Kapitel 16

D ie Luft im Haus der Vierzehn war nicht viel anders als die, die Sophia in der Roya Lane entgegenschlug. Sie fühlte sich dort nicht willkommen, als sie die Kammer des Baumes betrat und die verurteilenden Blicke des Rates auf ihr ruhten. Sie war es gewohnt, ihre Position in der Drachenelite zu verteidigen, aber normalerweise wehrte sich das Haus dagegen, weil sie eine höhere Autoritätsstellung innehatte. Jetzt waren sie aus anderen Gründen wütend auf sie.

»Willst du dich erklären?«, forderte Lorenzo Rosario, als Sophia die Kammer betrat und nach vorne schritt.

Sie wollte fragen, ob es Erfrischungen gab, da sie nach ihrem Sprint durch die Roya Lane etwas durstig war, beschloss aber, dass dies nur noch mehr unhöfliche Blicke nach sich ziehen würde. Stattdessen hob Sophia ihr Kinn und blickte auf die Bank der Ratsmitglieder.

Einige waren ihr gut gestimmt, wie Hester DeVries, Raina Ludwig und Sophias Bruder, Clark Beaufont. Dann gab es aber noch Lorenzo Rosario, Bianca Mantovani und Marty Martinez, die ihre Stimmen zweifellos aus egoistischen Gründen abgaben. Schließlich, weil nichts einfach sein konnte, war Haro Takahashi die entscheidende Stimme. Er war ein Unsicherheitsfaktor und Sophia wusste immer noch nicht, wie er sich entschied. Manchmal schien es, als würde er für das Wohl des Rates stimmen und manchmal, als würde er sich beeinflussen lassen.

In diesem Moment sah es so aus, als hätte fast jeder im Rat etwas gegen Sophia, auch ihr Bruder.

»Ich habe nichts zu erklären«, begann Sophia. »In letzter Zeit habe ich die Welt der Sterblichen verteidigt, indem ich sie von den teuflischen Kreaturen befreit habe, die von Nevin Gooseman entfesselt wurden. Danach war ich damit beschäftigt, den Elfen zu helfen, ihre Heimat zurückzugewinnen, woran ich immer noch arbeite.«

Sophia hörte, wie sich Liv hinter ihr bewegte und hätte schwören können, dass die Bewegung an den Ratschlag erinnerte: ›Hör auf zu schnarchen, ja?‹

Wenn das von Liv kam, sprach das Bände.

Doch Sophia war der Meinung, dass sie die Wahrheit sprach.

»Drachenelitemitglied Beaufont«, begann Hester DeVries, die immer eine freundliche und vernünftige Stimme hatte, »wir werden mit Fällen von Drachenreitern überschwemmt, die Magier ausgeraubt, Eigentum gestohlen, Vandalismus begangen, mit persönlichem Schaden gedroht und Häuser angezündet haben, wenn man nicht gehorchte. Wir haben unsere Krieger ausgesandt, um diese Magier zu schützen und sie haben dabei Schaden genommen.« Die Ratsherrin zeigte auf eine Kriegerin, die Sophia als Trudy DeVries erkannte, Hesters Schwester, eine freundliche Frau, die auch Seherin war, obwohl das nur wenige wussten.

Das Gesicht der großen Kriegerin zierte eine lange Brandwunde. Obwohl Hester Heilerin war und wahrscheinlich geholfen hatte, wusste Sophia, dass Verletzungen durch das Feuer eines Drachen bei den meisten schwerer heilten, selbst bei denjenigen, die Magie beherrschten, was die Sache für die Heilerin noch schlimmer machte.

Sophia schluckte. Das tat weh. Es ging nicht nur ums Geschäft. Das ging es von Anfang an nicht, aber jetzt war es persönlicher.

»Das war nicht die Drachenelite«, begann Sophia mit leiser Stimme.

»Das ist deine Erwiderung?«, fegte Bianca mit schriller Stimme dazwischen. »Wir müssen unter einer Herrschaft leiden, die du uns zu Unrecht auferlegt hast und deine Antwort auf dieses grausame Verhalten ist, es zu leugnen?«

Sophia biss die Zähne zusammen und versuchte, sich zu sammeln. »Es stimmt schon. Was geschehen ist, ist falsch und ich tue alles, was ich kann, um es zu stoppen, aber das war nicht das Werk der Drachenelite. Was geschehen ist, wurde von dämonischen Drachenreitern getan.«

»Miss Beaufont«, meldete sich Lorenzo Rosario in einem herablassenden Ton. »Du hast gegen den Politiker Nevin Gooseman gekämpft und behauptet, die Dämonendrachen wären kein Problem. Jetzt erzählst du dem Rat, dass sie der Grund dafür sind, dass wir alle leiden und uns vor ihnen in Acht nehmen müssen?«

»Nevin Gooseman lag falsch«, erwiderte Sophia. »Er wollte, dass alle Drachen verschwinden. Die Dämonendrachen selbst sind nicht das Problem. Es ist nur so, dass sie unter der jetzigen Herrschaft ein wenig außer Kontrolle geraten sind. Es ist alles so schnell passiert. Wir tun alles, was wir können, um das zu ändern, aber ihr müsst verstehen, dass die Drachenelite schon seit einiger Zeit aus der Übung ist und …«

»Aus der Übung«, unterbrach Haro Takahashi. »Das ist deine Ausrede? Du willst dich darauf berufen, dass deine Gesellschaft ein paar Jahrhunderte lang die Hände in den Schoß legen musste, weil sie mit ihrer eigenen nicht klarkam?«

Sophia konnte vor Wut kaum atmen. »Das ist keine Ausrede. Es geht darum, dass wir Zeit brauchen, um die Situation zu klären. Außer Lunis und mir hat es seit Jahrhunderten keine neuen Drachen mehr gegeben. Es braucht Zeit, um das Verhalten der Dämonendrachen neu zu lernen. Es gibt eine Menge zu bedenken.«

»Ich sage, wir ziehen in den Krieg.« Marty Martinez, der neu ernannte Ratsherr, lehnte sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. »Das wird diesen neuen Drachenreitern zeigen, wer das Sagen hat und dass sie sich nicht mit uns anlegen sollten.«

»Ihr habt hier nicht das Sagen«, entgegnete Sophia mit zusammengebissenen Zähnen. »Die Drachenelite hat das Sagen und wir werden die Dinge auf unsere Weise regeln.«

»Wenn ihr das Sagen habt, warum plündern diese Schurken unsere Magier und nutzen die Sterblichen aus?«, fragte Bianca.

»Weil wir erst ihre Schwachstellen herausfinden und sie nutzen müssen.« Sophia fand plötzlich ihr Selbstvertrauen wieder. »Wir können unsere Herrschaft nicht erzwingen. Das funktioniert nie. Wir müssen einen Vorteil finden und ihn ausnutzen, sonst gewinnen sie, weil sie nicht fair kämpfen. Wenn du gegen einen Riesen antrittst, wirst du niedergestampft, aber wenn du dich an sie heranschleichst, kannst du sie an ihrer Achillesferse ausschalten.«

Der gesamte Rat wurde still. Clarks Augen leuchteten zum ersten Mal, seit Sophia nach vorne getreten war und zeigten seine Zuversicht.

»Was sie sagt, ergibt Sinn«, meinte Raina Ludwig schließlich mit leiser Stimme.

Clark nickte. »Diese Halunkenreiter sind nicht ganz richtig im Kopf. Sie sind gefährlich, unerprobt und voller Adrenalin, weil sie gerade erst in ihre Kraft gekommen sind. Sie werden niedergeschlagen, aber dazu braucht man List und Strategie und die hat Reiterin Beaufont.«

Sophia wollte lächeln, sowohl wegen des Lobes als auch wegen des Titels, den Clark nur selten für sie benutzte, da er sie normalerweise Soph nannte. Obwohl ihr Bruder sich bei den Ratssitzungen selten für sie einsetzte, bedeutete es ihr in diesem Moment am meisten, wenn er es tat.

»Dann sind wir uns einig, dass die Drachenelite dieses Problem lösen muss, und zwar schnell?«, drängte Bianca.

»Ich denke«, begann Hester mit nachdenklicher Stimme, »wir müssen die Drachenelite unterstützen, die meiner Meinung nach eine schwierige Aufgabe zu bewältigen hat. Ich erinnere mich, dass wir erst vor kurzem unter Beschuss standen, weil wir innerlich zerstritten waren und wie eine schrecklich dysfunktionale Gruppe aussahen. Vielleicht haben wir als Rat zu hart über die Drachenreiter geurteilt, weil wir uns nicht daran erinnern, wann wir an ihrer Stelle waren.«

Sophia wollte die Heilerin anlächeln, die so freundlich war, aber stattdessen blieb sie verhalten und stark.

»Ich denke, du hast recht«, stimmte Haro mit gleichmütiger Stimme zu. »Wir erinnern unsere Gemeinschaft der Magier und andere magische Rassen daran, wachsam zu bleiben. Wir warnen sie, dass es nicht die Drachenelite ist, die sie fürchten müssen und erklären, dass eine Lösung auf dem Weg ist.«

Raina beugte sich vor. »Hier kommt die Drachenelite ins Spiel. Wir können nur eine gewisse Zeit versuchen, die Gedanken der magischen Gemeinschaft zu ändern. Wenn ihr das Problem mit den Halunkenreitern nicht schnell löst, werden euch bald alle fürchten. Sie werden die Hoffnung auf Drachenreiter verlieren, egal ob sie für gut oder böse stehen.«

Sophia nickte entschlossen und versuchte, zuversichtlich zu bleiben, obwohl der Druck sie lähmte. »Macht euch keine Sorgen. Die Drachenelite wird alles wieder sicher machen. Das ist im Moment unser vorrangiges Ziel.«