich, während Ron Harris den Mann in Schach hielt. Dann zerrten sie ihn auf die Beine. Ron Harris nahm Handschellen von seinem Gürtel und fesselte ihm die Hände auf den Rücken.

„Wer sind Sie?“, fragte Burke, indes Ron Harris sich bückte und die Uzi aufhob. Dann ging er zu der Tür, die in den anderen Raum führte und öffnete sie. Für kurze Zeit verschwand er in dem Raum, dann kehrte er zurück und sagte: „Clifford ist verwundet und ohne Besinnung. Er blutet aus mehreren Wunden.“ Ron Harris zog sein Handy aus der Tasche, holte die Nummer des Lieutenants, die er vor seinem Einsatz gespeichert hatte, auf das Display, stellte die Verbindung her, und als sich Lieutenant Hensley meldete, sagte er: „Wir haben ihn. Clifford ist schwer verletzt. Haben Sie einen Arzt dabei?“ Der Agent lauschte kurze Zeit, dann ergriff er wieder das Wort: „Sehr gut, er soll sich beeilen. Vielleicht informieren Sie schon den Emergency Service, damit Clifford ohne große Verzögerung in die Klinik gebracht werden kann.“

Owen Burke fixierte den Mann, den sie überwältigt hatten. Er schätzte ihn auf Ende dreißig. Die Ähnlichkeit mit Robin Spencer war unverkennbar.

Der Gangster schwieg verbissen.

„Sie sind Gordon Spencer, richtig?“

Der Bursche gab keine Antwort.

„Wir werden Ihnen die Würmer schon aus der Nase ziehen“, versprach Ron Harris. „Bringen wir ihn nach unten, Partner.“

Sie bugsierten den Killer aus der Wohnung und dirigierten ihn die Treppe hinunter. Ein Mann, der eine große, schwarze Ledertasche trug, hastete an ihnen vorbei nach oben. Es war der Polizeiarzt. Unten wurde der gefesselte Gangster sofort von den Beamten aus dem Police Department in Empfang genommen. Owen Burke ordnete an, dass er ins Federal Building gebracht wurde. Der Mann, von dem Owen Burke annahm, dass es sich um den Bruder von Robin Spencer handelte, wurde abgeführt. Die Agents warteten noch, bis John Clifford versorgt war. Der Arzt gab zu verstehen, dass der Zustand des Mannes ziemlich bedenklich war und dass sich in den nächsten vierundzwanzig Stunden entscheiden würde, ob er durchkam oder nicht.

Danach wählte Ron Harris den Festnetzanschluss von Gordon Spencer an. Dessen Ehegattin meldete sich. „Ist Ihr Mann schon zu Hause?“, fragte der Agent, nachdem er seinen Namen genannt hatte.

„Nein.“

„Na schön, Mrs. Spencer. Mein Kollege und ich holen Sie gleich ab. Wir fahren dann gemeinsam ins Field Office.“

„Was wollen Sie von mir? Lassen Sie mich in Ruhe! Ich will ...“

„Wir sind innerhalb der nächsten Stunde bei Ihnen, Mrs. Spencer.“ Ron Harris beendete das Gespräch und grinste Owen Burke an. „Mir scheint, sie ist jetzt ziemlich nervös. Denn sie hat keine Ahnung, was Sache ist, und die Ungewissheit wird ihr schlimm zusetzen.“

„Fahren wir.“