Kapitel 9

I m Moment versuchte Sophia, nicht an den Rat im Haus der Vierzehn zu denken und an all die Kopfschmerzen, die man ihr bereiten wollte. Aus der Sicht eines Außenstehenden verstand sie, wie die Halunkenreiter die Dinge für die Drachenreiter durcheinanderbrachten.

Zuvor hatte Nevin Gooseman viel Mühe in die Kampagne gegen die Drachenelite gesteckt. Viele Sterbliche ließen sich von der Angst anstecken, was den Drachenreitern alle möglichen Probleme bescherte. Zum Glück erholten sie sich davon, nur um dann festzustellen, dass die Dämonendrachen ihnen weltweit echte Probleme bereiteten.

Sophia würde immer noch behaupten, dass Nevin Gooseman Unrecht hatte. Dämonische Drachen durften nicht massenhaft ausgerottet werden. Sie musste daran glauben, dass es ein Gleichgewicht gab. Sie musste nur herausfinden, wie sie es erreichen konnte und das bedeutete, ein paar neue mächtige und machtgierige Drachenreiter in ihre Schranken zu weisen. Dann wäre die Welt wieder in Ordnung – zumindest für kurze Zeit.

Sophia kroch durch die kleine Tür des offiziellen Brownie-Hauptquartiers und entdeckte Ticker, Mortimers Sohn, der auf dem Boden saß und ein Spiel spielte.

»Hallo, Ticker.« Sophia schenkte dem kleinen Brownie ein Lächeln.

Er blickte nicht von dem auf, was zwischen seinen gespreizten Beinen ruhte. Sophia kam näher und schaute über seine Schulter, um zu sehen, was seine Aufmerksamkeit forderte.

Es war eine Karte – eine unglaublich komplizierte Karte mit Klappen, die sich wie eine Ziehharmonika auseinanderziehen ließen und vielen beweglichen Teilen wie bei einem Pop-up-Buch. Überall waren kleine, zerknitterte, handschriftliche Notizzettel, die seitlich und auf dem Kopf standen und manchmal spiralförmig angeordnet waren. Das ganze Ding war in einem Blauton gehalten.

Sophia hatte keine Ahnung, was sie da sah, aber sie hatte den Eindruck, dass es sehr wichtig war und eine Menge Informationen enthielt. Die Karte fühlte sich alt an … uralt. Sie fühlte sich auch mächtig an – sie strahlte eine einzigartige Magie aus. Sie hatte nicht den Verdacht, dass sie sie einfach entziffern konnte, vielleicht sogar überhaupt nicht.

Je mehr sie sich die Wörter ansah, desto klarer wurde ihr, dass sie sie nicht kannte. Könnten sie in einer anderen Sprache geschrieben sein? Die Drachenelite ließ sich manchmal Dinge automatisch übersetzen, aber das war nur der Fall, wenn sie Sprache hörte oder sprach. Bei anderen magischen Rassen funktionierte das nicht immer, da sie sich in der Welt der Sterblichen aufhielten. Nach reiflicher Überlegung war Sophia sicher, dass dies die einzigartige Sprache der Brownies war.

»Was ist das, Ticker?« Sophia kniete sich neben den kleinen Brownie.

Er blickte auf und war überhaupt nicht überrascht, sie dort zu sehen, obwohl er sie bis dahin nicht wahrgenommen hatte. »Kapas Parte!«

Sophia blinzelte im Büro umher. »Dein Papa? Seine Karte? Wo ist Mortimer?« Dann bemerkte Sophia, dass der Raum ungewöhnlich dunkel und ruhig war. Normalerweise schwirrte Pricilla herum, während sie ihr jüngstes Kind trug und Mortimer ließ oft einen Ball gegen seine Bürowand hüpfen, während er über die vielen Probleme der Brownie-Welt nachdachte.

»Dapa pa.« Ticker legte seinen knochigen Finger auf ein Kästchen in der Mitte der Karte, in dem sich viele verschiedene Kreise befanden. In jedem der kleinen Ringe befand sich eine winzige Schrift, die Sophia nur mit einem Mikroskop lesen könnte.

»Und deine Mutter?«, erkundigte sich Sophia.

»Badei«, antwortete Ticker.

Sophia nickte. Wenn sie Ticker zuhörte, musste sie ihre Gedanken immer wieder neu sortieren. »Dabei?«

Er nickte.

»Geht es ihnen gut?« Sophia hatte eine seltsame Vorahnung bei all dem.

Der kleine Brownie nahm eines seiner langen Ohren und zog es über sein großes Auge nach unten. »Sann kein. Nielleicht vicht. Sir wehen.«

»Was ist hier los, Ticker?«

»Drownie Biskussionen«, antwortete er. »Disschen boof.«

Sophia studierte die Karte und das Gebiet, das Ticker angezeigt hatte. Je mehr sie sich damit beschäftigte, desto mehr verschwamm ihr Blick, als würde sie eines dieser Bilder sehen, die nur funktionierten, wenn man nicht fokussiert und stattdessen alles ineinander verschwimmen ließ. Erst dann konnte man das eigentliche Bild sehen. Währenddessen hätte Sophia schwören können, dass ein Bild an die Oberfläche schwamm, aber nur für eine Sekunde. Sie keuchte auf. »Moment mal, ist dieser Ort eine Art Treffpunkt?«

»Trownie Breffen«, antwortete Ticker. »Häuft Leiß!«

»Willst du damit sagen, dass Mortimer und Pricilla bei einem Treffen mit den Brownies sind und die Dinge nicht gut laufen? Dass die anderen Brownies sauer sind?«

Er nickte und seine Ohren wackelten. »Roalitionskegeln. Sangweilige Lache.«

»Koalitionsregeln«, überlegte Sophia und schaute nachdenklich weg. »Es muss also Probleme und Widerstand von der Brownie-Gewerkschaft geben. Armer Mortimer. Ich wette, er steht unter großem Stress, weil er versucht, die Bedenken der Brownies zu zerstreuen und gleichzeitig die Arbeit für die Sterblichen zu erledigen.«

Ticker nickte und zog an dem Haarbüschel auf seinem Kopf. »Klatzgopf.«

Sophia konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Nun, ich hoffe, dass sich die Dinge klären werden, bevor er alle Haare verliert. Wenn es jemand schaffen kann, dann ist es dein Papa.« Sie zeigte auf die Karte, die immer noch keinen Sinn ergab, aber sie bemerkte, dass sich Figuren darauf bewegten, wie auf dem Elite-Globus auf der Gullington, der die Position der Drachenreiter anzeigte. »Diese Karte, gehört die Mortimer?«

Ticker nickte und zeigte stolz auf sich. »Gapa Pegeben. Üch Iberwache.«

Sophia grinste den kleinen Kerl an und klopfte ihm liebevoll auf die Schulter. »Mortimer muss dir sehr viel Vertrauen entgegenbringen, wenn er dir die Verantwortung überlässt. Du bist ein sehr verantwortungsvoller Brownie. Obwohl ich weiß, dass du viel zu tun hast, bin ich hierhergekommen, weil ich etwas brauche, das anscheinend nur die Brownies haben.«

Tickers Augen leuchteten vor Aufregung. »Hir milft! Hir milft!«

»Danke, Ticker. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen und bin froh, dass du hier bist. Ich brauche die speziellen Schokoladennibs der Brownies, Regenbogenstreusel und Ganache. Hast du das oder weißt du, wo ich es bekommen kann?«

Das magische Wesen hielt seine kleinen Hände zusammen und seine großen Augen blinzelten. Einen Moment später erschien in seiner Handfläche eine Schachtel, die fein säuberlich in leuchtend blaues Papier gewickelt, mit einer großen, weißen Schleife. Stolz hielt er es hoch und reichte es ihr dann. »Sier Hophia.«

»Wow, danke. Das ging ja schnell.« Sophia nahm die Kiste, die schwerer war, als sie für ihre Größe erwartet hatte. Sie war beeindruckt von dem kleinen Brownie, der so kindlich wirkte, aber sie wusste auch aus Erfahrung, dass er reif und verantwortungsbewusst war. Die kleinen Hauselfen waren von klein auf erwachsen.

In Bermudas Buch Magische Kreaturen wurde erklärt, dass dies daran lag, dass sie sich so sehr dem Guten verschrieben hatten und nur moralisch anständigen Sterblichen dienen wollten. Das war zwar nur eine Vermutung, aber für Sophia ergab es Sinn, wenn sie an die Verwüstungen dachte, die die Dämonendrachenreiter in so kurzer Zeit angerichtet hatten.

»Wenn ich mich irgendwie revanchieren kann, dann weißt du, dass ich immer gerne helfe.« Sophia streckte sich, um aufzustehen, aber nicht völlig, denn die Decken im offiziellen Hauptquartier waren Brownie-niedrig.

»Dielen Vank«, jubelte Ticker und lächelte zu ihr hoch, bevor er sich wieder der komplizierten Karte widmete.

»Zeigt diese Karte die Standorte aller Brownies draußen?«, fragte Sophia, deren Neugierde von dem interessanten Instrument überwältigt wurde.

Ticker nickte.

»Das muss eine sehr mächtige Karte sein«, war Sophia beeindruckt.

»Mehr Sächtig.« Ticker legte seinen Finger auf ein kleines Gebäude auf der Karte, das wie eine Hütte aussah und aus dessen Schornstein Rauch aufstieg. Er fuhr mit dem Finger über die Karte, bis er in der linken oberen Ecke ein X mit Wörtern sah, die Sophia nicht entziffern konnte.

Eine Sekunde später erschien ein Brownie, der größer, runder und älter als Ticker war, mit einem müden Gesichtsausdruck neben ihnen.

Er seufzte und schien Sophia nicht zu bemerken, die mit der Schachtel in der Hand dastand. Der Brownie fletschte seine rattenartigen Zähne und warf Ticker einen erleichterten Blick zu. »Oh, gut, ich werde also neu eingeteilt? Das wurde auch Zeit. Diese Sterblichen sind nicht mehr die Weltverbesserer, die sie einmal waren.«

Ticker nickte dem anderen Brownie zu und blickte dann zu Sophia. »Tichtiges Wreffen.«

Als sie verstand, dass Ticker sie höflich entschuldigt hatte, knickste sie leicht vor den Brownies und lächelte. »Danke für die Hilfe. Viel Glück mit allem. Ich komme später vorbei, um zu sehen, ob du noch Hilfe brauchst.«

»Sye Bophia!«